Vilnius: Papst betet schweigend am ehemaligen Ghetto

Papst Franziskus hat in Litauen der Verfolgung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus gedacht. In Vilnius legte das Kirchenoberhaupt am Sonntag am Denkmal des ehemaligen Ghettos ein Blumengebinde nieder und betete schweigend.

Begleitet wurde Franziskus bei dem kurzen Aufenthalt von Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite und von der Präsidentin der jüdischen Gemeinde Litauens, Faina Kukliansky.

Papst Ghetto Vilnius

APA/AFP/Petras Malukas

Papst Franziskus hat in Litauen der Verfolgung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus gedacht

Räumung des Ghettos vor genau 75 Jahren

Das Ghetto von Vilnius war nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1941 eingerichtet worden. Zuletzt lebten dort rund 40.000 Juden unter elenden Bedingungen.

Vor genau 75 Jahren, am 23. September 1943, wurde das Ghetto endgültig geräumt. Die Einwohner fanden bis auf wenige den Tod durch Ermordung oder Deportation. Vilnius galt wegen seines über Jahrhunderte blühenden jüdischen Lebens einst als „Jerusalem des Nordens“.

Außerordentlicher Halt beim Ghetto

Insgesamt lebten in Litauen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs mehr als eine Million Juden. Die meisten kamen unter den Nationalsozialisten gewaltsam ums Leben. Die Kollaboration der nichtjüdischen litauischen Bevölkerung ist bis heute ein sensibles Thema. Im Besuchsprogramm des Papstes war der Halt beim Ghetto anfangs nicht vorgesehen.

Am Sonntagmorgen hatte Papst Franziskus bei einer Messe vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus gewarnt. Die nach dem Holocaust geborenen Generationen stünden in der Gefahr, solchen Ideologien wieder nachzulaufen, sagte er vor Zehntausenden Gottesdienstbesuchern in Kaunas.

Die katholischen Gläubigen müssten das Gedenken an die Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg wachhalten und „jeden neuen Keim dieser verderblichen Gesinnung rechtzeitig erkennen“.

Besuch der ehemaligen KGB-Zentrale

Anschließend besuchte der Papst das Museum in der ehemaligen Zentrale des Geheimdienstes KGB, das zeitweise auch die Gestapo und der NS-Geheimdienst SD nutzte.

Dabei besichtigte das Katholiken-Oberhaupt Folterzellen und den Exekutionsraum. Begleitet wurde der Papst vom Priester Sigitas Tamkevicius, der selbst in dem Gebäude einsaß und in Litauen als eine Symbolfigur für den kirchlichen Widerstand gegen die Sowjet-Herrschaft gilt.

„Litauer und Menschen verschiedener Nationen haben am eigenen Leib den Größenwahn derer erlitten, die sich anmaßten, alles zu kontrollieren“, hieß es in seinem Gebet. „Möge dein Schrei, Herr, uns von der geistigen Krankheit befreien, vor der wir als Volk nie sicher sind: unsere Väter, das Erlebte und Erlittene zu vergessen.“ Die Menschen sollten nicht „den vereinfachenden Parolen“ verfallen.

Weiterreise nach Lettland

Am Montag reist Franziskus weiter nach Lettland. Mit einem Besuch in Estland endet die Reise am Dienstag. Begleitete wurde der Besuch im Baltikum allerdings von einem vollkommen anderen Ereignis.

Der Vatikan schloss nach jahrzehntelangem Streit mit China ein historisches Abkommen zur Ernennung von Bischöfen. Das vorläufige Abkommen solle die Zusammenarbeit mit Peking verbessern und die gespaltene katholische Kirche in dem kommunistischen Land einen, teilte der Vatikan am Samstag mit. Die Annäherung stieß allerdings auf scharfe Kritik auch aus der katholischen Kirche.

Nach ihrer Machtübernahme hatten die Kommunisten 1949 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. Der Papst durfte noch nie zu einem Besuch nach China reisen.

religion.ORF.at/KAP/APA/dpa

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