Kanzler bestätigt Einführung von Ethikunterricht

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Einführung des alternativen Pflichtgegenstands Ethik an Schulen bestätigt. Der Beginn der ersten von mehreren Phasen ist im Schuljahr 2020/21, kündigte er am Dienstag bei einem Pressetermin an.

Nichts stehe nun mehr im Weg, den Ethikunterricht, den es bisher nur in zahlreichen Schulen als Schulversuch gab, flächendeckend anzubieten. Es sei ein „wichtiger und notwendiger Schritt“, nach Jahrzehnten nun „vom Reden ins Tun zu kommen“, so der Kanzler im BG/BRG Pichelmayergasse (Wien-Favoriten).

Bildungsminister Heinz Faßmann und Kanzler Sebastian Kurz im Rahmen einer PK zum Thema "Ethikunterricht"

APA/Roland Schlager

Bildungsminister Heinz Faßmann und Kanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema Ethikunterricht

Es sei nicht der Ansatz der Regierung, den im Konkordat verankerten Religionsunterricht abzuschaffen, sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Der Ethikunterricht werde künftig allen Schülern, die den Religionsunterricht nicht besuchen, „Moral, Wertebewusstsein und Sittenlehre“ vermitteln und unter anderem das Miteinander in der Gesellschaft thematisieren. Das neue Schulfach werde zunächst in der ersten Phase in der Sekundarstufe II - in der AHS-Oberstufe und an Polytechnischen Schulen - eingeführt und solle später auch auf die Sekundarstufe I ausgeweitet werden.

Zusammenhalt der Gesellschaft

„Ethik wird in Zukunft noch wichtiger werden“, begründete Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) den Schritt. Die Kirche sei immer weniger die normgebende Kraft, doch sei eine solche Kraft für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig. Über die Förderung des ethischen Verständnisses im Schulunterricht werde zu dem nötigen „gemeinsamen Fundament“ beigetragen.

Faßmann gab bei der Pressekonferenz auch Einblicke in die geplanten Inhalte des Ethikunterrichts. Beim ersten der drei Themenbereiche mit dem Titel „Ich und du“ werde es um den gegenseitigen Respekt sowie um den Umgang mit Konflikten gehen, bei einem weiteren („Wir und die Welt“) unter anderem um Nachhaltigkeit, die Nord-Süd-Problematik, das Konsumverhalten und Reflexionen über den Umgang mit Technik - „ob der Mensch die Technik steuert oder die Technik den Menschen“. Im dritten Schwerpunkt „Überblick verschaffen“ stünden die Weltreligionen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie verschiedene philosophische Strömungen im Zentrum.

1.500 Lehrkräfte nötig

Die Vorbereitungen für das neue Fach und Klärungen der offenen Fragen wie etwa nach dem Lehrplan würden „schon einigermaßen gut“ laufen, befand der Unterrichtsminister. Er rechne mit einem Bedarf von 1.500 Lehrern.

Dafür werde man in der ersten Phase auf die Unterrichtenden der bereits an 211 Schulen laufenden Schulversuche Ethikunterricht zurückgreifen und weiters auch Zusatzausbildungen über Hochschullehrgänge im Umfang von 30 ECTS-Punkten anbieten, ergänzt um berufsbegleitend 30 weitere ECTS. „Längerfristig wird man ein Lehramtsstudium Ethikunterricht an den Unis installieren müssen“, so der Ausblick des Ministers.

Frage der Finanzierung

Er selbst sehe besonders Überlappungen zum in den 7. und 8. Klassen der AHS angebotenen Unterrichtsfach Psychologie und Philosophie und gehe davon aus, dass bei den hier Unterrichtenden ein großes Interesse bestehen werde, sagte Faßmann. „Klarerweise“ werde die Zusatzausbildung jedoch auch Religionslehrern offenstehen, „ebenso wie allen anderen interessierten Lehrern“. Zur Frage nach der Finanzierung hob der Minister hervor, dass das „deutliche Bekenntnis der Regierungsspitze“ zum Ethikunterricht darauf deute, dass die „Chance auf Realisierung gut“ sei - was Bundeskanzler Kurz bestätigte.

Die BG/BRG Pichelmayergasse war als Ort der Pressekonferenz ausgewählt worden, weil hier bereits seit dem Schuljahr 2013/14 Ethikunterricht angeboten wird. In der Zeit seither sei „viel erreicht“ worden, berichtete die Direktorin Margit Wochesländer. Viele Schüler zuvor vom Religionsunterricht abgemeldeten Schüler seien zum Ethikunterricht gewechselt, etliche seien jedoch auch zum Religionsunterricht zurückgekehrt. „Das Interesse am Religionsunterricht steigt dadurch wieder“, so Wochesländer. Der Anteil der Schüler im Ethikunterricht betrage rund ein Drittel.

Bischofskonferenz unterstützt Einführung

Bereits Mitte Jänner hatte die Österreichische Bischofskonferenz Unterstützung für die vom Bildungsminister damals schon angekündigte Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen, geäußert.

Deren Generalsekretär Peter Schipka begrüßte die Umsetzung dieses auch im Regierungsprogramm festgehaltenen Vorhabens, das schon seit zehn Jahren von der Bischofskonferenz vorgeschlagen wird. „Ethikunterricht ist ein Mehrwert gegenüber dem jetzt bestehenden schulischen Defizit, und der konfessionelle Religionsunterricht ist demgegenüber ein zusätzlicher Mehrwert, weil er immer schon ethische Fragen behandelt, ohne sich darin zu erschöpfen“, erklärte Schipka am 15. Jänner gegenüber Kathpress.

Im „Regierungsprogramm 2017-2022“ ist von der Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts die Rede und einem „verpflichtenden Ethikunterricht für alle, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen“.

Lob und Kritik

Die angekündigte Einführung von Ethik als Alternativ-Pflichtfach für jene, die keinen Religionsunterricht besuchen, geht SPÖ, Liste JETZT und Industriellenvereinigung (IV) nicht weit genug. Sie fordern eine Ausweitung auf alle Schüler. Die Initiative Religion ist Privatsache kritisiert zudem, dass die Regierung „Werbung für diskriminierenden Ethikunterricht in bester Sowjet-Manier“ mache.

SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid begrüßt in einer Aussendung zwar, dass das Finanzministerium die Einführung von Ethik als reguläres Unterrichtsfach nicht mehr „blockiert“. Sie fordert allerdings eine Einführung für alle Schüler und das bereits ab zehn Jahren, damit sich auch jene, die etwa eine Lehre machen, mit ethischen Fragen des Zusammenlebens auseinandersetzen können.

Jetzt und IV: Ethikunterricht für alle

Auch die Liste Jetzt (früher Liste Pilz) tritt dafür ein, dass alle Schüler Ethikunterricht erhalten sollen und nicht nur jene, die keiner Konfession angehören oder sich aus anderen Gründen vom Fach Religion abgemeldet haben. Dieselbe Forderung stellt auch IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: „Andernfalls laufen wir Gefahr, dass ein Parallelprogramm mit Religionsunterricht für die einen und Ethikunterricht für die anderen gefahren wird - ohne inhaltliche Überschneidungen und Anknüpfungspunkte.“

Als diskriminierend bezeichnet die Initiative Religion ist Privatsache die Konstruktion von Ethik als Alternativ-Pflichtfach. Mit der Plattform ethikfueralle.at will sie sich für einen Ethikunterricht für alle Schüler ab der ersten Schulstufe starkmachen. Zu den Unterstützenden der Plattform zählen etwa der Religionspädagoge Anton Bucher, Verfassungsjurist Heinz Mayer, Philosoph Peter Kampits, die ehemalige AHS-Direktorin Heidi Schrodt, der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ), NEOS Wien-Chef Christoph Wiederkehr, der Grüne Bildungssprecher und niederösterreichische Landtagsabgeordnete Georg Ecker.

Der Obmann der Christlichen Lehrerschaft Österreich (CLÖ), Fritz Enzenhofer, begrüßt dagegen die geplante Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für vom Religionsunterrichts abgemeldete bzw. konfessionslose Schüler. „Alle Schüler ab einem gewissen Alter sollten sich mit ethischen, moralischen und Wertefragen auseinandersetzen“, so der ehemalige Präsident des oberösterreichischen Landesschulrats (heute: Bildungsdirektion) zur APA. Im Religionsunterricht würde diese Wertevermittlung jetzt schon erfolgen, künftig könne man sich auch durch Abmeldung nicht mehr „davon dispensieren lassen“. Lob kam außerdem von der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV).

Seit 1997 Schulversuche

Den Schulversuch Ethik gibt es an österreichischen Schulen seit 1997. Derzeit wird an 211 AHS-Oberstufen bzw. berufsbildenden mittleren oder höheren Schulen (BMHS) Ethik als Pflichtgegenstand für Schüler angeboten, die keinen Religionsunterricht besuchen.

Hintergrund für die seit den 1990er Jahren immer wieder geführte Diskussion um den Ethikunterricht ist die gesellschaftliche Entwicklung: In den vergangenen Jahrzehnten stieg der Anteil der Personen ohne Religionsbekenntnis ständig an - von vier Prozent im Jahr 1951 auf 17 Prozent 2017. Außerdem können auch Angehörige einer Religionsgemeinschaft vom Religionsunterricht abgemeldet werden - zunächst durch die Eltern, ab 14 Jahren können dies Schüler selbstständig auch ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten.

Bekenntnislose und von Religion abgemeldete Schüler haben derzeit ohne Schulversuch eine Freistunde. An Schulen mit Schulversuch müssen sie dagegen verpflichtend am Ethikunterricht teilnehmen, was die Abmeldung vom Religionsunterricht tendenziell unattraktiver macht. Eine freiwillige Teilnahme von Bekenntnislosen am Religionsunterricht als Freigegenstand war bisher möglich und soll es auch bleiben.

religion.ORF.at/KAP

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