Islamexpertin: Wirtschaft für Frauen wichtig

Liselotte Abid, Islamexpertin am Institut für Orientalistik an der Universität Wien, sieht die wirtschaftliche Situation als maßgeblichen Faktor für die Verbesserung der gesellschaftlichen Position muslimischer Frauen an.

Für Musliminnen in Österreich sei besonders die Wahlfreiheit bei der Gestaltung ihrer Lebensentwürfe wichtig, sagte Abid am Donnerstag im Gespräch mit der APA. In fast allen muslimischen Ländern gebe es derzeit eine starke gesellschaftliche Dynamik für Veränderungen - nicht nur in Bezug auf Frauen, erklärte die Expertin im Vorfeld ihres Vortrags „Musliminnen zwischen ‚Frauenrolle‘ und Feminismus“ im Internationalen Dialogzentrum KAICIID in Wien.

Demokratisierung, friedliche Verhältnisse und eine ausgeglichene ökonomische Entwicklung wären jedoch für gerechtere Geschlechterverhältnisse entscheidend.

Problem Postkolonialismus

„Es hat keinen Sinn, über die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen zu diskutieren, wenn es die Arbeitsplätze schlicht und einfach nicht gibt“, so die am Institut für Orientalistik tätige Wissenschaftlerin, die zum Thema Frauenrechte und Gender in mehrheitlich muslimischen Ländern und Gemeinschaften forscht. Einer Entwicklung der Wirtschaft in den meisten muslimischen Ländern stünden jedoch neue Handelsbeschränkungen sowie Strukturen, die nach der kolonialen Ära aufrechtgeblieben seien, entgegen.

„Der globale ‚Süden‘ ist in wirtschaftlicher Hinsicht nicht aufgewertet worden“, so Abid. Die Wirtschaft in den meisten Ländern basiere einseitig auf der Ausbeutung von Rohstoffvorkommen oder auf Tourismus, wie zum Beispiel in Tunesien. Auch südlich der Sahara wirkten postkoloniale Interessen weiter, was nicht zuletzt dem Extremismus Zulauf bringe.

Weltwirtschaft und Religion im Fokus

Auch die ägyptische Ikone des Feminismus, Nawal El Saadawi, sieht laut Abid in der ungerechten Weltwirtschaftsordnung das gesellschaftliche Hauptproblem, das Geschlechtergerechtigkeit entgegenstünde. Jüngere Politikwissenschafterinnen und Feministinnen wie die Ägypterin Mona Eltahawy übten hingegen Kritik an Religion und den politischen Verhältnissen.

Einem Verständnis des Westens für die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen in muslimischen Ländern stünde eine „selektive Wahrnehmung“ entgegen, kritisierte Abid. Dazu würde eine teils oberflächliche mediale Berichterstattung beitragen, die sich auf Problembereiche betreffend Integration und muslimische Minderheiten in Europa konzentriere, ohne auch Kenntnisse über die unterschiedlichen Verhältnisse in muslimischen Ländern zu vermitteln, so die Wissenschaftlerin.

Selbstbewusste Musliminnen

„‚Die Muslimin‘" gibt es so nicht - genauso wenig, wie es ‚den Islam‘" gibt“, erinnerte sie. Auch unter den österreichischen Musliminnen gebe es eine große Diversität. Allgemein könne man jedoch feststellen, dass viele praktizierende Musliminnen ein hohes Selbstbewusstsein hätten und die junge Generation Wert auf Bildung lege, egal ob „mit oder ohne Kopftuch“, so Abid.

„Ich habe den Eindruck, dass sie die Wahlfreiheit sehr schätzen, die sie hierzulande bei der Gestaltung ihrer Lebensentwürfe im Allgemeinen haben“, sagte sie. „Frauenrechte und die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Partizipation spielen bei der Integration eine große Rolle, allerdings nicht im Sinne paternalistischer ‚Befreiungs‘-Ansätze“, erklärte die Wissenschaftlerin. Zum Recht auf individuelle Lebensgestaltung im Rahmen der bürgerlichen Freiheiten gehöre auch das Recht auf freie Religionsausübung.

religion.ORF.at/APA

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