Innerorthodoxer Streit: Ungeklärte Hierarchiefrage

Bei der Konfrontation zwischen Moskau und Konstantinopel geht es nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Rolle des Ökumenischen Patriarchats gegenüber den anderen autokephalen (eigenständigen) orthodoxen Kirchen.

In der Langzeitwirkung könne dies wichtiger sein als die Frage der verschiedenen „orthodoxen“ Gemeinschaften in der Ukraine, so die Stiftung „Pro Oriente“ am Montag unter Berufung auf den renommierten amerikanischen Orthodoxie-Experten Peter Anderson in einer Aussendung. Obwohl der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel keine mit dem Papst vergleichbare Vollmachten beanspruche, betone er nämlich dennoch, dass seine Aufgabe nicht nur ein Ehrenprimat sei, sondern eine begrenzte Führungsrolle in der orthodoxen Welt.

Diese Rolle werde vom Moskauer Patriarchat in Frage gestellt. Dieses sei der Auffassung, dass es keinen solchen Primat auf universaler Ebene im Hinblick auf die aktuell 14 autokephalen orthodoxen Kirchen gebe. Die Frage des universalen Primats sei auch für die Arbeit der internationalen Kommission für den offiziellen theologischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche von „außerordentlicher Bedeutung“, so „Pro Oriente“. Dieser Dialog sei auch durch die Auseinandersetzung der orthodoxen Kirchen untereinander über die Frage des universalen Primats behindert.

Ortskirchen wie Schafe ohne Hirten

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., äußerte sich bei der 50-Jahr-Feier der Orthodoxen Akademie von Kreta zum aktuellen Konflikt, so „Pro Oriente“. Wörtlich erklärte er: „Wenn das Ökumenische Patriarchat seine Verantwortung vernachlässigt und sich aus der interorthodoxen Szene verabschiedet, dann werden die anderen Ortskirchen wie Schafe ohne Hirten sein.“

Es werde zu kirchlichen Initiativen kommen, die „Demut aus dem Glauben“ mit „Hochmut aus politischer Macht“ vermischen. Deshalb gebe es die „Koordinationsrolle des Ökumenischen Patriarchats“ innerhalb der panorthodoxen Familie. Die Orthodoxie bedürfe des Ökumenischen Patriarchats, damit es nicht auf eine lose Verbindung von Kirchen reduziert werde.

Aufgabe des Ökumenischen Patriarchats sei demnach, auf die Einhaltung der kirchlichen und kanonischen Ordnung zu achten. Die Aufgabe als „liebende Mutterkirche“ und „erste Kirche der Orthodoxie“ komme dem Patriarchat von Konstantinopel zu, was sich historisch an den Ökumenischen Konzilen gezeigt habe.

Kirche in „Privatverein“ verwandeln

Die Probleme seien im 1. Jahrtausend die Häresien gewesen, im 2. Jahrtausend die Jurisdiktionsfragen, denn es gebe immer wieder die Tendenz, „die durch patriarchale und synodale Dekrete definierten kanonischen Grenzen zu ignorieren“. „Wenn wir unsere Einheit nicht bewahren, werden wir dafür verantwortlich sein, die Kirche in einen Privatverein verwandelt zu haben“, sagte der Patriarch in der Orthodoxen Akademie von Kreta.

Ohne das Moskauer Patriarchat beim Namen zu nennen, übte Bartholomaios I. scharfe Kritik an denen, die von Schisma sprechen. Diese „einfache Lösung“ werde von denen ins Spiel gebracht, die keine „gültigen kirchlichen oder kanonischen Argumente“ hätten, um ihre Rechte zu untermauern und ihre Sichtweisen zu stützen, „die oft nicht auf den kirchenrechtlichen Bestimmungen beruhen“. Diese Leute würden sich von der orthodoxen Kirche entfernen, wenn sie ihre Einsprüche in „so unkirchlicher Art“ vorbringen.

„Rasch“ Versammlung gefordert

In der Orthodoxie der arabischen und slawischen Welt genießt die russische Position starke Unterstützung, wogegen Konstantinopel kritisiert wird. So forderte der Heilige Synod des Patriarchats von Antiochien Bartholomaios auf, „rasch“ eine Synaxis (Versammlung) der Oberhäupter der autokephalen orthodoxen Kirchen einzuberufen. Die aktuellen Entwicklungen, denen sich die „orthodoxe Welt“ angesichts der Frage der Zuerkennung der Autokephalie (Selbständigkeit) für neue Kirchen gegenübersehe, müssten diskutiert werden. Es gehe darum, gemeinsame Lösungen zu finden, bevor „endgültige Entscheidungen“ in dieser Frage gefällt werden.

Die Kirche von Antiochien weise die Idee zurück, auf dem kanonischen Gebiet der Patriarchate oder der autokephalen Kirchen „parallele Jurisdiktionen“ zu errichten, „um Konflikte zu lösen“, heißt es im Blick auf die konstantinopolische Ukraine-Politik. Die Kirche von Antiochien bestehe auf der Notwendigkeit des Konsens-Prinzips im Hinblick auf kontroversielle Fragen der orthodoxen Welt. Diese Einstimmigkeit sei eine „wahrhafte Schutzmaßnahme der orthodoxen Einheit“.

Ukraine-Frage immer schwieriger

Auch das Oberhaupt der polnischen orthodoxen Kirche, Metropolit Sawa (Hrycuniak), ersuchte den Ökumenischen Patriarchen laut orthodoxia.info, ein Treffen der Primaten aller orthodoxen autokephalen Kirchen einzuberufen, um die Frage der kirchlichen Situation in der Ukraine zu diskutieren, die sich „Tag für Tag“ verschlimmere. Der Patriarch von Alexandrien, Theodoros II., brachte ebenfalls seine Unterstützung für die Moskauer Position im Ukraine-Konflikt zum Ausdruck. Er betonte, dass die orthodoxe Kirche „heilige Kanones - kirchenrechtliche Bestimmungen - hat, die zu respektieren sind und denen zu gehorchen ist“.

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. hatte die Oberhäupter aller orthodoxen autokephalen Kirchen über seine Sicht der Situation in der Ukraine informiert. Er schlug die Einleitung einer panorthodoxen Diskussion über die Ukraine-Frage vor. Der Pressesprecher von Patriarch Kyrill, P. Aleksander Wolkow, sagte dazu im Gespräch mit TASS am Freitag, das Moskauer Patriarchat könne keine panorthodoxe Diskussion in Form einer Synaxis einberufen, „weil dies das Vorrecht des ‚Ersten unter Gleichen‘, des Ökumenischen Patriarchen, ist“.

Patriarchen mit „Vorschlagsrecht“

Wenn man die offizielle Rangliste der Orthodoxie, die „Diptychen“, ansehe, sei der nächste der Patriarch von Alexandrien. Der Patriarch von Alexandrien könne gemeinsam mit den anderen „alten Patriarchaten“ - Jerusalem und Antiochien -„etwas vorschlagen“, um über die Tatsache zu diskutieren, dass Konstantinopel die Autokephalie für die Ukraine „ohne Zustimmung der anderen orthodoxen Kirchen“ verleihen wolle. Man müsse aber „geduldig“ sein, betonte Wolkow. Es gebe keine Notwendigkeit, irgendwelche Fristen zu setzen.

Die unter scharfem Moskauer Protest vom Ökumenischen Patriarchen für die Ukraine ernannten beiden Exarchen - Erzbischof Daniel Zelinskyj und Bischof Hilarion Rudnyk - trafen unterdessen am 5. Oktober mit dem Vorsitzenden des ukrainischen Parlaments Andriy Parubiy zusammen. Parubiy erklärte, dass der Besuch der beiden Exarchen die „väterliche Antwort“ des Ökumenischen Patriarchen auf die Appelle der Mehrheit der ukrainischen Parlamentarier zur Gewährung der Autokephalie für die ukrainische Kirche sei.

Alle orthodoxen Christen in der Ukraine würden die Entscheidung des Ökumenischen Patriarchen erwarten. Er sei überzeugt, dass es „vor dem Jahresende“ die gute Nachricht aus dem Phanar geben werde. Parubiy sprach eine offizielle Einladung an Patriarch Bartholomaios I. zum Besuch der Ukraine aus. Man werde sich freuen, wenn der Ökumenische Patriarch vor der Werchowna Rada das Wort ergreife. Es wäre ein „großes Symbol“ für die Ukraine, wenn der Ökumenische Patriarch nach Kiew käme.

religion.ORF.at/KAP

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