„Ehe für alle“: Evangelische ringen um Kompromiss

Das Ringen um einen möglichen Kompromiss in der Streitfrage „Trauung für alle“ beschäftigt die Evangelische Synode A.B. schon vor deren Sondersitzung am Samstag in Wien.

Mit den Superintendenten der Diözesen Oberösterreich, Gerold Lehner, und Niederösterreich, Lars Müller-Marienburg, haben sich am Donnerstag Vertreter unterschiedlicher Linien in dieser Frage zu Wort gemeldet. „Die Zeichen ... stehen alle auf Kompromiss“, sagte Lehner den „OÖ Nachrichten“, sein Amtskollege wiederum meinte im „Kurier“: „Ein Kompromiss ist an dieser Stelle fast unmöglich.“ Die 170 Stellungnahmen, die zum Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aus den evangelischen Pfarrgemeinden in Österreich eingelangt seien, zeigten, „wie kontroversiell das Thema diskutiert wird“.

Müller-Marienburg, der sich selbst öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte, unterstrich sein Bestreben, dass in evangelischen Kirchen künftig auch gleichgeschlechtliche Paare getraut werden. Von den 170 Stellungnahmen seien 110 in diesem Sinne ausgefallen. Ihre Verfasser seien wie die 60 übrigen von der theologischen Richtigkeit ihrer Haltung überzeugt.

„Trauung“ und „Segnung“

Der niederösterreichische Superintendent tritt grundsätzlich für die Trauung für alle ein. Für ihn wäre es eine „schmerzhafte“ Lösung, künftig Segnungsgottesdienste für Hetero-Paare als „Trauung“ zu bezeichnen, jene für Schwule und Lesben aber als „Segnung“. Damit würde gleichgeschlechtlichen Paaren signalisiert: „Ihr seid doch nicht ganz gleichwertig.“

Superintendent Lehner fühlt sich - wie er den „OÖN“ sagte - durch die anstehende Entscheidung nicht unter Druck. „Klar ist: Ehe ist Ehe. Und Ehe ist eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau mit der Offenheit, auch Kinder in die Welt zu setzen.“ Dieses Bild sei „sozusagen biblisch im Schöpfungsbericht zugrunde gelegt“ und werde auch von Jesus aufgenommen. Zugleich steht für Lehner „außer Diskussion“, dass gleichgeschlechtliche Liebe ein Phänomen sei, „mit dem wir gut umgehen müssen“.

Beide argumentieren mit der Bibel

Jutta Henner, evangelische Theologin und Leiterin der Österreichischen Bibelgesellschaft, wies in der Ö1-Sendereihe „Praxis - Religion und Gesellschaft“ am Mittwoch auf die der Kontroversdebatte zugrunde liegende Frage hin, wie die Bibel zu verstehen ist. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner einer „Trauung für alle“ würden sich auf die Schrift berufen.

Die Gegner würden Passagen wie jene im Römerbrief des Paulus wörtlich nehmen, wonach es ein widernatürliches Verhalten sei und der Schöpfungsordnung widerspreche, wenn „Männer bei Männern liegen“. Die Befürworter würden - so Henner - mit der grundlegenden Barmherzigkeit Jesu argumentieren, mit dessen Option für Randgruppen und Bereitschaft, aus Menschenfreundlichkeit auch Regeln außer Kraft zu setzen.

Dass evangelische Christen davon abrücken, Ehe wie Martin Luther als „weltlich Ding“ im Sinne einer vertraglichen Vereinbarung zu deuten, hat laut der Bibelwissenschaftlerin mit einer „Inkulturation des katholisch-sakramentalen Eheverständnisses“ im evangelischen Bereich zu tun. Henner unterstrich zudem, dass die sexuelle Orientierung keinesfalls die Mitte des christlichen Glaubens betreffe und Fragen wie soziale Gerechtigkeit oder Einsatz für Schwache viel wesentlicher seien. Auch vor diesem Hintergrund hoffe sie, dass es in einer „kleinen Kirche mit großer Geschichte“ in dieser Frage zu keinen Bruchlinien kommt.

religion.ORF.at/KAP

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