Marokko-Rückflug: Papst-Kritik an Abschottungspolitik

Papst Franziskus hat bei seiner Kritik an einer Abschottungspolitik nachgelegt. Die Gesellschaft komme nur voran, wenn man Brücken baue, doch immer mehr Staaten setzten heutzutage auf Mauern.

Das sei schmerzhaft, „weil diejenigen, die Mauern bauen, als Gefangene der Mauern enden, die sie gebaut haben“, erläuterte der Papst am Sonntagabend vor mitreisenden Journalistinnen und Journalisten auf dem Rückflug von seiner zweitägigen Marokko-Reise von Rabat nach Rom. Für die Regierungen sei das Finden guter Lösungen in der Migrations- und Flüchtlingsfrage wohl eine schwierige Aufgabe, bekannte er.

Es müsse jedoch menschlich geschehen. „Die Menschenrechte sind wichtiger als die Abkommen“, zitierte Franziskus den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Dieser Satz „verdient den Nobelpreis“, befand er.

„Angst ist Beginn der Diktatur“

Dass die Wähler und Wählerinnen in etlichen Staaten Europas in die entgegengesetzte Richtung abstimmten und eine Abschottungspolitik befürworteten, sieht Franziskus als eine Folge der Angst, welche von den Populisten gepredigt würde. „Die Angst ist der Beginn der Diktatur“, so Franziskus, der hier an den Aufstieg des Nationalsozialismus erinnerte. Adolf Hitler sei „mit Versprechen und Ängsten“ an die Macht gekommen, „und wir kennen das Ergebnis“. Wer Angst säe, bringe „eine grausame Ernte“ ein; das lehre die Geschichte.

Papst Franziskus auf dem Heimflug von seiner Marokko-Reise

APA/AFP/Alberto Pizzoli

Papst Franziskus auf dem Heimflug von seiner Marokko-Reise

Nicht vergessen dürfe Europa, dass es selbst erst durch Migration entstanden sei, so der Papst weiter. Auch seien viele Länder während und nach dem Weltkrieg sehr großzügig gewesen. Sein eigener Vater sei einer jener Europäer gewesen, die im Ausland Aufnahme gefunden hätten, so Franziskus. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte der Papst für ihre Europapolitik. Wenn der Kontinent „die Mutter Europa und nicht die Großmutter“ sein wolle, müsse man intelligent in Bildung investieren. Das sei nicht seine Idee, „das hat Kanzlerin Merkel gesagt“, sagte er bei der „fliegenden Pressekonferenz“. Merkel bremse Auswanderung „nicht mit Macht, sondern mit Großzügigkeit, mit Investitionen in Bildung und Wirtschaft“, so der Papst.

Missbrauch und Geheimnis des Bösen

Angesprochen auf den im Februar stattgefundenen Kinderschutz-Gipfel im Vatikan verteidigte der Papst seine Ansicht, wonach hinter Missbrauch auch „der Teufel“ stecke. Man müsse alle möglichen Erklärungen auf den Tisch legen und nach deren Bedeutung in sozialer, persönlicher und auch sozialer Hinsicht fragen, sagte Franziskus.

Manche Dinge könne man jedoch ohne das Geheimnis des Bösen nicht verstehen, wobei die Kirche heute bisweilen in Gefahr laufe, allein auf menschliche Maßnahmen zu setzen, den spirituellen Teil - „das Gebet, die Buße, die wir gewöhnlich nicht machen“ - zu vergessen und somit „nicht geistlich ausgewogen“ zu reagieren.

Barbarin-Rücktritt „moralisch“ nicht zu akzeptieren

Papst Franziskus erläuterte vor den Journalisten auch seine Entscheidung, den Rücktritt des wegen Missbrauchsvertuschung in erster Instanz zu eine Bewährungsstrafe verurteilten französischen Kardinals Philippe Barbarin nicht anzunehmen. Er bestätigte damit Aussagen des Kardinals. Er habe den Rücktritt des Erzbischofs von Lyon aufgrund der Unschuldsvermutung „moralisch nicht akzeptieren“ können, sagte er.

Franziskus verurteilte zugleich eine „oberflächliche Verurteilung durch Medien“. „Was sagt die weltliche Rechtsprechung? Wenn ein Fall offen ist, gilt die Unschuldsvermutung. Womöglich ist jemand nicht unschuldig, aber es gibt diese Vermutung.“

Marokko-Reise im Zeichen des Dialogs

Rückblickend auf die Marokko-Reise erklärte der Papst in der rund 40-minütigen „fliegenden Pressekonferenz“, er habe dabei die Themen ansprechen können, die ihm selber sehr am Herzen lägen: Frieden, Einheit und Geschwisterlichkeit. Bei seiner Reise nach Abu Dhabi vor wenigen Wochen habe er mit den muslimischen Geschwistern ein Dokument unterzeichnen können, in Marokko habe man die Geschwisterlichkeit und den gegenseitigen Respekt sehen können.

Besonders verwies der Papst dabei auf den von ihm und dem marokkanischen König Mohammed VI. in Rabat unterzeichneten Jerusalem-Appell. Diesen Schritt, der ein Beispiel des christlich-muslimischen Dialogs sei, hätten die beiden vollzogen als „Brüder im Glauben, die leiden, wenn sie diese Stadt der Hoffnung noch nicht so universell sehen, wie wir alle uns wünschen - Juden, Muslime und Christen“, sagte der Papst.

Appell zu Sonderstatus Jerusalems

Das katholische Kirchenoberhaupt und der marokkanische Monarch hatten am Samstag einen gemeinsamen Appell zum Sonderstatus Jerusalems unterzeichnet. Die Stadt müsse Erbe der Menschheit und das Symbol einer friedlichen Koexistenz vor allem für die drei monotheistischen Religionen bleiben, heißt es darin. Dazu müssten der „multireligiöse Charakter, die spirituelle Dimension und die besondere kulturelle Identität Jerusalems“ geschützt und gefördert werden.

Jerusalem gilt Juden, Christen und Muslimen als Heilige Stadt. Der Vatikan sieht zudem einen israelischen Anspruch auf Gesamt-Jerusalem als Hauptstadt als Hindernis für den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern. Nachdem US-Präsident Donald Trump im Dezember 2017 ankündigte, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, äußerte Franziskus einen „dringenden Appell“, den Status quo und die Resolutionen der Vereinten Nationen zu respektieren.

Interview in spanischem TV-Sender

Seine Kritik am geplanten Mauerbau in den USA brachte Franziskus auch in einem vorab aufgezeichneten Interview des Journalisten Jordi Evole vor, das am Sonntagabend vom spanischen Fernsehsender La Sexta ausgestrahlt und in der katalanischen Zeitung „La Vanguardia“ (Onlineausgabe) wiedergegeben wurde.

Der Papst erneuerte seine Forderung an die Europäische Union, Migranten gut zu empfangen, zu begleiten, zu fördern und zu integrieren. „Es ist schrecklich, sie nur zu empfangen und auf der Straße zu lassen, es ist ein großer Mangel an Respekt.“ Dass viele Zuwanderer vor Armut in ihren Ländern fliehen, sei auch eine Folge des Kapitalismus.

„Bereits im Dritten Weltkrieg“

„Es gibt immer weniger reiche Leute mit viel Geld, und es gibt immer mehr arme Leute mit sehr wenig Geld.“ Die Finanzwelt funktioniere nicht, was auch zu Kriegen führen könne, so das Kirchenoberhaupt. „Ich behaupte, dass wir uns bereits in einem dritten Weltkrieg befinden, in Teilen.“

Die Tatsache, dass in den letzten Jahren mehr als 35.000 Migranten im Mittelmeer gestorben sind, bereite seinem „Herzen viel Schmerz“, sagte der Sohn eines italienischen Emigranten, der per Boot nach Argentinien gelangte. Er habe kein Verständnis für „die Ungerechtigkeit desjenigen, der die Tür schließt“, und ebensowenig für die Gefühllosigkeit angesichts der Tragödien. Wer sich als Katholik bezeichne und jegliche Migration ablehne, solle besser die Bibel lesen, die die gute Behandlung von Fremden vorschreibe, und entsprechend handeln.

Scharfe Kritik äußerte der Papst gegenüber Ländern, die in den Waffenhandel an kriegsführende Staaten verwickelt sind. „Sie haben kein Recht, vom Frieden zu sprechen. Sie schüren den Krieg in einem anderen Land, und wollen dann Frieden im eigenen?“, so Franziskus. Wer anderswo Krieg anzettle, hole damit „wie einen Bumerang“ unvermeidlich den Krieg auch ins eigene Haus.

Missbrauchsverdachtsfälle anzeigen

Zum Thema Kindesmissbrauch sagte der Papst, „natürlich“ müsse man Geistliche in solchen Verdachtsfällen bei der Polizei anzeigen. Das sei ein Ergebnis des weltweiten Kinderschutzgipfels, den Franziskus im Februar im Vatikan einberufen hatte. Der Gipfel habe „Prozesse in Gang setzen“ sollen. „Und das braucht Zeit“, sagte Franziskus mit Blick auf Kritik an den Ergebnissen des Treffens. „Jedenfalls verstehe ich die Leute, die unzufrieden sind, denn wenn es um Schmerz geht, muss man den Mund halten, beten, trauern, begleiten, Punkt. Das Einleiten von Prozessen ist jedoch der Weg, um die Heilung unumkehrbar zu machen.“

Mit Blick auf die Förderung von Frauen in der Kirche betonte Franziskus, es reiche nicht, ihnen zuzuhören und ihnen Funktionen zu geben. „Was wir noch nicht erreicht haben, ist die Erkenntnis, dass die Zahl der Frauen über die Funktionalität hinausgeht“, so der Papst. „Die Kirche kann ohne die Frau keine Kirche sein, denn die Kirche ist Frau, sie ist weiblich.“

Nein zu Abtreibung bekräftigt

Deutlich bekräftigte er sein Nein zu Abtreibung. Diese sei auch dann nicht richtig, wenn eine Frau vergewaltigt oder Opfer von Menschenhandel geworden sei. „Ich würde sie in ihrer Verzweiflung verstehen, aber ich weiß auch, dass es nicht richtig ist, ein menschliches Leben zu beseitigen, um ein Problem zu lösen“, so Franziskus.

Nach Korruption gefragt, sagte der Papst, es gebe „Scheinheilige“ im Vatikan wie überall. Auch in der Kirchenzentrale arbeiteten sündige Menschen. „Man muss saubermachen. Die Aufgabe ist putzen, putzen, putzen“, so der Papst.

religion.ORF.at/KAP

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