Judas, der ungeliebte Apostel

Ein Verräter, Satan oder doch ein religiöser, bis zuletzt auf den Messias hoffender Jünger? Wer war Judas Iskariot, der Mann, dessen Handeln zur Kreuzigung Jesu führte, wirklich? Bibelforschende stellen sich diese Frage schon lange. Eine Antwort zu finden ist schwierig.

Der Apostel Judas gilt vielen Menschen als Inbegriff des Schlechten - verräterisch, gierig, diebisch. Das Bild, das in den Evangelien von ihm gezeichnet wird, ist das eines verdorbenen, hinterlistigen Mannes, der die Schuld trägt am Tode Jesu. Seit der Entstehung der Texte melden sich aber auch Theologen und Theologinnen zu Wort, die Judas in einem anderen Licht porträtiert sehen wollen. Wolfgang Treitler von der Universität Wien ist einer davon.

Für ihn war Judas kein Verräter, sondern ein Apostel mit großen Hoffnungen: „Ich glaube, dass von den zwölf Aposteln, die mit Jesus gezogen sind, Judas derjenige gewesen ist, der vielleicht am intensivsten von ihm erhofft hat, dass er der Messias ist im Sinne dieses Königs, der Israel von den Feinden befreien wird“, sagte Treitler in der Ö1-Sendung „Lebenskunst“. Judas habe Jesus ausgeliefert, um ihn dazu zu zwingen, sich als Messias zu offenbaren.

Heilsbringer oder ungeduldiger Jünger?

War Judas nur ein ungeduldiger Jünger, war er selbst ein Heilsbringer, dessen Taten die Erlösung durch Jesu Opfertod erst möglich machte, oder gar eine Marionette in Gottes Heilsplan? Bibelwissenschaftler setzen sich mit diesen Fragen auseinander.

Die Frage nach dem Motiv des Judas steht im Mittelpunkt vieler Bemühungen, den Apostel und sein Handeln näher zu ergründen. Aber ist das überhaupt möglich? „Es gibt in den Judasbüchern jede Menge Überlegungen, was Judas umgetrieben haben könnte. Aber man muss ganz klar sagen: Die älteste Quelle sagt überhaupt nichts dazu“, erklärte der Bibelwissenschaftler Martin Stowasser von der Universität Wien im Gespräch mit religion.ORF.at.

Spätere Evangelisten verdüstern Judas-Bild

Im Markusevangelium - es wurde als Erstes verfasst (um 70 n. Chr.) - wird berichtet, dass Judas zu den Hohepriestern geht, um Jesus auszuliefern. Diese geben ihm im Nachhinein aus Freude Geld dafür. Das Geldmotiv (30 Silberlinge) wird dann gesteigert.

„Bei Matthäus und Lukas kommt es zu einem richtigen Verhandlungsprozess“, sagte Stowasser. Der Jünger will Jesus regelrecht verkaufen. „Das steht bei Markus überhaupt nicht.“ Johannes verdüsterte das Bild noch mehr, indem er Judas „zu dem macht, der geldgierig ist, die Kassa der Gruppe verwaltet und von daher schon immer auf Betrug aus war“. Auch hier verkauft Judas Jesus. Eine Verdüsterung der Judas-Figur zeigt sich auch an anderer Stelle: Während im Lukasevangelium Satan von Judas lediglich Besitz ergreift, so ist der Apostel bei Johannes schon selbst ein „diabolos“, ein Teufel.

The Last Supper, Gemälde von Carl Heinrich Bloch, Ende des 19. Jahrhunderts

Public Domain/Wikipedia

Judas verlässt die Tischgemeinschaft - Gemälde „Last Supper“ von Carl H. Bloch

Spekulationen über Judas

Stowasser betonte, man müsse sich bewusst sein, dass man in den Evangelien nicht vom historischen Jesus und Judas lese, „sondern einen Blick auf den Glauben, auf ein Geschehen, das man gedeutet hat“, wirft. Die Bibelwissenschaft versuche einerseits, „die Texte zu erklären“, also wie die Ereignisse interpretiert und daher in der Passionserzählung dargestellt wurden. Andererseits werde in einer historisch-kritischen Methode versucht, plausible historische Fakten zu ergründen - zwei Zugänge, die man voneinander unterscheiden müsse.

Sendungshinweise

Feierabend „JUDAS - Vom Verräter zum Heiligen?“ Freitag, 19.4.2019, 20.00 Uhr, ORF2

Lebenskunst „Verräter oder Heilsbringer – Wer war Judas?“ vom Sonntag, 14.4.2019, 7.05 Uhr, Ö1 zum Nachhören

In zahlreichen Büchern haben sich Theologinnen und Theologen mit der Figur des Judas auseinandergesetzt. Die Judasbücher würden allerdings auf geringen Beobachtungen und Möglichkeiten der Interpretation „große Judasbilder aufbauen“, sagte Stowasser. Man müsse spekulieren, denn über Judas wisse man im Grunde sehr wenig.

Vom Guerillakämpfer zum Apostel?

Schon die Interpretation seines Namens - Judas Iskariot - zeige eine Ambivalenz auf. Die einen übersetzen Iskariotis als Isch (Mann) aus Kariot, einem Ort aus dem südlichen Teil Palästinas. Dann wäre Judas der einzige aus dem Kreis der zwölf Apostel gewesen, der von weit her kam. Dieser müsse dann „eine hohe Motivation gehabt haben, zu diesem Mann aus Galiläa zu gehen“. Also „wenn man das aus Iskariot ableitet, haben wir einen hoch religiösen Mann vor uns, einen Suchenden, keinen Finsterling“, analysierte Stowasser.

Wiederum andere bringen Iskariot mit den Sikariern, was Dolchmänner bedeutet, in Verbindung. Sie waren eine Guerillabewegung, die Attentate verübte. Wenn man dieser Interpretation folgt, ist Judas von einer gewalttätigen Gruppierung zu der „absolut friedliebenden“ Gruppe von Jesus gewechselt. „Aber in beiden Fällen – sowohl bei Mann aus Kariot als auch bei bekehrtem Sikarier - haben wir jedenfalls einen hoch religiösen, motivierten und auch wandlungsbereiten Menschen vor uns. Und gleichzeitig wissen wir das alles nicht“, sagte Stowasser.

Judas und die Judenverfolgung

Dass die negativen Judasdarstellungen in den Evangelien der Ursprung des kirchlichen Antijudaismus und des Antisemitismus sind, davon sind viele Expertinnen und Experten überzeugt. Wolfgang Treitler sagte gegenüber der ORF-Sendung „FeierAbend“: „Es gibt lange Überlieferungen von Ritualen im Rahmen der Karwoche, wo man Judas-Figuren verbrannt und dann in dieser aufgeheizten Stimmung die Juden gejagt hat, die in der Umgebung gelebt haben.“

Die Botschaften, die man mit Judas vor allem zur Karzeit vermittelte, „haben nach wie vor einen massiven antijüdischen Zusammenhang, der meistens gar nicht thematisiert wird, weil man an der Heiligen Schrift nicht rührt“, kritisiert der Theologe und Judaist.

Verrat aus Bibel gestrichen

In der neuen, 2017 veröffentlichten revidierten Einheitsübersetzung der Bibel ist jedenfalls nicht mehr von Verrat die Rede, sondern von „Ausliefern“. Damit ist die neue Übersetzung, die auch zum Ziel hatte, stereotype Antijudaismen zu vermeiden, näher am Originaltext.

Darin gebe es ohnehin nur eine Stelle - bei Lukas -, in der das griechische Wort für „verraten“ verwendet wurde, wie Martin Stowasser im Gespräch mit religion.ORF.at erklärte. Meistens wurde im Neuen Testament aber der Begriff „paradidonai“ gebraucht - was so viel heißt wie überliefern, übergeben, ausliefern. Dasselbe Wort werde auch im Zusammenhang mit Gott verwendet, „der seinen Sohn ausliefert“. Das habe man dann zugedeckt, indem man bei Judas „verraten“, bei Gott „überliefert“ interpretierte, sagte der Bibelwissenschaftler.

Judas-Bild „aufgehellt“

Die Interpretation der Gestalt des Judas habe sich ab dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 -1965) deutlich „aufgehellt“, sagte Stowasser. Man habe versucht, „sich nicht mehr so stark von dieser sehr negativen Sicht der Evangelien“ leiten zu lassen, sondern dem Menschen Judas im Hintergrund auf die Spur zu kommen. Und zwar mit Hilfe der „historisch-kritischen Methode“, die erst nachkonziliar wirklich angewendet werden durfte - sie war davor verboten.

Die Erkenntnis, dass die Texte und vor allem ihre Auslegungstraditionen den Antijudaismus „befördert“ haben, habe dazu geführt, dass sich Theologinnen und Theologen verstärkt davon absetzen wollten, sagte Stowasser. Zu einer größeren Sensibilität aufseiten der Katholikinnen und Katholiken führte nicht zuletzt die jüdische Jesusforschung. Bei ihr rückte in den Fokus, dass Jesus schließlich „nicht der erste Christ“ war, sondern als Jude lebte und als Jude starb. In diesem Sinne wandten sich Bibelforschende auch wieder stärker Judas zu, um seine Rolle neu zu interpretieren.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at