Stadt, Raum und Religion

Sakrale Räume haben in der Geschichte der europäischen Stadt eine bereichernde Rolle gespielt. Doch vor allem Glaubensgemeinschaften, die nicht von der Mehrheitsgesellschaft repräsentiert werden, haben es oft schwer, ihren Platz zu behaupten.

Gleichzeitig gibt es immer wieder Bemühungen, unterschiedliche Konfessionen einander auch räumlich näher zu bringen und für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Wie erfolgreich das sein kann, hebt die diesjährige Verleihung des renommierten, mit 100.000 Franken dotierten Doron-Preises an das Haus der Religionen in Bern für seine „Verdienste im Bereich des Dialogs der Kulturen“ hervor. Das multifunktionale Zentrum, entworfen vom Schweizer Architekturbüro Bauart, wurde 2014 eröffnet. Das Herzstück des Gebäudekomplexes, in dem es auch Wohnungen, Büros und einen Supermarkt gibt, ist ein interkonfessionelles Zentrum.

Haus der Religionen in Bern, Front

Jose Hevia Blach

Fassade des Hauses der Religionen in Bern (2014)

Hochmoderne Tempelanlage

Auf 3.000 Quadratmetern sind Gebetsräume, die verschiedenen Konfessionen dienen, untergebracht. Christen, Muslime, Aleviten, Hindus und Buddhisten teilen sich in ihrer Mitte einen gemeinsamen Versammlungsraum. Dort kann es neben organisierten Diskussionsveranstaltungen vor allem auch zu informellen Begegnungen zwischen Gläubigen kommen. Innerhalb der nüchtern-modernen Architektur entfalten die religiösen Objekte eine futuristische Aura. Das Gebäude öffnet sich über eine monumentale Glasfassade nach außen und erlaubt Einblicke in sein Innenleben. Der weithin sichtbare gläserne Kubus verankert die hochmoderne Tempelanlage im Stadtraum.

Hindutempel im Haus der Religionen in Bern

Jose Hevia Blach

Hindutempel im Haus der Religionen in Bern

Räume der Stille

Das ist bei Weitem keine Selbstverständlichkeit. Zahlreiche kleinere, überkonfessionelle Gebets- und Andachtsräume fristen ein von der Allgemeinheit weitgehend unbemerktes Schattendasein in Einrichtungen wie Krankenhäusern und Gefängnissen, aber auch an profanen Orten wie Bahnhöfen, Flughäfen und Einkaufszentren. Es sind meist neutral gestaltete Räume, oft nicht viel größer als ein Wohnzimmer, die erst durch sporadischen Gebrauch zum Leben erweckt werden. Eine Pionierleistung darf der Wiener Flughafen für sich beanspruchen: Dort wurde bereits 1988 ein interkonfessioneller Gebetsraum eingerichtet.

Raum der Stille am Flughafen Düsseldorf

Hahn Helten Architekten

„Raum der Stille“ auf dem Flughafen Düsseldorf

Heute gehören diese „Räume der Stille“ längst zum Standardrepertoire und sind auch an prominenten Orten zu finden. So wurde im Vorjahr im neuen Stadion des Fußballclubs Rapid ein interreligiöser, in grünes Licht getauchter Andachtsraum von Kardinal Christoph Schönborn feierlich eröffnet. Auch im Nordflügel des Brandenburger Tors in Berlin befindet sich ein derartiger Raum, der täglich weit über hundert Besuchern aus aller Welt eine spirituelle Atempause inmitten der Großstadt ermöglicht.

Herausforderung: Gestaltung

Jenseits einer nüchternen Funktionalität ist die Gestaltung interkonfessioneller Räume eine Herausforderung. Auffallend oft wird Natur als gemeinsamer Nenner beschworen. Insbesondere dem Himmel und dem Meer scheint eine universelle religiöse Bedeutung zugesprochen zu werden. Den Meditationsraum im Hauptgebäude der UNO in New York, der 1948 eingerichtet wurde, dominiert neben einem schlichten Altar ein kubistisches Wandgemälde.

Kapelle im MIT (Institut für Technologie Massachusetts) von Eero Saarinen (1955)

Naquib Hossain

Kapelle im MIT von Eero Saarinen (1955)

Wie aus der notwendigen Abstraktion eine neue Qualität hervorgehen kann, hat der finnische Architekt Eero Saarinen 1955 mit seinem Entwurf für eine jüdisch-christliche Kapelle auf dem Gelände des Massachusetts Institute of Technology (MIT) vorgeführt. Mit Hilfe einer elegant fokussierten Lichtführung wird auf beeindruckende Weise eine sakrale Stimmung erzeugt.

Innerhalb einer Glaubensfamilie können Gestaltungsfragen wohl noch leichter gelöst werden. In Deutschland gibt es auch heute noch 64 „Simultankirchen“, die von verschiedenen christlichen Konfessionen paritätisch genutzt werden.

Das „Haus des Einen“ inmitten der Stadt

In Berlin hat ein Projekt noch vor seiner Realisierung Aufsehen erregt. Das „House of One“, dessen Grundsteinlegung 2019 mitten in Berlin an zentraler Stelle erfolgen soll, wird unter einem Dach eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge beherbergen. Dieser einmalige Zusammenschluss der drei großen monotheistischen Weltreligionen erscheint ihrem Konzept nach wie eine Materialisierung der Ringparabel aus Gotthold Ephraim Lessings Theaterstück „Nathan der Weise“.

Außenraum-Collage House of One in Berlin

Kuehn Malvezzi/Ulrich Schwarz

Außenraum-Collage „House of One“ in Berlin (für 2019 geplant)

2014 wurde ein Crowdfunding-Prozess in Gang gesetzt, der zusätzlich zu einem Beitrag des Landes Berlin und einer Förderung aus dem Bundeshaushalt den Großteil der veranschlagten 43 Mio. Euro einbringen soll. Neben der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri vertritt das Abraham Geiger Kolleg die jüdische Gemeinde und das Forum für interkulturellen Dialog die Muslime im Trägerverein.

Es handelt sich um ungleiche Partner - die evangelische Kirche vertritt die Religion der Mehrheitsgesellschaft, die jüdische Gemeinde ist anerkannte Minderheit, dem Islam fehlt bisher die staatliche Anerkennung in Deutschland - dennoch begegnen einander die drei Religionen auf Augenhöhe.

Einladung an die Öffentlichkeit

In einer gemeinsamen Charta wurde vom Trägerverein unter anderem festgeschrieben, dass das Haus auch für Andersgläubige und Besucher offen zu stehen habe. Das Raumkonzept, das aus einem internationalen Architekturwettbewerb als Sieger hervorging, stammt vom Berliner Büro Kuehn Malvezzi. Zentrales Element des Gebäudes, das sich aus einer weitgehend symbolfreien Geometrie zusammensetzt, ist ein vierter Raum, um den sich die separierten, nach Erfordernis der jeweiligen Liturgie gestalteten Bereiche gruppieren, wie Architekt Wilfried Kuehn im religion.ORF.at-Interview sagte.

Kirche im Haus der Religionen in Bern

Jose Hevia Blach

Kirche im Haus der Religionen in Bern

Ein Innenraum als Stadtraum

Der Zentralraum ist als leere Mitte konzipiert. Es handelt sich um einen öffentlich jederzeit zugänglichen, konfessionell neutralen Raum, der die gleiche Materialität wie die Außenfassade aufweisen soll, so Kuehn. Hierin bestehe eine bewusste Analogie zum berühmten Rom-Plan des italienischen Kartografen Giambattista Nolli aus dem Jahr 1748, auf dem Innenräume wie der des Pantheons als Teil des Stadtraums dargestellt sind. Die theologisch-räumliche Klärung, erzählt der Architekt, entstehe im weiter fortlaufenden Gespräch zwischen allen Beteiligten. Die Architektur dient in diesem spannenden Prozess auch als Anlass zum Dialog.

Zuversicht trotz veränderter Rahmenbedingungen

Ist es angesichts jüngster politischer Entwicklungen - angesichts von Terror und Islamismus - zu einer veränderten Wahrnehmung des Projekts in der Öffentlichkeit gekommen? Das Forum für interkulturellen Dialog, das im Trägerverein die Muslime vertritt, steht der Gülen-Bewegung nahe, die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch im Vorjahr verantwortlich gemacht wird. Architekt Kuehn sieht die gesellschaftliche Akzeptanz für das Projekt trotz oder vielleicht auch aufgrund dieser Entwicklungen noch weiter gewachsen. Das liege aus seiner Sicht an der grundsätzlichen Schlüssigkeit des Konzepts, in einer weltoffenen Stadt wie Berlin ein Mehrreligionenhaus zu errichten.

Vorbildwirkung

Schon jetzt habe das Projekt einen einzigartigen Prozess in Gang gesetzt, der auch international Beachtung gefunden hat. In London sei mit „Friday Saturday Sunday“ bereits ein ähnliches Projekt auf den Weg gebracht worden. Ein einziger Raum soll Gläubigen freitags als Moschee, samstags als Synagoge und sonntags als Kirche dienen. Montags bis donnerstags soll das Gebäude für interreligiöse Begegnungen und allen daran Interessierten offen stehen.

Andre Krammer, für religion.ORF.at

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