Kardinal Pell wegen Kindesmissbrauchs verurteilt

Der australische Kardinal George Pell ist der Vergewaltigung eines Chorknaben und sexueller Nötigung eines weiteren Buben schuldig gesprochen worden.

Wenige Tage nach dem Antimissbrauchsgipfel im Vatikan hob Richter Peter Kidd am Dienstag in Melbourne das totale Berichterstattungsverbot über den Prozess gegen den 77-Jährigen auf und bestätigte das bereits am 11. Dezember 2018 von der Jury einstimmig gefällte Urteil, wie australische Medien berichteten. Der ehemalige Finanzchef des Vatikan und Vertraute von Papst Franziskus ist weltweit der ranghöchste katholische Würdenträger, der wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt und verurteilt wurde.

Vatikan: Schmerzhafte Nachricht

Der Vatikan will auf ein Urteil in einem Berufungsverfahren warten. Der Kardinal habe seine Unschuld erklärt und habe das Recht, sich bis zur letzten Instanz zu verteidigen, erklärte Vatikan-Sprecher Alessandro Gisotti am Dienstag in Rom. Gisotti sprach auch von einer „schmerzhaften Nachricht“ - mehr dazu in Vatikan: Pell-Schuldspruch „schmerzhafte Nachricht“.

Kardinal George Pell verlässt das Gericht in Melbourne, Australien

APA/AFP/Asanka Brendon Ratnayake

Pell ist der ranghöchste katholische Geistliche weltweit, der wegen Missbrauchs verurteilt wurde

Als Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats ist Pell seit Juni 2017 beurlaubt. Am Tag nach dem unter Ausschluss der Medienöffentlichkeit verkündeten Urteil im Dezember 2018 entließ Papst Franziskus den Australier und zwei weitere Kardinäle aus dem einflussreichen Kardinalsrat für die Kirchenreform. Am Mittwoch dieser Woche wird das Gericht in Melbourne die Beratungen über die Länge der Gefängnisstrafe für Pell aufnehmen. Die Entscheidung wird für die kommende Woche erwartet. Die Verteidiger Pells kündigten Berufung gegen die Verurteilung an.

Nachrichtensperre aufgehoben

Die Aufhebung der gerichtliche verordneten Nachrichtensperre wurde laut Medien mit dem Verzicht der Staatsanwaltschaft begründet, ein zweites Verfahren gegen Pell weiter zu verfolgen. Darin ging es um Vorwürfe, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen. Mit dem Berichterstattungsverbot wollte die Justiz verhindern, dass das zweite Verfahren beeinträchtigt wird.

Das Gericht habe es als erwiesen angesehen, dass Pell vor 22 Jahren als Erzbischof von Melbourne in der Kathedrale der australischen Metropole zwei 13 Jahre alten Buben sexuell missbraucht hat, berichteten australische Medien am Dienstag. Die Verurteilung bezieht demnach auf eine Vergewaltigung sowie vier weitere Fälle sexueller Nötigung.

Emotionale Erklärung eines Opfers

In einer emotionalen Erklärung bat der Mann, der als Bub von Pell missbraucht worden war, die Medien um Achtung seiner Privatsphäre. Er wolle keine Interviews geben, seine junge Familie und seine Eltern schützen. „Ich bin kein Sprecher zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern. Es gibt viele andere Opfer und Aktivisten, die diese Rolle mutig ausfüllen“, hieß es in der in australischen Medien im Wortlaut veröffentlichten Erklärung.

Der Mann äußerte sich am Dienstag schriftlich und erklärte, für ihn sei der Fall „noch nicht vorbei“. „Wie viele Überlebende habe ich Scham, Einsamkeit, Depressionen und Kämpfe erlebt. Wie bei vielen Überlebenden hat es Jahre gedauert, bis ich die Auswirkungen auf mein Leben verstanden habe.“ Er habe jemandem vertraut, den er hätte fürchten müssen - und habe sich später vor Menschen gefürchtet, denen er hätte vertrauen müssen.

„Urteil ist ein Zeichen“

Das zweite Missbrauchsopfer war 2014 an einer Überdosis Heroin gestorben. Im Namen des Vaters des verstorbenen Mannes erklärte Anwältin Lisa Flynn: „Dieses Urteil ist ein Zeichen für Missbrauchsopfer, dass sie das Recht haben, ihre Geschichten zu erzählen. Die Gerechtigkeit hat gesiegt und die Nation hört euch endlich zu.“

Pell war von 1987 bis 1996 Weihbischof in und von 1996 bis 2001 Erzbischof von Melbourne. Der Kardinal bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets energisch. Zu Beginn des Hauptverfahrens im August 2018 plädierte Pell auf „nicht schuldig“. Vor Prozessbeginn demonstrierte der Kardinal öffentlich Gelassenheit.

Der Schuldspruch gegen Pell ist ein neuer harter Schlag gegen die katholische Kirche. Der Kardinal war lange Zeit einer der einflussreichsten katholischen Geistlichen. 2003 wurde er in das Kardinalskollegium berufen, das unter anderem den Papst wählt.

Enger Berater des Papstes

2014 machte Papst Franziskus ihn zum Finanzchef des Vatikan - ein Posten, von dem er wegen der Missbrauchsvorwürfe seit geraumer Zeit beurlaubt ist. Pell gehörte auch dem sogenannten C9-Kardinalsrat an, einem Beratergremium von Papst Franziskus. Er wurde aber im vergangenen Jahr ausgeschlossen.

Die katholische Kirche sieht sich seit Jahren mit zahlreichen Missbrauchsskandalen in vielen Ländern konfrontiert. Dabei geht es auch um Vorwürfe von weitreichender Vertuschung. Erst am Sonntag war im Vatikan ein mehrtägiger Krisengipfel zum Thema Kindesmissbrauch zu Ende gegangen.

Papst Franziskus hatte zum Abschluss des Treffens versichert, die Kirche werde künftig jeden einzelnen Fall mit „äußerster Ernsthaftigkeit“ verfolgen. Ein Priester, der Kinder missbrauche, sei ein „Werkzeug des Satans“. Konkrete Maßnahmen kündigte der Papst aber nicht an.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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