Alle chilenischen Bischöfe bieten Rücktritt an

Papst Franziskus hat in einem vertraulichen Dokument personelle Konsequenzen nach der Missbrauchskrise in der chilenischen Kirche angekündigt. Am Freitag haben alle Bischöfe des südamerikanischen Landes ihren Rücktritt angeboten.

Das teilte die Bischofskonferenz nach einem Treffen den Geistlichen mit Papst Franziskus am Freitag in Rom mit. „Wir alle in Rom anwesenden Bischöfe haben unsere Ämter in die Hände des Heiligen Vaters gelegt, damit er frei über jeden von uns entscheiden kann“, schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung. Franziskus könne nun - nach Belieben und ab sofort - den Rücktritt eines Bischofs annehmen oder ihn zurückweisen. Dies sei eine „Geste der Kollegialität und Solidarität“.

„Geste der Kollegialität“

Meldungen über bereits erfolgte Rücktritte einzelner Bischöfe werden mit der Erklärung nicht bestätigt. Verlesen wurde diese vom Generalsekretär der Bischofskonferenz, Weihbischof Fernando Ramos, sowie von Bischof Juan Ignacio Gonzalez von San Bernardo. Zusätzlich verlasen beide zwei ergänzende Präzisierungen, in denen sie sexuellen Missbrauch, aber auch Missbrauch von Macht und des Gewissens in der chilenischen Kirche einräumten. Fragen von Journalisten waren nicht zugelassen.

Papst Franziskus mit chilenischen Bischöfen

APA/AFP/Vatican Media/HO

Papst Franziskus muss nun über die Rücktrittsangebote der chilenischen Bischöfe entscheiden

Es reiche nicht aus, „nur die konkreten Fälle zu behandeln und die betreffenden Personen zu entfernen“, heißt es in einem Schreiben des Papstes, das der chilenische Sender Canal 13 in der Nacht zum Freitag veröffentlicht hatte. „Das - und das sage ich in aller Deutlichkeit - muss getan werden, aber es ist nicht genug. Es muss noch mehr geschehen“, so Franziskus.

Der Papst hatte das Dokument den 34 Bischöfen Chiles am Dienstag zu Beginn eines Treffens im Vatikan zur Aufarbeitung des Skandals in dem südamerikanischen Land übergeben. Die dreitägigen Exerzitien und Gespräche gingen am Donnerstagabend zu Ende. Für Freitagmittag wurde eine Pressekonferenz der Bischöfe in Rom angekündigt.

„Schmerzhafte Wunde“

In dem nun bekannt gewordenen, zehn Seiten langen Brief schreibt Franziskus, es gebe eine „schmerzende, offene Wunde“. Diese sei bislang mit einer Medizin behandelt worden, die anscheinend mehr geschadet als genutzt habe. „Es wäre ein schweres Versäumnis, die Probleme nicht an der Wurzel zu packen.“

Der Papst spricht von besorgniserregenden Erkenntnissen, die seine beiden Sonderermittler Erzbischof Charles Scicluna und der Rechtsexperte Jordi Bertomeu im Februar bei ihren Recherchen in Chile zutage gefördert hätten. So seien mehrere Geistliche, die wegen „sittenlosen Verhaltens“ entfernt worden seien, wieder in anderen Diözesen aufgenommen worden. Obendrein habe man ihnen Aufgaben mit „einem täglichen und direkten Kontakt zu Minderjährigen“ anvertraut.

„Perversion im kirchlichen Dasein“

Die Untersuchung zeige, dass es „grobe Fehler“ im Umgang mit Missbrauchsfällen gegeben habe, räumt Franziskus ein. Er empfinde „Scham“, weil in etlichen Fällen die Aufklärungsarbeit gezielt behindert worden sei.

Der Papst kritisiert zudem eine „elitäre Haltung“ einiger Geistlicher, die der Kirche schade, weil sie zu Spaltung und „geschlossenen Zirkeln“ führe. Solchen Personen gehe es nur darum, sich besonders zu fühlen - anders als die anderen. Weder für Jesus noch für ihre Mitmenschen interessierten sie sich wirklich. Eine solche Einstellung, so Franziskus, sei eine „Perversion im kirchlichen Dasein“.

„Angerichtete Schäden reparieren“

In einem auf Spanisch abgefassten Brief zum Abschluss des Treffens erwähnt der argentinische Papst die „feste Absicht“ der chilenischen Prälaten, „die angerichteten Schäden zu reparieren“. Von möglichen Bestrafungen oder Maßregelungen von Geistlichen im Zusammenhang mit der Affäre ist in dem Schreiben keine Rede.

Der Papst hatte vor einigen Wochen „schwere Fehler“ im Umgang mit dem Missbrauchsskandal in der chilenischen katholischen Kirche eingeräumt. In Chile sollen Sexualdelikte des früheren Pfarrers und Priesterausbilders Fernando Karadima jahrelang von der Kirche gedeckt worden sein. Vor allem Bischof Juan Barros soll ihn in Schutz genommen haben. Naoch im Januar hatte Franziskus bei seinem Besuch in Chile die Beschuldigungen gegen Barros Journalisten gegenüber harsch zurückgewiesen. Später entschuldigte er sich für seine Wortwahl und leitete neue Ermittlungen zu dem Skandal ein.

„Missbrauch von Minderjährigen, Macht und Gewissen“

„Angesichts dieser schmerzlichen Vorfälle des Missbrauchs - von Minderjährigen, von Macht und von Gewissen - haben wir vertiefend sowohl ihre Schwere wie auch die tragischen Folgen, welche sie vor allem für die Opfer hatten, angeschaut“, schrieb Franziskus. Im April äußerte er „Scham“ und „Schmerz“ angesichts des Leidens der Missbrauchsopfer. Am Wochenende vor den Treffen mit den Bischöfen hatte der Papst drei Missbrauchsopfer empfangen.

Die Vatikanjustiz hatte Karadima 2010 wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in den 80er und 90er Jahren schuldig gesprochen. Der Papst hatte Barros 2015 trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zum Bischof von Osorno ernannt. Katholische Gruppen in Barros’ Diözese verlangen vom Papst, den Bischof wegen seiner Beziehungen zu Karadima seines Amtes zu entheben.

Meditationen über Situation

Bereits zu Beginn der Beratungen am Dienstag hatte Franziskus jedem der 34 Teilnehmer einen Text mit einigen Themen zur Meditation übergeben. Diesen sollte jeder bis zur zweiten Zusammenkunft am Mittwochnachmittag studieren und dazu meditieren. Zwei weitere Treffen fanden am Donnerstag statt. Ob der Papst die Bischöfe darüber hinaus zu Einzelgesprächen bat, ist bisher nicht bekannt.

Theologe: Bedeutung für ganze Kirche

Nach Ansicht des spanischen Theologen Jordi Bertomeu hat das Treffen „eine große Bedeutung für die gesamte Kirche“. „Ich glaube, wir schreiben Geschichte“, sagte Bertomeu am Donnerstag. Zusammen mit dem maltesischen Erzbischof Charles Scicluna hatte er im Februar 64 chilenische Missbrauchsopfer befragt. Er erwarte demnächst Konsequenzen, so Bertomeu. Im Unterschied zu den Missbrauchsskandalen in den USA und in Irland gehe es in Chile nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um den von Macht.

Der Vatikan hatte das Treffen mit den Bischöfen Chiles als „synodalen Prozess“ angekündigt. Ziel sei es, „gemeinsam vor Gott die Verantwortung aller und jedes einzelnen bei diesen verheerenden Verletzungen zu prüfen“. Ferner gehe es um die Suche nach „angemessenen und nachhaltigen Veränderungen, um die Wiederholung solcher stets verurteilenswerten Taten zu verhindern“.

religion.ORF.at/dpa/AFP/KAP