Zeugen Jehovas: Kein Platz für alle im Himmel

Zeugen Jehovas begehen heuer am 11. April den aus ihrer Sicht einzigen christlichen Feiertag. Die Gemeinschaft ist überzeugt, dass nur eine kleine Zahl auserwählter Personen Platz im himmlischen Königreich hat. In Russland droht ein Verbot der Gemeinschaft.

Heuer am 11. April – nach biblischem Kalender der 14. Nisan – begehen die Zeugen Jehovas (auch Jehovas Zeugen) ihren höchsten Feiertag: das Gedächtnis des Todes Jesu. Das Datum variiert jedes Jahr und wird nach dem jüdischen Mondkalender berechnet, wie er zur Zeit Jesu in Verwendung gewesen sein soll. Zentrum der Feier ist das gemeinsame Gebet und die Abendmahlsfeier, bei der nur jene, die sich zu den 144.000 Auserwählten zählen, die ins himmlische Reich kommen, von Brot und Wein nehmen.

Aus Sicht der Zeugen Jehovas ist dieser Feiertag der einzige, der durch die Bibel belegbar ist, da Jesus selbst die Jünger aufgerufen habe, sich an den Moment des Abendmahls und seinen Tod zu erinnern, beschreibt David Vladar, einer der sogenannten Ältesten der Zeugen Jehovas, wie die Seelsorger in den Gemeinden genannt werden.

Abendmahl bei den Zeugen Jehovas: Gläser mit Rotwein und Brot auf Tellern

Foto: JZ

Diejenigen, die sich zu den Auserwählten zählen, nehmen von Brot und Wein

Nur 144.000 kommen in den Himmel

Die Zahl der 144.000 Auserwählten beziehen Zeugen Jehovas aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Dort wird das Lamm auf dem Berg Zion stehend mit 144.000 Menschen um sich beschrieben, was die Religionsgemeinschaft wörtlich versteht: Das Lamm stehe für den König Jesus Christus und die 144.000 für seine Mitregenten, so Vladar.

Diese 144.000 stehen im Bund mit Jesus Christus und werden von den Zeugen Jehovas als jene Zahl gesehen, die in den Himmel kommen. Alle anderen Menschen können auf ein ewiges Leben auf der Erde hoffen.

Für Vladar ist klar, dass er nicht zu den 144.000 Auserwählten zählt: „Der Geist Gottes hat es mir nicht angezeigt.“ Weltweit gibt es einige Tausend Zeugen Jehovas, die sich zu dieser Schar der Auserwählten zählen. Bei der Abendmahlsfeier am 11. April sind sie es, die von Brot und Wein nehmen, die anderen sind bei der Gedächtnisfeier „Zuschauer und Mitvollziehende“, so Vladar.

Zeugen Jehovas in Österreich

In Österreich sind die Zeugen Jehovas als Religionsgesellschaft seit 7. Mai 2009 staatlich anerkannt, erstmals tätig geworden sind sie im Jahr 1911, als Charles Taze Russell, damaliger Vorsteher der Zeugen Jehovas, zu einem Vortrag nach Wien kam.

Gottes Eingreifen erwartet

Die Gedächtnisfeier wird von den rund 21.500 Zeugen Jehovas in ganz Österreich in den sogenannten Königreichssälen und anderen Veranstaltungsorten der Gemeinschaft begangen. Den Begriff des Königreichssaals leiten sie von der für die Zeugen „zentralen Botschaft vom Königreich Jesu Christi“ her.

Zeugen Jehovas seien überzeugt, dass Gott durch das Königreich Jesu „die Geschicke der Menschen sehr bald in die Hand nehmen und alles zum Besseren wenden wird“, sagt Vladar.

Zahl der Zeugen in Österreich konstant

Im Jahresbericht der Zeugen Jehovas von 2016 wurde als Gesamtzahl der Mitglieder weltweit 8.340.982 genannt. Sie wirken in 240 Ländern und 119.485 Gemeinden. Als Zeugen Jehovas werden laut Vladar jene bezeichnet, die jeden Monat aktiv ihren Predigtdienst tun, das heißt „mit anderen über die gute Botschaft vom Reich Gottes“ sprechen.

Königreichssäle gibt es in Österreich derzeit 173. Im Sommer eröffnen die Zeugen einen weiteren Königreichssaal in der Weyringergasse im 4. Wiener Gemeindebezirk. Dieser wird der 17. Königreichssaal in Wien sein. Die Zahl der aktiven Mitglieder in Österreich von rund 21.500 Zeugen Jehovas hat sich laut Vladar in den letzten Jahren „kaum“ verändert.

Königreichsaal der Zeugen Jehovas

Foto: JZ

Königreichssaal in Lauterach, Vorarlberg. Insgesamt gibt es in Österreich 173

Aussteiger üben Kritik

Heftige Kritik an der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas wurde erst kürzlich von Aussteigern im Magazin „profil“ geübt. Die Ex-Mitglieder sprechen von menschenverachtenden Praktiken bei den Zeugen und fordern die staatliche Aberkennung als Religionsgemeinschaft. Die Zeugen lehnen Bluttransfusionen ab, verfahren rigoros mit ehemaligen Gemeinschaftsmitgliedern und fordern ihre Mitglieder auf, sich von politischen Wahlen fernzuhalten und neutral zu sein, so die Kritik der Aussteiger.

„Gebote der Bibel“ über weltlichen Gesetzen

Vladar kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen, für ihn stehen die „Gebote der Bibel“ über weltlichen Gesetzen: Die Ablehnung der Bluttransfusion leiten die Zeugen zum Beispiel aus der biblischen Anweisung her, „sich des Blutes zu enthalten“, so der Seelsorger. Außerdem betonte Vladar, dass es aus medizinischer Sicht kaum Notfälle gebe, in denen es notwendig sei, Bluttransfusionen durchzuführen. „Ich würde mich jedenfalls nicht gegen das biblische Gebot entscheiden.“

Verstoßen Zeugen Jehovas gegen biblische Gebote, wie die Enthaltung von Blut, indem sie zum Beispiel Blutwurst essen, sind sie aufgefordert, das Gespräch mit den Seelsorgern zu suchen und zu versuchen, „wieder ins Reine mit Gott zu kommen“, sagt Vladar. Zu einem Ausschluss aus der Gemeinschaft kommt es in solchen Fällen nicht. Entscheidet sich allerdings jemand bewusst gegen die Gemeinschaft und steigt aus, ist das ein „Vertrauensbruch“, aus dem für Vladar klarerweise eine Distanzierung folge: „Wir verstehen uns als Familie. Wenn jemand aus dieser Familie ausscheidet, ist das natürlich ein deutlicher Bruch.“

In Russland möglicherweise bald verboten

Öffentlich wurde kürzlich ein Antrag des russischen Justizministeriums beim Obersten Gerichtshof, die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas staatlich zu verbieten. Sie soll als extremistisch erklärt werden, all ihre Tätigkeiten würden damit verboten. Das Ministerium argumentierte, dass die Aktivitäten der Zeugen Jehovas Russlands Extremismus-Bekämpfungsgesetz verletzten und dass ihre Broschüren Hass gegen andere Gruppen schüren würden. Vladar nennt dieses Vorgehen einen „Angriff auf das friedliche Zusammenleben der Zeugen Jehovas in Russland“.

Das Verhältnis zwischen den Zeugen Jehovas und den großen christlichen Kirchen ist von beiden Seiten aus distanziert. Die Zeugen Jehovas lehnen ökumenisches Engagement ab, da für sie die Lehrunterschiede zu groß sind. Aus demokratischer Sicht haben katholische und evangelische Kirche die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Religionsgesellschaft befürwortet, inhaltlich gibt es innerhalb der Kirchen unterschiedliche Positionen.

Markus Andorf, für religion.ORF.at

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