Kirche verurteilt Zerstörung von Porträts von NS-Opfern

Die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ auf der Wiener Ringstraße war vergangenen Nacht Ziel einer antisemitischen Aktion. Mehrere Porträtfotos von NS-Opfern (Überlebenden) wurden zerschnitten. Muslimische Jugend und Young Caritas beteiligen sich an Mahnwachen.

Kirchliche Vertreter haben die Tat am Montag verurteilt und Konsequenzen gefordert. „Zutiefst bestürzt“ und „angewidert“ hat sich beispielsweise Militärbischof Werner Freistetter in einer ersten Reaktion gezeigt. Er sprach im Kathpress-Interview von einem „Akt der Verachtung“ gegenüber den Opfern wie auch einem Angriff auf das Selbstverständnis Österreichs.

„Heranwachsende wissen zu wenig“

Das Gedenken und die immerwährende Aufarbeitung des Holocausts gehöre immanent zur Zweiten Republik und genauso auch zum Selbstverständnis der Kirche. Der Bischof warnte vor einer weiteren „Verrohung der Gesellschaft“. Es müsse etwa viel mehr in die Bildung der heranwachsenden Generation investiert werden, die viel zu wenig vom Holocaust wisse, forderte Freistetter.

Die zerschnittenen Bilder der Ausstellung "Gegen das Vergessen" am Wiener Ring

APA/Lukas Huter

„Angewidert“ und „zutiefst bestürzt“ äußerten sich Kirchenvertreter in Bezug auf die zerschnittenen Porträts von Holocaust-Überlebenden

„Antisemitismus übelster Sorte“

Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, sprach in einer ersten Stellungnahme von „Antisemitismus übelster und desaströsester Sorte“. Der Angriff richte sich nicht nur gegen die Opfer sondern auch gegen die Gedenkkultur und gegen die Humanität der Gesellschaft. „Mit dieser Aktion ist der Grundwasserspiegel der Humanität unserer Gesellschaft wieder abgesenkt worden“, so Jäggle wörtlich.

Politik aufgefordert, zu handeln

Mit herkömmlichen Verurteilung und Erklärungen dürfe man es jetzt nicht belassen. Das sei letztlich nicht mehr als „heiße Luft“, so Jäggle. Antisemitismus sei im Zunehmen, und es bräuchte endlich eine handfeste akkordierte Initiative gegen diese Entwicklung. Jäggle forderte von den politisch Verantwortlichen die Einberufung eines Runden Tisches, um geeignete Schritte in Angriff zu nehmen. Dabei seien auch die Kirchen gefordert, eine zentrale Rolle zu spielen.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) reagierte in einer Aussendung am Montag „entsetzt und betroffen“ über die neuerliche Beschädigung der Erinnerungsbilder. Auch Caritas-Präsident Michael Landau verurteilte die Zerstörung: „Unfassbar und beschämend!“, schrieb er auf Twitter. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch schrieb: „Die Antisemiten schreiten vom Wort zur Tat“. Verurteilungen reichten nicht aus, „es braucht spür- und sichtbare Konsequenzen“, so Deutsch. Die SPÖ-Sprecherin für Gedenkkultur, Sabine Schatz, zeigte sich in einer Aussendung erschüttert und kündigte eine parlamentarische Anfrage zum Stand der Ermittlungen an.

Bewachung bis Ausstellungsende

Bis zum Ende der Ausstellung am Freitag wurden drei Mahnwachen angekündigt. Neben dem Künstlerkollektiv Nesterval will auch die youngCaritas eine Aktion setzen. Die Muslimische Jugend Österreich rief zu einer Nachtwache auf.

Das Performancekollektiv Nesterval mit seinem Ensemble und Team will die Kunstwerke bis zum Ende der Ausstellung am 31. Mai bewachen - pausenlos, schrieb das Kollektiv auf Facebook. Gegenüber dem ORF sagte eine Sprecherin des Vereins mit 60 fixen Mitgliedern, dass man sich alle zwei, drei Stunden ablösen wolle. Über die bereits dritte Zerstörung der Tafeln mit Porträtfotos von Überlebenden der NS-Verfolgung sei Nesterval „zutiefst erschüttert“. „Wir stehen auf. Gegen das Vergessen. Gegen den Hass“, hieß es auf Facebook. Wer aktiv mithelfen möchte, könne sich via Mail an team@nesterval.at wenden.

Muslime und Christen wachen

Die Muslimische Jugend Österreich rief zu einer Nachtwacheaktion auf. Denn speziell Muslime „sind zu dieser Zeit wach, weil sie ihr Fasten brechen, das Nachtgebet verrichten und sich für den neuen Fastentag vorbereiten“, hieß es in einem Facebook-Posting. Gerührt davon zeigte sich der deutsch-italienische Fotograf der Porträts, Luigi Toscano, auf Facebook. „Last uns ein Zeichen setzten bitte und unterstützt diese wunderbaren Menschen“, schrieb Toscano.

Die YoungCaritas rief ebenso unter dem Motto „Wir passen auf!“ zur Mahnwache auf. „Wir wollen nicht tatenlos zusehen! Wir wollen nicht sprachlos bleiben! Mach auch du mit und bewache die Ausstellung am Wiener Ring, die noch bis 31. Mai läuft. Ab 15:30 Uhr geht es los! Wir brauchen dich! Gegen das Vergessen!“, hieß es in einem Posting auf Facebook.

„Österreich, was ist los mit dir????“

Der Fotograf der Ausstellung, der deutsch-italienische Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano, hatte auf Facebook geschrieben: „Ich bin einfach nur sprachlos, schon wieder gab es ein Anschlag auf meine Bilder. Österreich was ist los mit dir???? Weder die Polizei noch das Österreichische Innenministerium sind in der Lage Schutz zu leisten.“

Die Porträts wurden bereits zum dritten Mal zerstört. Erst vergangene Woche wurden Teile der Ausstellung mit Hakenkreuzen beschmiert. Bereits einige Tage nach der Ausstellungseröffnung wurden mehrere Porträts mit Messern beschädigt.

NS-Opfer „nochmals ermordet“

Die Zerstörung der Porträtfotos hat auch beim Linzer Bischof Manfred Scheuer und beim evangelischen Bischof Michael Bünker Entsetzen ausgelöst. Die Aktion sei „erschütternd und verwerflich“ so Scheuer gegenüber Kathpress. Die NS-Opfer würden dadurch gleichsam „nochmals ermordet und sollen aus dem mahnenden Gedächtnis gelöscht werden“.

Es sei beschämend, dass so etwas in Österreich passieren kann. Bischof Scheuer ist in der Österreichischen Bischofskonferenz u.a. für die Kontakte zum Judentum zuständig. Der Linzer Bischof unterstrich die absolute Verpflichtung, den Holocaust im Gedächtnis zu behalten. Das gehöre zum Wesen des Christentums hinzu, so der Bischof. Er verwies zudem auf das alttestamentliche Buch Sacharja, in dem Gott zu seinem Volk Israel spricht: „Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.“ Wer dieses Volk angreift, greife damit Gott selbst an.

„Niemand in der Lage, das zu verhindern“

Es sei weiters notwendig, an die Wurzel „solch abscheulicher Handlungen zu gehen“ und die Geisteshaltungen aufzudecken, die dahinterstehen, forderte Scheuer.

Es sei „empörend dass das zum dritten Mal passiert, und dass niemand in der Lage ist, das zu verhindern“, sagte der lutherische Bischof Michael Bünker gegenüber dem Evangelischen Pressedienst. Der Vorfall reihe sich ein in die zunehmende Zahl von antisemitischen Vorfällen. Dies sei auch „ein Schlag ins Gesicht der Überlebenden und aller Opfer der NS-Verbrechen“, so Bünker.

religion.ORF.at/KAP/APA

Mehr dazu:

Links: