Ethikunterricht: Religionswissenschaftler zeigen auf

Nachdem die Einführung des Ethikunterrichts für das Schuljahr 2020/21 als alternatives Pflichtfach zum Religionsunterricht beschlossene Sache ist, stellt sich die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung.

Diesbezüglich haben sich nun Wiener Religionswissenschaftler zu Wort gemeldet und ihr eigenes Fach als wichtige „Bezugswissenschaft“ für den Ethikunterricht bezeichnet. Denn wenn sich der künftige Lehrplan wie kolportiert an den Empfehlungen der ARGE Ethik orientiert, dann „liegt es nahe, dass die religiös nicht gebundene Religionswissenschaft eine der Bezugswissenschaften für dieses Unterrichtsfach sein wird.“ Das schrieben die Religionswissenschaftler Wolfram Reiss und Robert Wurzrainer in einem Blogbeitrag des Forschungszentrums „Religion and Transformation in contemporary society“.

Unterrichtsstunde in einer Mittelschule in Wien

ORF.at/Carina Kainz

Wie soll der Ethikunterricht künftig gestaltet werden? Religionswissenschaftler sieht Chancen in einem „methodischen Agnostizismus“.

Schließlich sieht der von der ARGE Ethik vorgeschlagene Lehrplan neben den Feldern „Personale Perspektive, Ich & Du“ und „Gesellschaftliche Perspektive, Wir & die Welt“ auch eine für die Religionswissenschaft anschlussfähige „Ideengeschichtliche Perspektive, Säkulares & Religiöses“ vor.

„Nicht-konfessionelle Perspektive“

Es liege nah, dass in diesem Feld Religionen und Kulturen „aus einer nicht-konfessionellen Perspektive thematisiert“ werden sollen - was die ureigene Kompetenz der Religionswissenschaft darstelle, so die Autoren. Schließlich würde sich die Religionswissenschaft eines „methodischen Agnostizismus“ bedienen, und so in einer schulischen Anwendung die Chance bieten, „ohne Verzerrung und Vorurteile, ohne Polemik oder Apologetik Religionen und religiöse Phänomene“ beschreiben zu können.

Ein Desiderat orteten die an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien im Bereich Religionswissenschaft tätigen Wissenschaftler allerdings in der eigenen Disziplin: So gebe es bis dato keine ausgearbeitete religionswissenschaftliche Fachdidaktik. Nur wenige Forscherinnen und Forscher würden sich mit Fragen der Vermittlung von religionswissenschaftlichem Wissen im schulischen Kontext auseinandersetzen - hier bestehe angesichts der Chance, die sich mit dem Ethikunterricht biete, ein dringender Nachholbedarf.

Kritik an „Frontstellung“

Kritik üben die Religionswissenschaftler schließlich an einer überzogenen „Frontstellung“ - Religionsunterricht auf der einen Seite, ethische Bildung auf der anderen Seite. Tatsächlich könnten sich beide Fächer gegenseitig bereichern, und auch jetzt greife der moderne Religionsunterricht bereits auf religionswissenschaftlich-beschreibende Elemente zurück.

Um einer Aufspaltung zwischen beiden Unterrichtsfächern in der öffentlichen Debatte entgegenzuwirken sei es daher ratsam, die Austauschmöglichkeiten zwischen Religions- und Ethikunterricht an den Schulen zu verbessern. Auch die Möglichkeit einer jährlichen Wahl zwischen Religions- oder Ethikunterricht würde beide Fächer gleichermaßen positiv beeinflussen, zeigen sich Reiss und Wurzrainer überzeugt.

Kampagne „Ethik für alle“

Anfang März hatte Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) mitgeteilt, dass ab dem Schuljahr 2020/21 der Ethikunterricht als verpflichtendes Alternativfach für jene Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II eingeführt wird, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Dieses Modell wurde bereits seit 1997 im Rahmen von zahlreichen Schulversuchen erprobt. Die Österreichische Bischofskonferenz begrüßte die Ankündigung; auch verschiedene katholische Organisationen und die katholisch-theologischen Fakultäten begrüßten die Einführung.

Kritiker wie die „Initiative Religion ist Privatsache“ starteten Anfang April die Volksbegehren-Kampagne „Ethik für alle“, die einen flächendeckenden Ethikunterricht als Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler ab der 1. und bis zur 12./13. Schulstufe fordert.

religion.ORF.at/KAP

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