Religionspädagogen für Ende von Ethik-Schulversuch

Die beiden Theologen Martin Jäggle und Anton Bucher haben sich in der Wochenzeitung „Die Furche“ zum Ethikunterricht zu Wort gemeldet. Geht es nach ihnen, soll der seit 20 Jahren laufende Schulversuch Ethikunterricht, so wie er jetzt ist, nicht weitergeführt werden.

Dessen von der Regierung soeben beschlossene Verlängerung sei ein „Skandal“ und werden dem Wesen der Religionen nicht gerecht, so die zu den bekanntesten Religionspädagogen zählenden Experten in einem Gespräch der Wochenzeitung „Die Furche“ (aktuelle Ausgabe).

Pflichtfach Ethik und Religionen

Bei der Frage, wie es weitergehen soll, waren sich die beiden Experten allerdings uneins: Bucher befürwortete ein von den Religionsgemeinschaften gemeinsam organisiertes Pflichtfach „Ethik und Religionen“, Jäggle hingegen einen regional unterschiedlichen „kooperativen Religionsunterricht“ getrennt von einem zusätzlichen Ethikunterricht.

Kardinal Christoph Schönborn predigt im Stephansdom

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

Kardinal Christoph Schönborn: Religionsunterricht für ganzheitliche Bildung

Laut dem Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, stärkt der Religionsunterricht eine ganzheitliche Bildung. Religiöse Bildung lege einen Zugang zur heimischen Kultur, „die tief von christlichen Werten geprägt ist“. Lesen, Rechnen und Schreiben seien zwar die Grundlage, aber „mindestens genauso wichtig“ sei die Frage nach dem Sinn des Lebens, so Schönborn in seiner Kolumne in der Gratiszeitung „Heute“ (Freitag-Ausgabe) und genau darum gehe es im Religionsunterricht.

Schönborn: „Weg ins Leben finden helfen“

Im Mittelpunkt stünden die großen Fragen: „Was trägt, was tröstet im Leben? Wer gibt Antwort auf das Leid? Und auf den Tod“?, so Schönborn. Das gehe über eine bloße Wissensvermittlung hinaus. „Schule soll nicht nur Wissen vermitteln. Sie soll auch helfen, einen Weg ins Leben zu finden.“ Es gäbe also gute Gründe, wieso die religiöse Dimension von Bildung in der Verfassung verankert sei.

Mit dem Schulpaket wurde der seit 1997 existierende Schulversuch Ethikunterricht verlängert, bei dem an etlichen Standorten alle Schüler der Sekundarstufe II, die keinen Religionsunterricht besuchen, als „Ersatzfach“ Ethikunterricht erhalten. Bucher, der den Versuch bereits im Jahr 2000 im Auftrag des Bildungsministeriums evaluiert hatte, sah eine „Erweiterung“ der Diskussion seither, bezeichnete die Vorgangsweise jedoch als „Affront“ gegenüber den vielen Ethiklehrern: Sie hätten Zusatzausbildungen absolviert und unterrichteten Ethik ohne zu wissen, wie lange der Schulversuch fortgesetzt wird. „Das ist auch eine Frage des Taktes“.

„Nur nichts mit Religion zu tun haben“

Den politischen Stillstand um das Thema führte Jäggle einerseits auf historische Gegebenheiten zurück: Dass Kirche und Religion früher wie eine Kolonialmacht gewesen seien und etwa 1934 in SPÖ-Lokalen katholische Seelsorgestationen eingerichtet wurden, habe in der SPÖ den Reflex „nur nichts mit der Religion zu tun haben“ hinterlassen. „In der Geschichte wird der Preis irgendwann einmal bezahlt“, so der Theologe. Doch auch die Eigeninteressen der Kirchen und Religionsgesellschaften seien mitverantwortlich für die fehlende Bewegung, „es spießt sich bei der Frage: Gibt es etwas Allgemeines, worauf man sich verständigen kann?“

„Fragen der Religion keine ethischen“

Jäggle äußerte Kritik daran, Religion unter dem Etikett „Ethikunterricht“ laufen zu lassen. „Die zentralen Fragen der Religion sind keine ethischen“, begründete der Experte seine Haltung. Praktische Philosophie bzw. Ethik, Philosophie und Religion seien drei unterschiedliche Fächer, betonte er. Durchaus bringe das Modell eines von den Kirchen und Religionsgemeinschaften getragenen „kooperativen Religionsunterrichts“ Vorteile, etwa dass es ein „Lernen an Differenz“ erlaube.

Religionspädagoge Martin Jäggle

APA/Herbert P. Oczeret

Religionspädagoge Martin Jäggle: Mit Religionsunterricht Muslime integrieren

Religion existiere nämlich nicht als allgemeine Religion oder allgemeine religiöse Praxis, „sondern immer nur als konkret historisch verfasste Religionen“, so Jäggle. Auch würden erst durch den eigenen islamischen Religionsunterricht Muslime an der Schule integriert und Voraussetzungen für Kooperationen ohne Vereinnahmungen geschaffen.

Faktenwissen statt „Nachwuchsrekrutierung“

Bucher skizzierte hingegen die Grundzüge und Vorteile des von ihm konzipierten Schulfachs „Ethik und Religionen“, deren Inhalte die Religionsgemeinschaften gemeinsam entwickeln und auch gemeinsam in der Klasse - „in der alltäglichen Begegnung mit den anderen im Religionsunterricht“ - vermitteln sollten.

Vor allem werde es dabei um Faktenwissen gehen: Tiefenreligiöse Prägung oder kirchliche Sozialisation sei nicht Aufgabe der Schule, sondern der Familie oder Pfarre, so der Salzburger Theologe, der in den bestehenden Regelungen den Verdacht genährt sah, „dass es im Religionsunterricht weniger um die Bildung geht als um Nachwuchsrekrutierung“.

Religionslosigkeit wäre „Demütigung“

Nicht denkbar ist sowohl für Bucher als auch für Jäggle eine Abschaffung religiöser Bildung, wie laizistische Stimmen fordern, oder gar der konfessionellen Schulen. Dass auch religiöse Communitys Schulen betreiben, kennzeichne demokratische Staaten, sagte Jäggle. „Nur in totalitären Staaten gibt es das nicht.“

Wo Religion keinen Platz habe, habe auch nur ein sehr eingeschränktes Konzept von Bildung Platz, zudem geschähe dabei auch eine „institutionelle Demütigung“: „Die Nichtsichtbarkeit von Religion demütigt gerade die Leute, die einen Bezug zu Religion haben, da das, was sie im Innersten berührt, keinen Platz hat. Und es erschwert denjenigen, denen Religion fremd ist, religiöse Menschen zu verstehen“, so der Wiener Theologe.

Religionspädagoge Anton Bucher

Galila Verlag / Erika Mayer

Der Salzburger Theologe Anton Bucher

Eine „Verarmung“ wäre laut Bucher die Entfernung religiöser Elemente aus dem Bildungsbereich - deshalb, „da man weiß, dass Kinder von Natur aus religiöse Wesen sind. Riten, religiöse Jahresfeste, Symbole und so weiter sprechen sie an.“

Auch Politik uneins

Wie die Parteien vor der Nationalratswahl zum Thema Religions- bzw. Ethikunterricht stehen, hatte in dieser Woche der Katholische Familienverband abgefragt. Die Spitzenkandidaten von ÖVP und FPÖ, Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, sprachen sich dabei für verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler, die nicht den Religionsunterricht besuchen, aus.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sagte, der seit 1997 laufende Schulversuch Ethikunterricht solle ausgeweitet und ausgewertet werden. NEOS und Grüne befürworteten hingegen ein Pflichtfach „Religionen- und Ethikunterricht“ ab der ersten Schulstufe.

religion.ORF.at/KAP

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