Syrien: Christen unter dem Schutz Assads

„Für uns Christen ist eine starke Regierung der beste Schutz“, so der syrisch-orthodoxe Patriarch Ignatius Aphrem II. Karim. Es ist ein nahezu unmöglicher Spagat zwischen Regime und Demokratisierung, den Christen in Syrien probieren.

Auf der Reise von Damaskus nach Aleppo wird klar, die Religionsführer des Landes stehen hinter Präsident Baschar al-Assad. Nahezu ohne Ausnahmen outen sich alle gegenüber religion.ORF.at als Unterstützer des Präsidenten und seiner Regierung. Die Alternative wäre ein islamistischer Staat, so die Befürchtung. Auch scheint die Rechnung einfach: Wer Assad gegenüber loyal ist, wird belohnt. Sicherheit vor Angriffen, aber auch Vorteile beim Besorgen von Wirtschaftsgütern sind der Dank des Regimes.

Auch im christlichen Dorf Ma’arouneh, rund 25 Kilometer von Damaskus entfernt weiß man sich unter dem Schutz von Assad. Von Weitem schon ist der Presslufthammer eines Baggers zu hören. Stück für Stück zerkleinert er den Felsen unter sich. Seit Wochen graben Maschinen eine acht Meter tiefe Grube in den Boden.

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ORF Marcus Marschalek

Aktuell sind auf einem Grundstück in Ma’arouneh Bagger und Lkw am Werken. Schon bald soll hier eine Bäckerei stehen und Arbeitsplätze schaffen

Hier sollen die Fundamente einer großen Bäckerei entstehen. Auch ein Restaurant und ein paar Gästezimmer sind geplant. Es ist eines der Projekte, die Hoffnung geben sollen und auf Zukunft angelegt sind. Von hier aus will man die umliegenden Dörfer, bis nach Damaskus hinein, mit qualitativ hochwertigem Brot versorgen. Für arme Menschen wird es gratis sein, erzählt der melkitisch Griechisch-katholische Priester Hanna Ghoneim. Mit seinem Hilfswerk „Korbgemeinschaft“ versucht er Menschen in Syrien zu helfen. Dazu arbeitet er mit fast allen christlichen Konfessionen zusammen.

Besuch beim syrisch-orthodoxen Patriarchen

Im ersten Gang quält sich der kleine Bus die steile Straße von Ma’arouneh hinauf zum Hochplateau von Maaret Saidnaya. Dort ist der Sommersitz des griechisch-orthodoxen Patriarchen. Vom Krieg ist hier nichts zu sehen. Links und recht der Straße sind Felder. Die Gegend wirkt friedlich, neu und renoviert. Obwohl unangemeldet, empfängt der Syrisch-orthodoxe Patriarch die österreichische Delegation und nimmt sich Zeit für ein Gespräch.

Syrien. syrisch-orthodoxer Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. Karim

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Hanna Ghoneim zu Besuch beim syrisch-orthodoxen Patriarchen

Er wirkt mehr wie ein Geschäftsmann und winkt die Gruppe zu einem Fenster, von dem man einen guten Überblick hat. Stolz zeigt er auf Häuser, die mit Unterstützung der syrisch-orthodoxen Kirche gebaut wurden, auch hat sich seine Kirche an neuen Fabriken und einem großen Waisenhaus beteiligt.

Berichte von Folter und Massenexekutionen

Wenn man aber den Blick nach links richtet, sieht man in etwa sechs Kilometern Entfernung das berüchtigte Gefängnis von Sednaya. 2017 hat dazu Amnesty International einen erschütternden Report veröffentlicht. 84 Augenzeugen, darunter ehemalige Mitarbeiter und Gefangene, berichten von Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren, von Folter, Massenexekutionen und dem anschließenden systematischen Verbrennen der Leichen.

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Hinweis

Der erste Teil der religion.ORF.at-Serie über Syrien - Syrien: Eine Reise Richtung Krieg

Je nach Angaben sollen zwischen 5.000 und 13.000 Menschen in Sednaya ermordet worden sein. Zivilisten waren genauso unter den Opfern wie Menschen aus oppositionellen Milizen. Die syrische Regierung streitet das ab. Der Amnesty-International-Bericht sei „komplett unwahr“ und „fern jeglicher Fakten“.

Auch Patriarch Aphrem II. wirft dem „Westen“ pauschal unwahre Berichterstattung und das Verdrehen von Fakten vor. Vieles werde in den USA und in Europa erzählt, was absolut nicht stimme, beginnt er seine Ausführungen gegenüber religion.ORF.at. „Unsere Kinder wurden auf der Straße und in den Armen ihrer Mütter von den Bomben getötet, aber seit uns die syrische Armee von diesen Rebellen befreit hat, ist es hier wieder ziemlich sicher. Für uns Christen ist eine starke syrische Regierung der beste Schutz.“

Syrien. syrisch-orthodoxer Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. Karim

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„Für uns Christen ist eine starke Regierung der beste Schutz“, so der syrisch-orthodoxe Patriarch

Für den Patriarchen ist es vorrangiger Wunsch, dass sich „die Macht der syrischen Regierung auf jedem Meter des Landes ausbreitet“, denn die Christen müssten in Syrien bleiben. „Wir versuchen den Menschen zu vermitteln, dass es hier noch eine Zukunft für uns gibt, vor allem für die Christen.“ Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache: „50 Prozent aller Christen sind aus unserem Land geflohen. Wir erwarten nicht, dass viele von ihnen zurückkommen werden, nicht einmal ein kleiner Teil, aber wir werden weiter hier leben und weiter ein Teil dieses Landes sein, denn Syrien ist das Land unserer Vorväter.“

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Blick vom Patriarchat über das Land

Mit denjenigen, die ihrem Land den Rücken gekehrt haben, geht der Patriarch durchaus hart ins Gericht. „Viele junge Männer hier haben sieben, acht, neun Jahre Militärdienst geleistet. Und warum tun sie das? Weil sie ihr Land verteidigen müssen. Aber was ist mit den Menschen, die geflüchtet sind? Wenn diese Menschen wirklich hierher zurückkommen wollen, dann sollen sie das, aber dann müssen sie ihrem Land auch dienen. Sie sollen endlich ihre Pflicht erfüllen, wie alle anderen Hiergebliebenen auch!“

Die Geschäfte der Klans

Weiterfahrt nach Homs. Immer wieder sind Checkpoints zu passieren. Ausweise werden verlangt, Gepäckstücke untersucht. Für Außenstehende ist es schwer zu erkennen, zu welcher Einheit die jeweiligen Soldaten gehören. Viele Männer stehen in zusammengestückelten Uniformen an den Kontrollschranken, manche in Sandalen, manche in T-Shirts, andere in khakifarbenen Militärhosen.

Die Checkpoints sind eine gute Gelegenheit, ein wenig zu erahnen, wie die syrische Gesellschaft funktioniert. Vieles läuft hier über die Klans. Diese versuchen bei den Checkpoints Geschäfte zu machen, etwa Zölle einzuheben. Die Klans haben eigene Interessen, und das führt zu Konflikten zwischen den Gruppen, die auf der Seite des Regimes stehen.

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Syrien ist nach wie vor im Krieg. An allen Ecken und Enden patrouillieren Soldaten und Milizen. Nicht immer ist eine Zuordnung leicht möglich

Als Fremder im Land braucht man einige Zeit, bis man sich an die vielen Menschen mit Waffen in der Hand gewöhnt, denn die Klans unterhalten oft eigene Milizen, die die Klangebiete kontrollieren und beschützen. So laufen immer wieder eigenartige Szenen ab. Es kann passieren, dass eine Gruppe junger Burschen, alle mit Maschinengewehren bewaffnet, mit einem Pickup rasant vor einer Imbissbude Halt macht. Eigentlich geht es nur ums Pizza kaufen, doch man merkt, wie die Jugendlichen ihre „Macht“ mit den Waffen in der Hand genießen.

Recht des Stärkeren

Das Recht des Stärkeren hat hier durchaus Tradition. Stattdessen bräuchte es mehr Demokratie und vor allem eine bessere Erziehung und viel viel mehr Bildung, sagt Bischof Jean-Clement Jeanbart von Aleppo. Dazu passt ganz gut die Erfahrung, die der syrisch-orthodoxe Bischof Selwanos Boutros Al-Nemeh in Österreich vor ein paar Jahren gemacht hat.

Damals hätten Politiker zu ihm gesagt: „Schafft den Präsidenten Assad weg und wir machen für euch einen runden Tisch und starten eine Dialog- und Demokratisierungsprozess.“ Nein, sagte Al-Nemeh damals und heute. „Wir sind Männer des Friedens und der Versöhnung. Politische Angelegenheiten sind nicht unsrer Aufgabe als Bischöfe. Wir setzen keinen Präsidenten ab oder helfen der einen oder anderen Seite, einen neuen einzusetzen.“ Syrien brauche noch Zeit, erklärt Al-Nemeh weiter. Sie würden langsam, aber sicher lernen müssen, wie sie mit Demokratie umzugehen hätten. Bis es soweit sei, so sind viele Bischöfe in Syrien überzeugt, garantiere die Regierung Assad das Überleben der Christen in diesem Land.

Den ersten Teil der religion.ORF.at Serie über Syrien lesen sie hier: Syrien: Eine Reise Richtung Krieg

Marcus Marschalek; religion.ORF.at
Mitarbeit: Thomas Winkelmüller

In den nächsten Teilen des Berichts aus Syrien wird demnächst über die Begegnung mit Christen in Maalula berichtet. Sie waren Zeugen der Zerstörung des kleinen Dorfes mitsamt seinen uralten christlichen Kulturschätzen. Die Reise führt dann weiter über Homs bis nach Aleppo. Zu Wort kommen unter anderem der Großmufti von Syrien Ahmad Badr ad-Din Hassun, der syrisch-orthodoxe Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. Karim und auch der melkitische Caritas-Bischof Abdo Arbach.

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