Franziskus drängt in Kolumbien auf Wandel

Fünf lange Jahrzehnte hat der Guerillakrieg gedauert. Grund genug für Papst Franziskus, mit dem Frieden keine Zeit zu verlieren. An seinem ersten Besuchstag in Bogota schneidet er die großen Themen an, die die Zukunft dieses lateinamerikanischen Landes betreffen. Und seine Gastgeber scheinen erstaunlich gut vorbereitet.

Es ist ein fast gleicher Ton, den Franziskus und Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos beim Empfang im Präsidentenpalast anschlagen. Auch menschlich begegnen sich die beiden auf Augenhöhe. Mit ungezwungener Souveränität führt der 66-jährige Staatschef seinen Gast über den roten Teppich im Hof der Residenz.

An der Seite seiner Gattin Maria Clemencia Rodriguez zeigt sich Santos als den Menschen zugewandter Landesvater, so auch, als Dutzende Kinder den Papst umstürmen.

Papst Präsident Kolumbien  Juan Manuel Santos

Raul Arboleda / AFP

Pappst Franziskus und Staatspräsident Juan Manuel Santos unterhalten sich während der Zeremonie

Durch die Rede des Präsidenten ziehen sich Einheit und Versöhnung als roter Faden. Natürlich knüpft Santos an erster Stelle bei jenem „schändlichen Konflikt“ mit der Guerilla an, aber er spannt den Bogen weiter. „Es nutzt nichts, Gewehre zum Schweigen zu bringen, wenn wir in unseren Herzen bewaffnet bleiben“, sagt er, und: „Wir müssen fähig werden, zu vergeben und um Vergebung zu bitten.“

Eine Rede ohne Anklage, ohne Anspielungen auf Versäumnisse anderer, ohne die peinlichen Schrägheiten, die sich oft einstellen, wenn Politiker versuchen, religiöse Muster zu bedienen. Bis in die Wortwahl zeigt sich eine beachtliche Nähe zu der folgenden Ansprache von Franziskus.

„Ungleiche Verteilung als soziales Übel“

Auch dieser blickt über den Friedensschluss hinaus. Die Bürger müssten „in ihrer Freiheit geachtet und durch eine stabile Ordnung geschützt werden“. Als Ziel der Gesetzgebung benennt er, die strukturellen Ursachen für die Armut zu beseitigen, die Ausschließung und Gewalt erzeugen. „Vergessen wir nicht, dass die ungleiche Verteilung der Einkünfte die Wurzel der sozialen Übel ist.“

Friedensfackel Kolumbien

Alberto Pizzoli / AFP

Vor dem Präsidentenpalast wurde von Staatspräsident Juan Manuel Santos eine Friedensfackel entzündet

In der Hauptstadt macht sich Franziskus zur Stimme der Entferntesten, der Campesinos, „diejenigen, die ausgebeutet und geschunden werden, jene, die keine Stimme haben, weil man sie ihnen geraubt oder nicht gegeben beziehungsweise nicht zuerkannt hat“. Er klagt eine stärkere Teilhabe der Frauen ein, erinnert an die Gleichberechtigung aller ethnischen Gruppen.

Papst Friedensfackel

REUTERS/Stefano Rellandini

Im Licht einer Friedensfackel hielt Papst Franziskus seine Rede vor dem Präsidentenpalast

Vieles davon wird er bei anderen Gelegenheiten weiter ausführen, bei seinen Treffen mit den Bischöfen des Landes und den Leitungskomitees des Lateinamerikanischen Bischofsrats CELAM, bei seiner ersten großen Messe im Simon-Bolivar-Park. Besonders stark ist sein Zukunftsappell an die Jugend. Ihr spricht er bei einem Treffen mit Zehntausenden vor der Kathedrale Bogotas das Potenzial zu, „das Land aufzubauen, von dem wir immer geträumt haben“.

Lob des Papstes für die Jugendlichen

Die Jugendlichen sieht er als die entscheidende Generation. Vier Mal bittet er sie, den Älteren zu helfen - in all dem, bei dem sie, die Alten, zu lange hinter den Anforderungen zurückblieben.

Papst Jugendliche Bogota

REUTERS/Stefano Rellandini

Papst Franziskus lobte die Jugendlichen von Kolumbien

Fünf Reden standen für Franziskus allein am Donnerstag auf dem Programm, fast die Hälfte aller seiner Ansprachen des bis Sonntag dauernden Besuchs. Einen Schlüssel enthielt schon die erste, jene im Präsidentenpalast. Franziskus zitierte am Ende Gabriel Garcia Marquez, den großen kolumbianischen Nationalschriftsteller. Sie sei möglich, sagte der Papst mit den Worten Garcias, „die neue und mitreißende Utopie eines Lebens, bei dem niemand - bis zur Art des Todes - über einen anderen entscheiden darf, eines Lebens, in dem Liebe wirklich wahr und Glück möglich ist“.

Es war eine Anspielung auf „Hundert Jahre Einsamkeit“, Garcias vielleicht bekanntestes Werk, sein melancholisches Liebeslied auf sein Volk, das es nicht schafft, aus dem Schatten der Geschichte zu treten. „Es ist viel Zeit mit Hass und Rache vergangen“, sagte der Papst. „Die Einsamkeit, immer in Konfrontation zu leben, währt schon Jahrzehnte und riecht alt wie hundert Jahre.“ Er sei, so Franziskus, gekommen, um den Kolumbianern zu sagen, dass sie nicht allein seien bei ihrem Schritt heraus aus dieser muffigen Vergangenheit.

Papst fordert von Bischöfen „Mut zum Frieden“

Der Papst hat die Bischöfe Kolumbiens aufgerufen, tatkräftig an der Versöhnung in ihrer Heimat mitzuarbeiten. „Wir alle wissen, dass der Frieden eine besondere Form von Mut braucht“, sagte Franziskus bei einer knapp einstündigen Begegnung mit den rund 130 Bischöfen des südamerikanischen Landes am Donnerstagmittag (Ortszeit). Das Land müsse gegenseitige Vergebung wagen, trotz vieler Wunden, die noch nicht geheilt seien, so der Papst bei seiner Rede am Sitz des Erzbischofs von Bogota.

Krieg komme aus den „niedrigsten Beweggründen des menschlichen Herzens“, der Frieden dagegen treibe die Menschen an, über sich hinauszuwachsen. Es sei möglich, einen anderen Weg einzuschlagen, auch wenn die Trägheit einen dazu treibe, die gleichen Fehler wieder zu machen. In Kolumbien hatten sich die Regierung und die linke FARC-Guerilla im vergangenen Jahr nach fünf Jahrzehnten bewaffneten Kampfs auf die Umsetzung eines Friedensplans verständigt.

Für die Kirche verlangte der Papst die Freiheit, Versöhnung zu verkünden. Dazu brauche sie nicht „Bündnisse mit dieser oder jener Seite“ einzugehen. Kolumbien habe das Recht, vom Wort Gottes herausgefordert zu werden, von Gott, der fragt: „Wo ist dein Bruder?“ Diese Frage dürfe nicht verstummen, mahnte Franziskus, auch wenn die Gefragten nicht mehr tun könnten, als den Kopf zu senken und schamvoll einzugestehen, dass sie den Bruder verkauft hätten - „vielleicht um den Preis einer Dosis Rauschgift oder manch irriger Vorstellung von Staatsräson, mitunter wegen des unrichtigen Bewusstseins, dass der Zweck die Mittel heiligt“, wie der Papst hinzufügte.

Gleichzeitig rief er die versammelten Bischöfe zur Einheit - gerade angesichts der Vielseitigkeit und Komplexität der kolumbianischen Kirche. Sie sollten nicht müde werden durch offenen und brüderlichen Dialog Gemeinschaft aufzubauen; „und meidet heimliche Projekte wie die Pest“, wandte sich Franziskus wörtlich an die Bischöfe.

Der Papst erinnerte an die Kolumbienreisen seiner Vorgänger Paul VI. (1963-1978) und Johannes Paul II. (1978-2005), die dem Land bei ihren Besuchen 1968 und 1986 bereits wichtige Botschaften hinterlassen hätten. Franziskus verwies dazu auf den umfassenden Schutz des Lebens und den Schutz der Familien, in denen das Leben oft bedroht sei durch Alkohol und Gewalt oder die Abwesenheit der Väter. Er selbst habe keine Rezepte und wolle den Bischöfe auch keine Aufgabenlisten da lassen. Lediglich sollten sie immer wieder „von der stillen Kraft der Liebe Gottes“ reden.

„Habt keine Angst, die Stimme zu erheben“

In diesem Zusammenhang sei es wichtig, die Jugend ernst zu nehmen und einzubeziehen: „Habt keine Angst, ruhig die Stimme zu erheben und alle daran zu erinnern, dass eine Gesellschaft, die sich von der Illusion des Rauschgifthandels verführen lässt, dieses moralische Geschwulst, das mit der Hölle handelt und überall Korruption sät, mit sich mitschleppt und zugleich die Steuerparadiese füttert.“

Ausdrücklich forderte der Papst die Bischöfe auf, sich auch der afrokolumbianischen Menschen anzunehmen, die viel zur Kultur des Landes beigetragen hätten. Darüber hinaus legte er den Bischöfen die Kirche in Amazonien ans Herz. Von der Weisheit der indigenen Völker solle sich die Kirche in Kolumbien bereichern lassen. „Ich ermutige euch, überlasst die Kirche in Amazonien nicht sich selbst“, sagte Franziskus.

Ein Papst aus Margarine grüßt Franziskus

Einen ganz besonderen Gruß hat das Konditorei-Team des Hotels Tequendama Papst Franziskus bereitet, in dem sich das internationale Pressezentrum befindet. Im Foyer grüßt eine sieben Kilogramm schwere Franziskus-Skulptur die Gäste aus aller Welt. "Wir haben fünf Tage dafür gebraucht", berichtete Natalia Galvis, die 26 jährige Zuckerbäckerin. Mit drei Kollegen schuf sie in fünf Tagen eine sehr detailgetreue Abbildung des Papstes aus Argentinien. 

Es sei eine spezielle Margarine benutzt worden, die nicht so schnell zerlaufe, sagte Galvis. Das Hotel-Team sei bekannt für seine Skulpturen aus Margarine und Schokolade, gerade in der Weihnachtszeit.

Auf den Einwand, dass Franziskus, der sich als Papst der Armen sieht, so eine Verschwendung kritisch sehen könnte, betonte Galvis, dass die Margarine danach nicht entsorgt werde, sondern anschließend im Kühlschrank für das Schaffen neuer Skulpturen aufbewahrt werde. 

religion.ORF.at/KAP/APA/dpa

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