Wie sich Muslime vom Terror distanzieren

Muslime setzen vermehrt mit Worten und Gesten Zeichen gegen Terror - mittlerweile auch öffentlichkeitswirksam. Darunter sind viele Imame, die mit dem Negativimage des Hasspredigers kämpfen. Der Druck, sich distanzieren zu müssen, ist aber für viele Gläubige bitter.

Am 11. September 2001 verübte die islamistische Terrororganisation al-Kaida Anschläge auf die USA - etwa 3.000 Menschen wurden getötet. Einige Zeit später saß Carla Amina Baghajati an ihrem Computer und tippte eine Stellungnahme, in der sie die Taten der Terroristen im Namen der Muslime in Österreich verurteilte. Baghajati ist die Frauenbeauftrage der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) und deren frühere Pressesprecherin. Als solche verfasste sie Dutzende Stellungnahmen gegen Terror und schickte sie an Medien.

„Menschenverachtend“ und „Frevel“

Zum Beispiel nach der Serie von Terroranschlägen im Jahr 2003 in Mumbai (Indien) und nach dem Anschlag in Madrid 2004. Nachdem Terroristen im Irak als Reaktion auf das Kopftuchverbot an französischen Schulen zwei Franzosen als Geiseln nahmen, schrieb die IGGÖ von „menschenverachtenden Willkürhandlungen“ und forderte die Freilassung der Journalisten. 2010 verurteilte sie den Anschlag auf Kopten, die christliche Minderheit in Ägypten, als „Frevel an den eigenen Glaubenswahrheiten“. Und so reiht sich Stellungnahme an Stellungnahme: die Attentate von Paris 2015, Brüssel 2016, Orlando 2016.

Carla Amina Baghajati

APA/Georg Hochmuth

Carla Amina Baghajati verurteilt seit 16 Jahren Terroranschläge

Es habe nach dem 11. September unter Muslimen ein großes Bedürfnis gegeben, die Anschläge klar zu verurteilen, sagte Baghajati im Gespräch mit religion.ORF.at. „Viele haben sich gemeldet und gesagt, wir müssen etwas tun, wir müssen jetzt richtig reagieren.“

Damals hätten Medien den Stellungnahmen der Glaubensgemeinschaft noch einen Nachrichtenwert beigemessen, sagte Baghajati. Mittlerweile habe sich das geändert - viele Stellungnahmen schaffen es nicht in die Nachrichten. Auch seien manche Muslime müde geworden, sich „zum hundertsten und tausendsten Mal“ zu erklären. „Es ist der Wunsch da, dass die Mehrheitsbevölkerung erkennt, dass Muslime nicht verantwortlich gemacht werden können.“

Keine großen Gesten

Klare Worte der Verurteilung in Stellungnahmen, Interviews und Dialogrunden gab es immer wieder und den Versuch, über den Islam und den Missbrauch des Islam durch Terroristen aufzuklären. Auch organisierten Muslime kleinere Friedenskundgebungen und Mahnwachen. Doch die breite Bevölkerung nahm davon kaum Notiz. Starke Signale, die in der Bevölkerung wahrgenommen und erinnert werden, fehlten. So sind Muslime vor allem seit den Anschlägen in Paris im November 2015 erneut mit der Forderung konfrontiert, sie sollten sich stärker gegen Terror im Namen des Islam aussprechen.

So sagte etwa Kardinal Christoph Schönborn im vergangenen Jahr: „Das würden wir uns auch von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in aller Deutlichkeit wünschen, und zum Teil ist es auch geschehen: nicht nur eine klare Distanzierung von Terror, sondern auch die Klarheit darüber, dass das nicht im Namen Gottes geschehen kann.“

Dudu Kücükgöl

ORF/Günther Pichlkostner

Dudu Kücükgöl

„Muss Menschlichkeit nicht beweisen“

Aber nicht nur von der offiziellen Vertretung der Muslime, von den einfachen Gläubigen wollen viele Menschen eine klare Abgrenzung von den Anschlägen, sie wollen, dass Muslime ihre Position im wahrsten Sinne des Wortes öffentlich demonstrieren. Muslimen stößt das zum Teil sauer auf - so auch Dudu Kücükgöl, muslimische Aktivistin, Feministin und frühere Sprecherin der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ).

„Wir müssen ständig beweisen, dass wir normale Menschen sind. Wenn jemand von mir verlangt, dass ich meine Menschlichkeit beweisen soll, dann mache ich da nicht mit“, kritisierte Kücükgöl im Gespräch mit religion.ORF.at.

Muslime in der Zwickmühle

Wenn es um Anschläge geht, bei denen größtenteils Muslime sterben - die meisten Anschläge werden in Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung verübt -, „verlangt niemand von uns, dass wir uns distanzieren“, sagte Kücükgöl. Doch auch bei den Attentaten in Paris oder Berlin sind Muslime gestorben, erinnerte die Aktivistin.

Muslime seien oftmals in einer Zwickmühle: Das automatische und wiederholte Distanzieren nach einer Terrorattacke geschehe auch, um Angriffen auf Muslime vorzubeugen. Vor allem muslimische Frauen sind immer wieder Opfer von Übergriffen im öffentlichen Raum.

Imame vor der Moschee am Hubertusdamm in Wien-Floridsdorf mit einem Transparent gegen Terror

ORF/Sandra Szabo

Österreichs Imame setzten ein Zeichen gegen Terror

Imame preschen vor

Dass sich öffentliche Vertretungen von Muslimen als Teil der Zivilgesellschaft zu Gewalt und Terror positionieren, kann Kücükgöl nachvollziehen. Derzeit sind es besonders Imame, die sich öffentlich gegen Terror aussprechen. In Österreich unterschrieben kürzlich 300 islamische Seelsorger eine Deklaration gegen Extremismus und Terror. Mittlerweile haben 331 Imame unterzeichnet, sagte der Imam und Religionslehrer Ramazan Demir, zu religion.ORF.at. Als die Imame merkten, dass die Mehrheit der Bevölkerung „nicht zwischen Islam und Islamismus, zwischen Religiösität und Radikalität differenzieren kann“, entschieden sie sich, zu handeln. Für Demir ein notwendiger Schritt.

Vor der großen Moschee in Wien-Floridsdorf fanden sich am 14. Juni rund 180 Imame ein, die die Erklärung gleich vor Ort unterschrieben hatten und danach ein Banner mit den Worten „Vereint gegen Extremismus und Terror!“ hochhielten. Eine Botschaft, die an die „Mehrheitsbevölkerung und an die muslimische Community“ gerichtet ist, sagte Ramazan. Von der Aktion berichteten zahlreiche Medien.

30 Imame aus europäischen Ländern gedenken am Sonntag, 9. Juli 2017, in Berlin den Opfern vom Anschlag am Weihnachtsmarkt, bei dem 12 Menschen starben.

APA/dpa/AFP/Paul Zinken

Imame gedenken in Berlin der Terroropfer

Imame, die oft mit dem Image des Hasspredigers konfrontiert sind, setzen nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen europäischen Ländern Zeichen gegen Terror. So verweigerten etwa 130 Imame in London Attentätern das Totengebet. Und auf einer Friedensmission sind derzeit 60 Imame aus Europa: Sie reisen in einem Bus zu Orten, an denen Anschläge verübt wurden - Berlin, Brüssel-Maelbeek, Saint-Etienne-du-Rouvray, Paris, Toulouse, Nizza. Dort gedenken sie der Opfer. Initiiert wurde die Aktion Marsch gegen Terror von dem Pariser Imam Hassen Chalghoumi und dem Künstler Marek Halter.

Demo „instrumentalisiert“

Für viel Beifall sorgte die Ankündigung der deutschen Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor, in Köln einen Friedensmarsch unter dem Motto „Nicht mit uns“ zu organisieren. Statt der erwarteten 10.000 Menschen kamen etwa 2.500. Kritik an Muslimen war die Folge. „Der Aufstand der anständigen Muslime bleibt aus“, auch seien türkische Hochzeiten besser besucht als der Friedensmarsch, hieß es etwa in der deutschen Tageszeitung „Die Welt“.

Demonstration Köln

APA/dpa/Henning Kaiser

Muslime und Nicht-Muslime marschierten in Köln gemeinsam gegen Terror

Kaddor: „Extremisten stärker ächten“

Kaddor kritisiert, dass der Friedensmarsch zum Teil instrumentalisiert werde, um gegen Muslime Stimmung zu machen. Das Fernbleiben vieler Muslime führt sie darauf zurück, dass es schwierig sei, die zahlreichen nicht in Vereinen organisierten Muslime zu erreichen, wie sie gegenüber religion.ORF.at erklärte. Der größte Moscheeverband DITIB hatte nicht teilnehmen wollen, weil er sich an der Art der Organisation störte, eine Demo im Fastenmonat Ramadan für unzumutbar hielt und eine „muslimische“ Anti-Terror-Demo für Muslime als stigmatisierend erachtet, wie der Verband in einer Aussendung erklärte.

Kaddor sieht Muslime allerdings in der Pflicht, sich noch stärker von Extremismus abzugrenzen, auch um jenen, die mit gewalttätigen Islamisten „liebäugeln“, zu zeigen, „dass sie sich außerhalb des Mainstreams befinden“. Diese gesellschaftliche Ächtung geschehe „noch zu wenig“.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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