Oberrabbiner: Moskau sicherer als Berlin
In den vergangenen Jahren hätten sich die meisten Anschläge auf Synagogen in westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Belgien oder Dänemark ereignet, sagte Goldschmidt am Montag im Deutschlandfunk. Für Juden sei es in Moskau sicherer, sich mit Kippa auf der Straße zu zeigen, als etwa in Berlin oder Brüssel, erklärte der Oberrabbiner von Moskau. Es werde immer schwieriger, Jude in Europa zu sein.
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Unterschiedliche Tatmotive
Straßen-Antisemitismus sei in Russland weniger geduldet. Das habe auch mit der Migration nach Europa zu tun. In Westeuropa würden Angriffe auf Synagogen inzwischen meist von islamistischen Radikalen verübt, in Russland und den USA seien nach wie vor überwiegend Rechtsradikale die Täter.
Goldschmidt beklagte Gesetzesinitiativen in mehreren Ländern, die sich gegen religiöse Regeln wie die Beschneidung oder das Schlachten von Tieren richteten. Die meisten dieser Initiativen richteten sich in erster Linie gegen Muslime, sagte der Rabbiner. „Wir Juden sind da die Kollateralschäden.“ In zwei belgischen Regionen hatte die Politik das Schlachten von Tieren nach dem jüdischen und islamischen Religionsrecht, das sogenannte Schächten, verboten.
Goldschmidt äußerte sich an Anlass der Generalversammlung der Europäischen Rabbiner-Konferenz, die am Montag im belgischen Antwerpen begann. An ihr nehmen rund 350 jüdische Gelehrte aus Europa teil.
Antisemitismus als Kampfmittel
Goldschmidt warnte außerdem vor dem Erstarken radikaler Kräfte bei der Europawahl. „Die Wahlen werden ein großer Test für Europa“, sagte Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt am Montag in Brüssel. Es gebe derzeit vielerorts Angriffe auf die freie Religionsausübung. „Europa wird entweder die derzeitigen Turbulenzen überwinden oder sich zurückentwickeln.“
Rechte Gruppierungen nutzten Antisemitismus als Kampagnenmittel etwa in Polen, Ungarn oder Griechenland, sagte Goldschmidt. Doch auch etablierte Parteien übernähmen nach und nach deren Rhetorik.
Angriffe auf freie Religionsausübung
Es gebe jedoch noch ein weiteres Phänomen: In Frankreich beispielsweise gebe es zahlreiche Juden, die trotz allem mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen sympathisierten. „Sie haben derart Angst vor dem islamistischen Terror, dass sie sich mit einem rechtsradikalen Präsidenten sicherer fühlen würden.“ Der Angriff auf freie Religionsausübung betreffe jedoch Muslime, Juden und weitere Minderheiten gleichermaßen.
Die CER tritt für die religiösen Rechte der Juden in Europa ein. Sie vertritt rund 700 Rabbiner und damit nach eigenen Angaben die größten jüdischen Gemeinden Europas. Die Europawahlen finden vom 23. bis 26. Mai statt.
religion.ORF.at/KAP/KNA
Mehr dazu:
- Rabbiner sehen Europawahl als Schicksalswahl
(religion.ORF.at; 12.5.2019) - Experte: Antisemitismus „globale Gegenreligion"
(religion.ORF.at; 2.5.2019)
Links:
- Interview im Deutschlandfunk
- Europäische Rabbinerkonferenz (in englischer Sprache)