Missbrauchsurteil gegen Kardinal Pell bestätigt

Der ehemalige Finanzchef des Vatikan, der australische Kardinal George Pell, muss wegen Missbrauchs von zwei minderjährigen Chorknaben im Gefängnis bleiben.

Der Oberste Gerichtshof in Melbourne lehnte einen Berufungsantrag Pells am Mittwoch ab und bestätigte damit die Verurteilung der ersten Instanz. Auf Grundlage dessen kann der 78-Jährige frühestens im Jahr 2022 aus der Haft entlassen werden.

„Er wird seine sechsjährige Haftstrafe weiter absitzen“, sagte Richterin Anne Ferguson über den Kardinal. Ein Geschworenengericht hatte Pell im Dezember schuldig gesprochen, sich Mitte der 90er Jahre in der Kathedrale von Melbourne an zwei 13-jährigen Chorknaben vergangen zu haben. Der damalige Erzbischof von Melbourne soll sich 1996 in der Sakristei vor den Buben entblößt, sie unsittlich berührt und einen von ihnen zum Oralsex gezwungen haben. Im folgenden Jahr soll er sich erneut an einem der Buben vergangen haben.

Kardinal George Pell am Tag  des Urteils in seinem Berufungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs

APA/AFP/William West

Das Oberste Gericht in Melbourne hat das Urteil gegen Kardinal George Pell wegen sexuellem Missbrauchs bestätigt

Im März wurde Pell zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Kardinal ist der ranghöchste katholische Geistliche weltweit, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Er galt lange Zeit als einer der mächtigsten Männer im Vatikan - und als Vertrauter von Papst Franziskus.

Zeuge kein „Lügner“ oder „Fantast“

Pell hat die Vorwürfe gegen sich stets entschieden zurückgewiesen und Berufung gegen seine Verurteilung eingelegt. Im Berufungsverfahren Anfang Juni argumentierten seine Anwälte, der Geistliche hätte wegen der dünnen Beweislage nicht schuldig gesprochen werden dürfen.

Die Verurteilung basierte überwiegend auf der Aussage eines der mutmaßlichen Missbrauchsopfer. Das zweite mutmaßliche Missbrauchsopfer war 2014 an einer Überdosis gestorben und hatte sich nie zu den Vorfällen geäußert.

Die Richter in Melbourne urteilten nun aber mit einer Mehrheit von zwei zu eins Stimmen, dass der Zeuge als äußert glaubwürdig einzustufen sei. Er sei kein „Lügner“ oder „Fantast“. Pells Anwälte hatten auch angebliche Verfahrensfehler angeführt, um die Verurteilung des Kardinals zu kippen. Diese Anträge wurden von den drei Richtern einstimmig zurückgewiesen.

Kaum Regung bei Urteilsverkündung

Das Urteil nahm Pell ohne große Regung auf. In einer schriftlichen Stellungnahme ließ der Kardinal anschließend erklären, er sei „offensichtlich enttäuscht“. Zugleich bekräftigte er, dass er unschuldig sei. Seine Anwälte wollen nun prüfen, ob sie vor Australiens High Court ziehen. Experten hatten dem Kardinal im Berufungsverfahren gute Chancen eingeräumt.

Australiens Premierminister Scott Morrison erklärte am Mittwoch, die Gerichte hätten „ihre Arbeit“ gemacht. Er kündigte an, dem Kardinal solle ein australischer Ehrenorden entzogen werden. Der Fall Pell hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Die katholische Kirche ist in einer Reihe von Ländern wegen Kindesmissbrauchs durch Priester und andere Geistliche unter Beschuss geraten.

Vatikan: Pell kann nochmal berufen

Der Vatikan hat die Bestätigung des Urteils anerkannt und seinen „Respekt“ vor den australischen Justizsystem bekräftigt. Gleichzeitig erinnere man daran, dass Pell sich während des gesamten bisherigen Verfahrens für unschuldig erklärt habe, heißt es in einer am Mittwoch verbreiteten Erklärung des vatikanischen Pressesprechers Matteo Bruni. Auch habe der Kardinal weiterhin das Recht, beim Obersten Gericht Australiens in Berufung zu gehen.

In der Erklärung des Vatikansprechers heißt es weiter, zusammen mit der Kirche Australiens bekräftige der Heilige Stuhl seine Nähe zu den Opfern sexuellen Missbrauchs. Mit Hilfe der eigenen zuständigen kirchlichen Autoritäten werde man weiterhin konsequent gegen Kleriker vorgehen, die derartigen Missbrauch begehen.

Auch der amtierende katholische Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, rief dazu auf, den Justiz-Entscheid zu respektieren. „Ich nehme die Entscheidung des Gerichts mit Respekt an und ermutige jeden, das Gleiche zu tun“, betonte Comensoli laut Kathpress in einer auf der Website seiner Diözese veröffentlichten Erklärung.

Keine Maßnahmen vor Verfahrensende

Vatikan-Sprecher Bruni erklärte auf Journalistenanfragen, dass der Vatikan erst nach Ende des staatlichen Justizverfahrens weitere Schritte setzen wird. Der Vatikan hatte kurz nach der Veröffentlichung des erstinstanzlichen Schuldspruchs gegen Pell im Frühjahr erklärt, dass ein kirchenrechtliches Verfahren gegen Pell eingeleitet wird.

Schon seit seiner Beurlaubung als Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats im Juni 2017 ist dem Kardinal die öffentliche Ausübung seines priesterlichen Dienstes sowie jeglicher Kontakt mit Minderjährigen verboten. Vor weiteren Schritten dürfte der Vatikan das letztinstanzliche Urteil in dem Fall abwarten. Als kirchliche Höchststrafe droht Pell die Entlassung aus dem Klerikerstand.

Drei Gründe für Berufung

Im März wurde der ehemalige Leiter des vatikanischen Wirtschaftssekretariates aufgrund der Einschätzung der Geschworenen-Jury zu sechs Jahren Haft verurteilt. Pell, der sich seither im Gefängnis befindet, bestritt alle Vorwürfe. Im nach dem Ersturteil vom Kardinal angestrengten Berufungsverfahren fand bereits Anfang Juni eine zweitägige Anhörung am Supreme Court des Bundesstaats Victoria statt. Die Urteilsverkündung am Mittwoch wurde vom Gericht live über seine Website übertragen.

Während der Anhörung im Juni trug Pells Anwalt Bret Walker dem Gericht drei Gründe für die Berufung vor. Zentraler Punkt ist der Vorwurf, dass der Schuldspruch der Jury lediglich auf der Aussage des einzigen noch lebenden Klägers basiere. Dem stünden von 20 Zeugen vorgebrachte „unangefochtene entlastende Beweise“, so die Anwälte Pells. So sei es etwa Pells Praxis gewesen, Gemeindemitglieder direkt nach der Messe zu begrüßen und nicht in die Sakristei zurückzukehren, in der die Missbrauchstaten geschehen sein sollen.

Verteidiger: Zweifel und Verfahrensfehler

Die Aussagen des Klägers reichten daher nicht für einen „zweifelsfreien“ Schuldspruch aus, das Urteil sei aus diesem Grund „unangemessen“, so die Verteidigung. Demgegenüber argumentierte die Staatsanwaltschaft, die Beweise des mutmaßlichen Opfers seien so weitgehend, dass die Jury zweifelsfrei von Pells Schuld überzeugt gewesen sei.

Im zweiten Punkt werfen die Anwälte des Kardinals dem Vorsitzenden Richter Peter Kidd vor, mit der Nichtzulassung eines Videos als Teil des Schlussplädoyers der Verteidigung einen Verfahrensfehler begangen zu haben. Mit dem Video wollte die Verteidigung beweisen, dass der dem Geistlichen vorgeworfenen Missbrauch der Buben im vollen erzbischöflichen Ornat praktisch unmöglich gewesen sei. Auch dass die im dem Fall zugeteilten Ersatzmitglieder der Geschworenen-Jury die Anklage Pells nicht live im Gerichtssaal, sondern via Video in einem Nebenraum verfolgten, ist aus Sicht der Anwälte ein Verfahrensfehler.

Drittens habe Richter Kidd einen sogenannten „fundamentalen Formfehler“ begangen: Kardinal Pell sei nicht in Anwesenheit der Geschworenen gefragt worden, ob er sich schuldig oder unschuldig bekenne. Nachdem eine erste Geschworenen-Jury nicht zu einer einstimmigen Entscheidung gelangt war, musste der Prozess neu aufgerollt und eine neue Jury berufen werden. Der neuen Jury ließ der Richter Pells Erklärung „Nicht schuldig“ aus dem ersten Verfahren auf Video vorspielen.

religion.ORF.at/APA/AFP/dpa/KAP

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