Gender: Kirche verweigert sich neuen Erkenntnissen

Im jüngst vom Vatikan herausgegebenen Gender-Dokument sowie in lehramtlichen Kirchentexten findet sich nach Ansicht der Dogmatikerin Gunda Werner keinerlei Erkenntnisfortschritt.

Die vatikanische Bildungskongregation negiere die wissenschaftlichen Fortschritte im Kontext der Gender-Theorie und ihrer Themen wie Gleichheit, Gleichberechtigung und Vielfalt der Geschlechter, sagte die Grazer Dogmatik-Professorin am Dienstagabend in Innsbruck bei einer Gedenkveranstaltung zu Ehren der vor 25 Jahren verstorbenen feministischen Theologin Herlinde Pissarek-Hudelist hin.

Zwar betone das Lehramt stets die gleiche Würde der Frau, diese münde „allerdings gerade nicht in die gleichen Rechte“. Mannsein und Frausein seien laut göttlichem Schöpfungsplan wesensmäßig verschieden - mit entsprechenden Folgen für die kirchlich betonte Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche.

„Unwohlsein gegenüber Feministischer Forschung“

Ende des 20. Jahrhunderts habe sich in lehramtlichen Texten das Schlagwort „Gender-Ideologie“ etabliert, „mit denen bestehendes vatikanisches Unwohlsein gegenüber feministischer Forschung und Frauenrechten in ein Wort gefasst werden kann“, wie Werner darlegte.

Das nach dem Vorbild der Gottesmutter Maria gezeichnete frauliche Wesen ist laut katholischer Lehre ein „Dasein-für-andere“ und sei wohl auch bei Männern vorfindbar. Allerdings würden Frauen „spontaner“ mit den Werten der Hingabe, des Dienens, Unterwerfens und der Fürsorge übereinstimmen - unabhängig von ihren geistigen, psychischen und körperlichen Merkmalen wie Alter, Bildung, Gesundheit, Arbeit, verheiratet oder ledig.

Marginalisierung durch Hervorheben

Unter „Strategien der Unterdrückung“ subsummierte die Grazer Theologin die kirchliche Haltung, „durch Hervorheben zu marginalisieren“. Das geschehe etwa, indem darauf hingewiesen werde, dass die Jungfrau und Mutter Maria trotz ihren heilsgeschichtlichen Bedeutung nicht mit dem apostolischen Amt betraut war.

Dass nur Männer Priester werden können, rechtfertigt das Lehramt mit einem Auftrag, den die Kirche von Christus selbst bekommen habe. Frauen erfüllten - so Werner - nach dieser Logik zwar „eine Rolle von größter Wichtigkeit im kirchlichen Leben“, aber der Ausschluss vom priesterlichen „Dienst“ entspreche einer Ergänzung des „marianischen“ und des „apostolisch-petrinischen“ Prinzips.

Gender-Theorie wird missverstanden

Auch Papst Franziskus stelle sich in diese Tradition, so Werner, wenn er in seinem Schreiben „Amoris laetitia“ die „Gender-Ideologie“ dafür kritisiert, „den Unterschied und die natürliche Aufeinander-Verwiesenheit von Mann und Frau“ zu leugnen. Diese Ideologie sei laut Franziskus bereits in die Erziehung der Kinder eingegangen und würde die Trennung von „sex“ und „gender“ im Sinne einer kompletten Beliebigkeit propagieren sowie eine „Gesellschaft ohne jede Unterschiede“ anstreben.

Dem hielt Werner entgegen: Die behauptete Abschaffung der Familie, eine differenzlose Gesellschaft samt einer Beliebigkeit der Geschlechtswahl seien „wohl eher als Ideologie eines Missverständnisses der Gender-Theorie zu bezeichnen“. Die US-amerikanische Vordenkerin der Gender-Theorie, Judith Butler, vertrete demgegenüber die Idee eines sozial konstruierten biologischen Geschlechtes, was als Anfrage an Stereotypen ebenso verstanden werde wie als Grundlage für eine veränderte Anthropologie angesichts der Vielfalt der - auch biologischen - Geschlechter.

Maximal menschenwürdige Behandlung zugestanden

Lehramtliche Äußerungen weisen laut der Dogmatikprofessorin eine außerordentlich kontinuierliche Argumentation auf, „die von den neuzeitlichen Errungenschaften der Frauenbewegungen maximal das Anrecht der Frauen auf menschenwürdige Behandlung, also keine Gewalt, keine Unterdrückung und den Zugang zu Bildung, aufnimmt, nicht aber weitere medizinische, sozialwissenschaftliche oder gar gender-theoretische Erkenntnisse“.

Werde von vornherein Erkenntnis außerhalb der eigenen Überzeugungen abgelehnt, „kann es auch zu keiner Weiterentwicklung oder zu keinem Fortschritt kommen“, gab Werner zu bedenken. Nachwuchswissenschaftlerinnen werde bis heute nahegelegt, „besser nicht zu Gender oder Judith Butler zu arbeiten, will man an der Uni bleiben“.

Nicht aufgeben

„Frau Theologin, was nun?“, wandte sich Werner abschließend mit einer rhetorischen Frage an ihr Publikum. Aus ihrer Sicht „bleibt zu tun, was feministische und befreiungstheologische Theologie seit Jahrzehnten tut: diesen Logiken andere gegenüber zu stellen und nicht aufzuhören, an die Pluriformität der Traditionen, die Interdisziplinarität der Theologie und die Wertschätzung dieser Welt und ihrer Erkenntnisse zu erinnern.“

Die Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck widmete ihre Veranstaltung und den anschließenden Gedenkgottesdienst in der Innsbrucker Jesuitenkirche einer der herausragenden Pionierinnen der feministischen Theologie: der vor 25 Jahren verstorbenen Rahner-Schülerin und Religionspädagogin Herlinde Pissarek-Hudelist (1932-1994); sie war die erste Professorin für katholische Theologie an einer Hochschule in Österreich und weltweit die erste Dekanin einer katholisch-theologischen Fakultät.

Grundlegendes Missverständnis

Der Professor für Theologische Ethik an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Wien, Gerhard Marschütz stößt in eine ähnliche Richtung. „Theologische Publikationen der letzten Jahre verdeutlichen freilich, dass das in der katholischen Genderkritik vorausgesetzte Verständnis von gender wissenschaftlich unhaltbar ist“, schrieb er für die Wochenzeitung „Furche“ (Donnerstagausgabe). Zu sehr werde - ohne Belege dafür zu liefern - davon ausgegangen, die Gendertheorie wolle den biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau wegleugnen und propagiere die freie Wahl des Geschlechts.

religion.ORF.at/KAP

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