Marx kritisiert „päpstliches Geheimnis“ bei Missbrauch

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat die Anwendung des „päpstlichen Geheimnisses“ bei kirchlichen Prozessen gegen Missbrauchstäter infrage gestellt.

Beim internationalen Antimissbrauchsgipfel im Vatikan sagte Marx am Samstag, er sehe keine „zwingenden Gründe“, warum das „päpstliche Geheimnis“ bei der Verfolgung von Missbrauchsstraftaten Anwendung finden sollte. Deshalb sei der Hinweis auf das „päpstliche Geheimnis“ kein überzeugender Einwand gegen die Forderung nach Transparenz und Nachvollziehbarkeit in Missbrauchsprozessen.

Kardinal Reinhard Marx

APA/PFP/Thomas Kienzle

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat die Anwendung des „päpstlichen Geheimnisses“ bei kirchlichen Prozessen gegen Missbrauchstäter infrage gestellt

Forderung nach öffentlichem Verfahren

Auch der juristische Grundsatz der Unschuldsvermutung für die Beschuldigten widerspreche nicht der Forderung nach Transparenz. Im Gegenteil sei ein transparentes, öffentliches und klar geregeltes Verfahren der „beste Sicherungsmechanismus gegen Vorurteile oder falsche Beurteilungen eines Falls“.

Dadurch werde „ein Grad an Glaubwürdigkeit geschaffen, der die Wiederherstellung des Rufs einer zu Unrecht beschuldigten Person ermöglicht“. Marx betonte weiter: „Nicht Transparenz fügt der Kirche Schaden zu, sondern begangene Missbrauchstaten, mangelnde Transparenz und Vertuschung in deren Folge.“

Das „päpstliches Geheimnis“

Als „päpstliches Geheimnis“ werden strenge Geheimhaltungsnormen für bestimmte Rechts- und Verwaltungsvorgänge in der katholischen Kirche bezeichnet. Ihre Verletzung steht unter Strafe. Der Geltungsbereich wurde 1974 neu geregelt.

Heute werden vom „päpstlichen Geheimnis“ vor allem Vorgänge bezüglich der Ernennung neuer Bischöfe sowie die juristischen Verfahren nach Anzeigen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen geschützt.

Auch die geltende Norm aus dem Jahr 2001 mit dem Titel „Sacramentorum sanctitatis tutela“ stellt Missbrauchsverfahren in Artikel 30 unter das „päpstliche Geheimnis“. Kritiker des kirchlichen Umgangs mit Missbrauchsfällen hatten wiederholt das „päpstliche Geheimnis“ als eine Ursache für die Vertuschung in Missbrauchsfällen bezeichnet.

Kardinal Reinhard Marx

Reuters/Alessandro Bianchi

Kardinal Marx verlangt Transparenz in „kirchlicher Verwaltung“

„Kirchliche Verwaltung braucht mehr Transparenz“

In seinem Vortrag plädierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz insgesamt für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Verwaltungsvorgängen in der Kirche.

„Menschen, die mit einer transparenten Verwaltung zu tun haben, können Fehler und Irrtümer im Verwaltungshandeln aufdecken und sich dagegen wehren“, betonte der Erzbischof von München. Das sei insbesondere wegen der negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen wichtig.

Kardinal Marx hob hervor, dass sich das Handeln der Kirche in der Welt nicht strikt und alleine auf das Geistliche beschränken könne. „Eine Vernachlässigung des weltlichen Aspekts der Kirche und dessen eigener Gesetzmäßigkeiten würden der Wirklichkeit der Kirche nicht gerecht werden.“

Um alle Aufgaben, die sich aus dem Sendungsauftrag der Kirche ergeben, erfüllen zu können, brauche es eine funktionierende Verwaltung, „die sich am Ziel der Kirche orientieren muss und an der Leitlinie der Gerechtigkeit“, so der Kardinal.

„Machtmissbrauch in der Verwaltung“

Die Macht der Verwaltung könne auch missbraucht werden. „Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Verwaltung ihre dienende Funktion für das Zusammenleben und Zusammenarbeiten unterschiedlicher Menschen für die Erreichung höherer Ziele vergisst.“

Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, so Marx, sei zu einem nicht geringen Teil auf den Machtmissbrauch im Bereich der Verwaltung zurückzuführen. „Verwaltung hat hier nicht dazu beigetragen, dass der Sendungsauftrag der Kirche erfüllt wird, sondern im Gegenteil, dass er verdunkelt, diskreditiert und verunmöglicht wird.“

Gerade deshalb sei Nachvollziehbarkeit und Transparenz in der Verwaltung alternativlos. Sie seien beständige Aufgaben, zu deren Erfüllung es hilfreich sein könne, sich auch von außerhalb der Kirche Unterstützung von entsprechenden Fachleuten zu holen, sagte der Kardinal.

„Entscheidend ist dabei immer wieder die persönliche Haltung derer, die in der Verwaltung arbeiten und derer, die sie verantworten. Im Kern geht es um die Frage, inwiefern man bereit ist, sein eigenes Handeln vor anderen zu rechtfertigen und sich in gewissem Rahmen kontrollieren zu lassen.“

Forderung nach kirchlichen Verwaltungsgerichten

Weil es im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen auch zu einem Machtmissbrauch im Bereich der Verwaltung gekommen sei, plädierte der deutsche Episkopatsvorsitzende für die Einrichtung kirchlicher Verwaltungsgerichte. Marx erinnerte daran, dass nach Missbrauchsermittlungen Akten vernichtet oder erst gar nicht erstellt wurden.

„Nicht die Täter, sondern die Opfer wurden reglementiert und ihnen wurde Schweigen auferlegt. Festgelegte Verfahren und Prozesse zur Verfolgung von Vergehen wurden außer Kraft gesetzt. Die Rechte der Opfer wurden gleichsam mit Füßen getreten und sie der Willkür Einzelner ausgeliefert“, führte der Kardinal aus.

Damit kirchliche Verwaltung künftig dem eigenen Anspruch gemäß handle, müssten Verwaltungsvorgänge transparent und nachvollziehbar sein. Nur dann könnten sich Menschen gegen Fehler im Handeln der Verwaltung wehren. „Deswegen ist auch die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche sehr angezeigt und notwendig“, sagte Marx.

Im geltenden Kirchenrecht haben lediglich Priester und Bischöfe die Möglichkeit, gegen kirchliche Verwaltungsakte und Strafurteile Widerspruch einzulegen. Die Einführung einer allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche wurde von Fachjuristen seit der Inkraftsetzung des modernen Kirchenrechts im Jahr 1983 immer wieder diskutiert.

religion.ORF.at/KAP

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