Kopftuch: Türkische Nationalisten gegen „Einmischung“

Die weltweite türkisch-nationalistische Bewegung Milli Görus hat sich in der österreichischen Kopftuchdebatte zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende Kemal Ergün forderte, Politiker sollten sich heraushalten.

„Muslime sind darin frei, selbst festlegen zu dürfen, was sie für ihre Glaubensausübung als verpflichtend erachten und was nicht“, meinte Vorsitzender Ergün in einer Aussendung. „Staatliche Akteure sollten sich in Fragen, in denen ihnen sowohl die rechtlichen wie auch die fachlichen Kompetenzen fehlen, zurückhaltend äußern“, machte Ergün unmissverständlich klar.

„Keine Einmischung in innere Angelegenheiten“

Muslime müssten sich nicht für die Ausübung ihres Glaubens erklären, denn: „Religionsfreiheit bedeutet insbesondere auch Definitionsfreiheit. Die Bestimmungshoheit über Glaubensinhalte obliegt den Gläubigen selbst.“ Diese Selbstverständlichkeit dürfe nicht zur Diskussion gestellt werden.

Eine junge Frau mit Kopftuch auf einem Flughafen

Getty Images/Ab Rahman Awang/EyeEm

Die Fatwa der IGGÖ zu einem Kopftuchgebot schlägt weiter Wellen

„Wenn Muslime zunehmend ihren theologischen Standpunkt gegenüber staatlichen Übergriffen rechtfertigen müssen, ist Anlass zur Sorge gegeben“, meinte Ergün zur laufenden Kopftuchdebatte in Österreich. So eine Praxis sei unvereinbar mit dem Neutralitätsgebot. Der Staat sei nicht befugt, sich in die inneren Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft einzumischen.

Gebot vs. Verantwortung

Anlass für die Einmischung von Milli Görüs in die Debatte in Österreich ist ein theologisches Gutachten (Fatwa) der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), das das Tragen eines Kopftuchs als Gebot bezeichnet hatte und auch von Regierungsvertretern kritisiert wurde. Ergün stellte in den Raum, dass in Österreich die Trennung von Staat und Religion offenbar nicht sehr ernst genommen werde. Das Gutachten bringe ein religiöses Gebot zum Ausdruck, dessen tatsächliche Befolgung in der Verantwortung des Individuums liege.

Die Frauensprecherin der IGGÖ, Carla Amina Baghajati, betonte ebenfalls die individuelle Entscheidung von Frauen für oder gegen das Tragen eines Kopftuchs. Sie kritisierte zugleich die Diktion der IGGÖ: „Das Kopftuch ist keine ‚Säule‘ der Religion. Selbst von einem ‚Gebot‘ zu sprechen ist in der deutschen Sprache, die bei einem religiösen Kontext damit etwas so absolut Verbindliches wie die ‚zehn Gebote‘ des Alten Testaments assoziiert, problematisch. Kopftuchtragen hat im Islam nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin“, so Baghajati in einer Aussendung am Dienstag.

„Schlicht und einfach ist das Kopftuchtragen ein Teil der Glaubenspraxis. Und wenn eine muslimische Frau es aus dem einen oder anderen Grund nicht trägt, ist das allein ihre Sache, und sie kann auch so eine gute Muslimin sein“, so Baghajati.

Milli Görus für „gerechte (islamische) Ordnung“

Die Bewegung Milli Görüs („Nationale Sicht“) geht auf den 2011 verstorbenen türkischen Politiker Necmettin Erbakan zurück und ist in Deutschland der größte staatsunabhängige sunnitische Verband. Er wird dort vom Verfassungsschutz beobachtet und setzt sich für die Errichtung einer „gerechten Ordnung“ ein, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen orientiert.

In Österreich soll der ehemalige IGGÖ-Präsident, Fuat Sanac, dem Verein nahe stehen. Sanac hatte sich am Dienstag ebenfalls kritisch zu der Fatwa der IGGÖ geäußert und sie als „kontraproduktiv“ bezeichnet.

religion.ORF.at/APA

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