Der Bruch in der orthodoxen Kirche

Mit dem Konflikt der russisch-orthodoxen Kirche mit dem Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel bricht die orthodoxe Kirchengemeinschaft auseinander.

Es ist die tiefgreifendste Spaltung in der orthodoxen Christenheit seit Jahrhunderten. Zankapfel ist die vom orthodoxen Primas Bartholomaios I. in Aussicht gestellte Unabhängigkeit (Autokephalie) für die (ebenfalls gespaltene) orthodoxe Kirche in der Ukraine. Moskau, das die Ukraine als eigenes kirchliches Territorium beansprucht, will das verhindern.

Der Moskauer Metropolit Hilarion

Reuters/Vasily Fedosenko

Der Moskauer Metropolit Hilarion verkündete den Bruch mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel

Die russisch-orthodoxe Kirche ist die größte Nationalkirche und rechnet seit Jahrhunderten auch die Ukraine zu ihrem Gebiet. Moskau werde die Entscheidungen aus Konstantinopel nicht anerkennen, sagte der russisch-orthodoxe Metropolit Hilarion vor der Presse. Er warf Bartholomaios vor, die Kirche zu spalten. 1996 hatte das Moskauer Patriarchat im Streit um die Kirche in Estland schon einmal den Kontakt zu Konstantinopel ausgesetzt. Die politische Führung der Ukraine will im Konflikt mit Moskau den Einfluss der als feindlich empfundenen russischen Kirche zurückdrängen.

Glaubens- und Sakramentengemeinschaft

Zwischen 250 und 300 Millionen Menschen gehören weltweit zur orthodoxen Kirche. Sie gliedert sich in 14 eigenständige (autokephale) Patriarchate und Landeskirchen. Diese standen bisher alle in Glaubens- und Sakramentengemeinschaft, haben jedoch kein gemeinsames Oberhaupt. Unterschiede bestehen nur in den Kirchensprachen und liturgischen Sonderbräuchen.

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der seit 1991 amtierende Bartholomaios I., führt den Ehrenvorsitz über die ganze Kirchenfamilie, ist aber auch ihr Koordinator und Sprecher.

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I.

APA/AP/Lefteris Pitarakis

Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel ist seit 1991 Bartholomaios I.

Die 14 autokephalen Kirchen sind ihrer kirchlichen Rangordnung nach das Ökumenische Patriarchat (Patriarchat von Konstantinopel), das Patriarchat von Alexandrien, das Patriarchat von Antiochien, das Patriarchat von Jerusalem, das Patriarchat von Moskau (russisch-orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Belgrad (serbisch-orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Bukarest (rumänisch-orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Sofia (bulgarisch-orthodoxe Kirche), das Patriarchat von Georgien (georgisch-orthodoxe Kirche), die Kirche von Zypern, die Kirche von Griechenland, die Kirche von Polen, die Kirche von Albanien und die Kirche von Tschechien und der Slowakei.

Größte Teilkirche ist die russische

Dazu kommt die Kirche von Finnland als von allen anerkannte autonome Kirche. Die größte orthodoxe Teilkirche ist mit Abstand das Patriarchat von Moskau mit geschätzten 120 bis 150 Millionen Mitgliedern (inklusive der autonomen Teilkirchen in ehemaligen Sowjetrepubliken und in der weltweiten Diaspora).

In den vergangenen Jahren galt: Alle orthodoxen Kirchen haben die gleiche Glaubenslehre, die gleiche Liturgie, die gleiche Organisation und gleiche Kirchenstrukturen sowie das gleiche Kirchenrecht. Sie erkennen einander gegenseitig an und haben die volle Kircheneinheit (Liturgie- und Sakramentengemeinschaft), weshalb sie auch als kanonische orthodoxe Kirchen bezeichnet werden. Auch wenn die Gottesdienste in der Sprache der einzelnen Nationalkirchen zelebriert werden, so sind die Liturgie, die Sakramente und alle Gottesdienste identisch.

Ukraine als russisches Territorium beansprucht

„Von nun an, bis das Patriarchat von Konstantinopel seine dem Kirchenrecht widersprechenden Entscheidungen aufgibt, ist es für alle Geistlichen der russisch-orthodoxen Kirche unmöglich, mit Klerikern der Kirche von Konstantinopel zu konzelebrieren, und für die Laien unmöglich, die von dieser Kirche gespendeten Sakramente zu empfangen“, hieß es in einer Erklärung des Leitungsgremiums der Kirche, des Heiligen Synods, nach einer Sitzung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk.

Der Moskauer Patriarch Kyrill

APA/AFP/Petrov Belta

Der russische Patriarch Kyrill

„Zu unserem großen Bedauern ist es uns unmöglich, die eucharistische Gemeinschaft mit ihren Bischöfen, dem Klerus und den Laien fortzusetzen“, so die russisch-orthodoxen Bischöfe unter dem Vorsitz von Patriarch Kyrill.

Keine weltweite Kirchenstruktur

Alle autokephalen und autonomen Kirchen haben ihren traditionellen und historisch bedingten „kanonischen Bereich“, in dem sie wirken. Die Einmischung in das kanonische Gebiet einer anderen autokephalen Kirche ist nicht gestattet, und darüber wird streng gewacht. Doch mit diesen Grundsätzen kann schon längst keine weltweite Kirchenstruktur mehr legitimiert und strukturiert werden.

Russlands Orthodoxie

988: Mit der Taufe seines Volkes übernimmt Großfürst Wladimir der Heilige für das Kiewer Reich das Christentum von Byzanz.

1037: Gründung der Kiewer Metropolie, die 1240 nach Wladimir und 1325 nach Moskau verlegt wird.

1054: „Großes Schisma“: Bruch zwischen Ost- und Westkirche durch den gegenseitigen Bannfluch von Papst Leo IX. und Patriarch Michael Keroullarios.

1453: Konstantinopel, das „zweite Rom“, fällt in die Hand der Türken - Ende des Oströmischen Reiches. Moskau versteht sich fortan als Hort der Orthodoxie und als „drittes Rom“.

Viele Orthodoxe haben ihre Ursprungsländer verlassen. Der Weggang aus dem ursprünglichen kanonischen Gebiet und die Ansiedlung in Gebieten, in denen kein kanonisches Gebiet irgendeiner orthodoxen Kirche besteht, wird als Diaspora bezeichnet. So haben fast alle orthodoxen Nationalkirchen auf den Territorien von Nord- und Südamerika, Australien und Westeuropa kirchliche Gemeinden und sogar richtige Diözesen organisiert, deren Gebiete sich räumlich überschneiden, was laut orthodoxem Kirchenrecht eigentlich nicht zulässig ist, denn in jedem Territorium sollte es nur einen für alle orthodoxen Christen zuständigen Bischof geben.

Um diesem Problem zu begegnen, wurden in den vergangenen Jahren in vielen Ländern der Diaspora orthodoxe Bischofskonferenzen eingerichtet, in denen alle dort vertretenen orthodoxen Kirchen präsent sind. Diese Bischofskonferenzen sollen die Einheit und Zusammenarbeit unter den Orthodoxen stärken. Den Vorsitz hat jeweils der örtliche Vertreter des Ökumenischen Patriarchats inne.

Orthodoxe in Österreich

In Österreich gehören der orthodoxen Bischofskonferenz folgende Kirchen an: Das Patriarchat von Konstantinopel (griechisch-orthodox), das Patriarchat von Antiochien, die russisch-orthodoxe Kirche, die serbisch-orthodoxe Kirche, die rumänisch-orthodoxe Kirche, die bulgarisch-orthodoxe Kirche und die georgisch-orthodoxe Kirche. Den Vorsitz in der Konferenz führt Metropolit Arsenios (Kardamakis) als Vertreter des Ökumenischen Patriarchats.

Orthodoxer Metropolit Arsenios Kardamakis

APA/Georg Hochmuth

Metropolit von Austria, Arsenios (Kardamakis)

Teilkirchen zusätzliches Problem

Ein zweites, noch gravierenderes Problem: Mit der Entstehung neuer Staaten (auf den Territorien der früheren Sowjetunion bzw. Jugoslawiens) spalteten sich orthodoxe Teilkirchen ab, die von den anderen aber nicht oder nur teilweise anerkannt wurden. So gibt es neben den 14 autokephalen Kirchen noch zahlreiche weitere orthodoxe Kirchen, deren Status (autokephal oder autonom) nicht von allen 14 autokephalen Kirchen anerkannt wird.

Dabei handelt es sich u. a. beispielsweise um die orthodoxe Kirche in Amerika, die orthodoxe Kirche in Estland, die mazedonisch-orthodoxe Kirche und jene zwei orthodoxe Kirchen in der Ukraine (Kiewer Patriarchat und Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche), die nun von Konstantinopel als nicht mehr schismatisch (abgespalten) erklärt wurden.

Im Ukraine-Konflikt haben sich diese innerorthodoxen jurisdiktionellen Defizite zugespitzt, die aber bereits seit vielen Jahrzehnten aufgrund vielfacher unterschiedlicher politischer und kirchlicher Interessen nicht gelöst werden konnten.

religion.ORF.at/KAP/AFP/dpa

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