Adam und Eva: Mächtiger Mythos vom Sündenfall
Die kurze Geschichte mit enormer Wirkkraft untersucht der Autor in seinem neuen Buch „Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Welt“. Denn trotz aller Belege durch die Wissenschaft habe der Mythos von der Schlange, die die ersten Menschen dazu verführt, vom Baum der Erkenntnis zu essen, und den daraus folgenden Interpretationen und Geschlechterrollen bis heute eine „rätselhafte Kraft“, so der Autor.
Public Domain/Yelkrokoyade
Bestimmend in allen Lebensbereichen
Greenblatt stellt einerseits die Frage, wie eine derartige Wirkung möglich ist, wie sehr sie diejenigen prägt, die sie hören, woher die Geschichte überhaupt kommt, und landet bei der Frage, was das Menschsein ausmacht. „Die Erzählung von Adam und Eva spricht uns alle an, handelt davon, wer wir sind, woher wir kommen, warum wir lieben, warum wir leiden.“
Judentum, Christentum und Islam deuten die Schöpfungsgeschichte unterschiedlich, etwa was die Gestalt des Verführers anlangt oder die Aufgaben, die Adam als erster Mensch von Gott aufgetragen bekommt. Aber die Geschichte von Adam und Eva, das damit verbundene Männer- und Frauenbild, ist ähnlich.
Rose Lincoln
Stephen Greenblatt
Der Professor für amerikanische und englische Literatur und Sprache in Harvard ist Pulitzer-Preisträger und zählt zu den bedeutendsten Shakespeare-Forschern.
Interpretationssache
Greenblatt spannt den Bogen weit: von den historischen Zusammenhängen, den Deutungen von Philosophen wie Philo von Alexandrien, Plato und Origines über die Übersetzungsgeschichte bis zu ausführlichen Beleuchtungen des Mythos in der Literatur- und Kunstgeschichte und modernen Interpretationen. So befassten sich einige Kommentatoren damit, wer eigentlich der „Böse“ in dem Spiel war. Adam selbst und nach ihm viele Interpreten beschuldigten Eva, Elend, Krankheit und Tod über die Menschen gebracht zu haben.
Andere Interpretationen sehen die Schlange als die Schuldige, Bischof Gregor von Nyssa hielt es für möglich, dass Adam von der Frucht aß, weil er das paradiesische Leben in seiner Schönheit und Vollkommenheit nicht mehr aushielt und sich danach sehnte, wieder zu Lehm zu werden, zu sterben. Und wieder andere dachten darüber nach, dass Gott wohl gewusst haben wird, dass die beiden die Frucht der Erkenntnis kosten würden.
Adam und Eva in Kunst und Literatur
Im umfangreichen Anhang des Buches findet sich eine Sammlung verschiedener Interpretationen der Szene, in der Adam und Eva von der verbotenen Frucht essen und fortan als Sterbliche leben müssen - angefangen beim ersten nachchristlichen Jahrhundert bis ins Jahr 2009.
Public Domain
Die Kunst hat wesentlich zur Verbreitung und Festigung der Geschichte von Adam und Eva beigetragen. Albrecht Dürer und Lucas Cranach der Ältere etwa fertigten ganze Serien von Adam-und-Eva-Darstellungen an. Von Dürer sind viele Detailstudien erhalten, die unter anderem die Haltung der Hand, die den Apfel hält, auf vielfältige Weise probiert.
Buchhinweis
Verlag Siedler
Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Welt. Siedler, 448 Seiten, 28,80 Euro.
Ein Kapitel ist der Literatur gewidmet, insbesondere John Miltons „Paradise Lost“ („Das verlorene Paradies“) von 1667. Mit dem epischen Gedicht habe der Autor Adam und Eva zu realen Figuren gemacht und Kirchenvater Augustinus’ Aufforderung, die Erzählung der Genesis buchstäblich zu nehmen, „bis dahin beispiellos, ja schockierend“ erfüllt.
Anstiftung zur Frauenverachtung
Die Geschichte, dass die ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden, beschreibt der Autor als eine, die die „ganze lange Geschichte unserer Ängste und Sehnsüchte“ zeigt. Die wenigen Verse hätten als Spiegel gedient. Befreiend und zerstörerisch zugleich, sei sie ein „Hymnus auf menschliche Selbsverantwortung und eine dunkle Fabel menschlicher Verworfenheit, eine Feier des Mutes und Anstiftung zu brachialer Misogynie“.
Mit der Wertigkeit der Frau befasste sich auch die Nonne Arcangela Tarabotti Anfang des 17. Jahrhunderts. Ihren Überlegungen zufolge geht aus der Bibel hervor, dass die erste Frau Adam nicht nur gleich- sondern höhergestellt sei. Denn dieser sei aus Lehm geformt worden, sie aber aus „edlerer Substanz, nämlich aus dem menschlichen Körper“. Zudem sei Adam außerhalb von Eden, Eva aber im Paradies ins Leben getreten.
Public Domain
Eva als Heldin
Dass die Genesis, die biblische Schöpfungsgeschichte und somit auch die Geschichte von Adam und Eva nicht vom Himmel gefallen ist, belegt Greenblatt unter anderem durch Verweise auf das Gilgamesch-Epos aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend. Auch die Nag-Hammadi-Schriften, die nicht in die kanonischen Schriften der Bibel aufgenommen wurden, behandeln diese Geschichte.
Allerdings erzählt Adam in der „Apokalypse des Adam“ seinem Sohn Seth, dass Eva ihn „ein Wort der Erkenntnis des ewigen Gottes“ gelehrt habe. Eva geht in dieser Darstellung als Heldin hervor, die den Menschen das Wissen bringt, das Gott ihnen vorenthalten wollte, nicht als Verführerin. Der Autor erwähnt auch einige andere Schöpfungsgeschichten aus verschiedenen Teilen der Erde.
Informativ und umfangreich
„Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Welt“ ist ein interessantes und informatives Buch, das es an Belegen nicht fehlen lässt und viele Zusatzinformationen liefert. Der Autor interessiert sich eigenen Angaben zufolge für die Schönheit, die Macht und den Einfluss von Erzählungen. Die Geschichte von Adam und Eva stelle dar, „auf welch seltsame Weise sich unsere Gattung zu Arbeit, Sex und Tod verhält“, so Greenblatt.
Nina Goldmann, religion.ORF.at