Glettler: Tag des Judentums „Lerntag für die Kirche“

Dankbar über die in den vergangenen 50 Jahren erreichten Fortschritte in der Beziehung zwischen Judentum und Christentum hat sich der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler geäußert.

Glettler bezeichnete den „Tag des Judentums“ als „Lehr- und Lerntag für die Kirche“ und hob die gemeinsamen Wurzeln von Christentum und Judentum hervor. „Das Christentum ist ohne Judentum nicht vorstellbar. Alle Christen haben jüdische Wurzeln.“

„Wir dürfen Gott dankbar sein, dass in Sachen Freundschaft und gegenseitigem Verständnis seit der Veröffentlichung von ‚Nostrae aetate‘ so viel geschehen ist“, sagte der Bischof am Mittwoch im Innsbrucker Haus der Begegnung. In der „neuen Epoche“, die das 1965 promulgierte Konzilsdokument eingeleitet habe, seien Bemühungen um Dialog und ein tieferes gegenseitiges Verständnis sichtbar von Gott begleitet gewesen.

Beispiel Sieben-Tage-Woche

Glettler äußerte sich bei der Innsbrucker Veranstaltung zum „Tag des Judentums“, bei der der biblische Schabbat mit dem christlichen Sonntag verglichen wurde. Die Sieben-Tage-Woche mit ihrem wiederkehrenden Ruhetag sei jene jüdische Tradition, die mehr als jede andere von durchschlagendem Erfolg für die gesamte Menschheitsgeschichte gewesen sei, legte Hauptreferent Liborius Olaf Lumma vom Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie der Universität Innsbruck dar. Zu der Veranstaltung hatten Bischof Glettler sowie der evangelische Superintendent Oliver Dantine eingeladen.

Junge Menschen als Multiplikatoren

Für Juden und Christen gelte Gott als der Schöpfer und der Herr der Geschichte, und Gott sei es auch, der „in seiner unendlichen Güte und Weisheit den Einsatz für den Dialog“ segne. Damit der christlich-jüdische Dialog auch weiterhin Früchte hervorbringen könne, brauche es laut dem Bischof eine Nachwuchsförderung, „das heißt junge Menschen, die als Multiplikatoren die positive Wirkungsgeschichte von ‚Nostra aetate‘ fortschreiben können“.

Glettler zitierte den verstorbenen Kantor der jüdischen Gemeinde Graz, Richard Ames, wonach die vielen Gebote und Verbote im Judentum ein „Versuch Gottes, uns im Alltag zu stören“ seien. Wichtig sei, „dass wir uns neu um die Qualität der geistlichen Störanfälligkeit bemühen“, sagte der Bischof.

In einer Zeit globaler Nervosität und Unruhen verschiedenster Art, sei es notwendig, die Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung neu zu entfachen. „Wir haben den Auftrag, dieser Welt, die so voller Dissonanz ist, nicht den kleinsten Missklang hinzuzufügen“, verwies Gletter auf ein Schreiben der 1943 im Vernichtungslager Birkenau-Auschwitz hingerichteten Lehrerin Etty Hillesum.

Bünker warnt vor erstarkendem Antisemitismus

Auch in St. Pölten war ein diözesanes Bildungshaus Schauplatz des „Tag des Judentums“. Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker warnte in seinem Vortrag in St. Hippolyt vor einer derzeit dramatischen Zunahme des Antisemitismus durch Rechtsextreme, dem entschieden entgegnet werden müsse. „Als Christen sollten wir nicht müde werden, freundschaftliche Verhältnisse zu Jüdinnen und Juden zu schließen“, sagte Bünker, der zum Besuch von Synagogen und zum Essens-Einladen jüdischer Nachbarn aufrief.

Scharf kritisierte der Bischof allerdings Martin Luther: Der Reformator habe bei seinem Antisemitismus nicht nur Vorurteile seiner Zeit aufgenommen, sondern sei noch weiter gegangen, „man könnte es durchaus als Judenhass bezeichnen“, sagte Bünker.

Scharfe Kritik an Luther

Da sich später NS-Hauptverbrecher wie Julius Streicher auf den Reformator bezogen hätten, seien Luthers problematische Schriften „sogar ein eliminatorischer Ansatz“ geworden. Erklärbar sei Luthers Ablehnung dadurch, dass er die hebräische Bibel „genauso exklusiv ansah wie Juden“. Reformatoren und Juden hätten beide den theologischen Ansatz „Sola scriptura“ (lateinisch für „allein durch die Schrift“), kämen aber zu anderen Ergebnissen.

Allem Antijüdischen müssten die christlichen Kirchen sensibel begegnen, u.a. in Form guter Bibelübersetzungen. In der evangelischen Kirche sei man heute so weit, dass man auf die Mission von Juden verzichte und dass man „das Nein der Juden zu Jesus Christus ruhig aushalten“ könne, so der evangelische Bischof.

Tag des Judentums zur Selbstbesinnung

Der Tag des Judentums - in St. Pölten wurde er mitorganisiert vom Diözesankomitee Weltreligionen, der Philosophisch-Theologische Hochschule St. Pölten, der Kirchlich Pädagogische Hochschule Wien/Krems, dem Katholischen Akademikerverband - sei „gut geeignet zur Selbstbesinnung der Christen“.

Die Initiative zum „Tag des Judentums“ geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Auch in Italien, Polen und den Niederlanden wird der Tag des Judentums begangen. Das Datum für den Tag des Judentums ist bewusst gewählt: Den Geist dieses Tages sollen die Kirchen in die anschließende weltweite „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ (18. bis 25. Jänner) weiter tragen. Denn bei allen Trennungen der Christenheit untereinander sei allen Kirchen gemeinsam, dass sie im Judentum verwurzelt sind, so die Veranstalter.

religion.ORF.at/KAP

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