Bischof Bünker: „Brauchen mehr Europa“

„Europa ist ein Zukunftsprojekt und keine Vergangenheit, die beschworen werden soll, wie die Fiktion eines ‚christlichen Abendlandes‘". Das hat der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker beim Reformationsempfang am Mittwoch gesagt.

Bei dem Festakt der evangelischen Kirchen Österreichs anlässlich des Reformationstages am 31. Oktober plädierte Bünker für „mehr Europa, als wir heute haben.“ In seinem Vortrag im Wiener Odeon-Theater stellte Bünker „angesichts aktueller Herausforderungen“ die Frage, „wie es weitergehen kann mit Europa. Kann der bisherige Weg einfach fortgesetzt werden? Wohl kaum!“

Für Bünker war es der letzte Reformationsempfang als amtierender Bischof, im kommenden Mai wählt die Synode eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger.

Mitschuld an „Urkatastrophe“

Im Gedenkjahr 2018 hob Bünker mit Blick auf das Ende des Ersten Weltkrieges fünf Fragen hervor, die zu behandeln seien, „wenn wir uns der Vergangenheit stellen und unser Erinnern etwas für die Gegenwart und Zukunft austragen soll“. Diese Fragen betrafen die „Mitschuld von Kirche und Theologie“ am Ausbruch des Krieges, die Rechte von Minderheiten, Flucht und Migration, Erinnerung und Versöhnung, sowie die demokratische Kultur und Zivilgesellschaft.

Niemand habe 1913 damit gerechnet, „dass die durch eine globalisierte Wirtschaft miteinander verbundenen Länder und die miteinander verwandten Königs-und Kaiserhäuser, alle durch das Christentum geprägt, gegeneinander je noch Krieg führen könnten. Und doch ist es geschehen.“

Michael Bünker

Uschmann

Bischof Michael Bünker nahm in seiner Rede stark auf politische Themen Bezug

Auf die „Urkatastrophe“ des Ersten Weltkriegs folgte eine „ganze Reihe von präzedenzlosen Gewaltereignissen“. Evangelische Kirchen müssten sich heute fragen, wo und wie sie dazu beigetragen hätten und auch, wo sie „womöglich auch heute blind und unkritisch“ seien.

„Religiöser Trachtenverein“

Durch die Nationalstaatenbildung nach dem Ersten Weltkrieg sei zudem die Frage der Minderheiten virulent geworden, die auch die Evangelischen in Europa – knapp zehn Prozent der gesamten Bevölkerung – stark betreffe.

Als Diasporakirche habe die Evangelische Kirche die Aufgabe, Verantwortung für das Ganze der Gesellschaft zu übernehmen, stehe aber auch immer in der Gefahr, „eine Art ‚religiöser Trachtenverein‘ zu werden, wo man sich nur noch um sich selbst und die eigene Tradition und den eigenen Bestand kümmert“, sagte Bünker in Anlehnung an ein Zitat des evangelischen Theologen Wilhelm Dantine.

Frage nach „europäischer Wertegemeinschaft“

Deutliche Kritik äußerte Bünker an der Rede von der „europäischen Wertgemeinschaft“: „Was diese Werte wirklich gelten, sehen wir ungeschminkt im Mittelmeer. Jeder oder jede Siebente überlebt nicht, bis zur Mitte des Jahres 2018 sind beinahe 1600 Menschen ertrunken. Aber Seenotrettung ist ein Gebot der Menschenrechte.“

Hier müssten Staaten eingreifen und könnten sich nicht auf Hilfsorganisationen verlassen. „Wir setzen uns ein für eine gemeinsame europäische, an den Werten der Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen ausgerichtete Politik. Wir sind dankbar für Kirchen und Gemeinden, die sich für den Schutz, die Begleitung und Integration von Flüchtlingen, von Migranten und Migrantinnen einsetzen und wollen diesen Einsatz würdigen und stärken“, so Bünker.

Forderung nach „lösungsorientiertem Gespräch“

Bünker forderte auch eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur, auch wenn er deren Schwierigkeiten eingestand: „Die Vielfalt der nationalen Großerzählungen macht ein gemeinsames Erinnern beinahe unmöglich. Aber wenn Europa mehr sein soll als eine große Freihandelszone mit gemeinsam gesicherter Außengrenze, dann braucht es den ‚Kampf um die europäische Erinnerung‘“.

Er ortete zudem eine Bedrohung für die „Europa kennzeichnende offene und pluralistische Gesellschaft, in der die Evangelische Kirche, die Diasporakirche, ihre Aufgabe wahrnimmt“. Bünker plädierte daher, auch angesichts der bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019, für das „unverdrossene, sachliche und lösungsorientierte Gespräch über die wirklichen Probleme und die wirklichen Herausforderungen, vor denen wir stehen.“

Zukunft mit Gott

Dazu zählte der Bischof den Klimawandel, die wachsende Ungleichheit in und zwischen den Ländern, die Digitalisierung, Globalisierung, und „vor allem den solidarischen Zusammenhalt in der Gesellschaft.“ Abschließend sagte Bünker mit Blick in die Zukunft: „Was aus Europa wird, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass christlicher Glaube eine ‚unverbrauchte Zukunft‘ eröffnet, die aus der Versöhnung mit Gott hervorgeht.“

religion.ORF.at/epdÖ

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