Kritik an Religionsunterricht in Integrationskapitel

Im Regierungsprogramm von Türkis-Grün wird das Thema Religionsunterricht im Integrationskapitel behandelt. Besonders hervorgehoben wird der islamische Religionsunterricht. Das sorgt für Verwunderung und Kritik.

„Befremdlich“ sei „die Fokussierung auf Religionsunterricht unter dem Aspekt der Integration im entsprechenden Kapitel, begleitet von dem Wunsch nach vermehrter Kontrolle“, so Carla Amina Baghajati, Schulamtsleiterin der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ), auf Anfrage von religion.ORF. Die „Fokussierung im Regierungsprogramm“ erscheine „etwas merkwürdig, weil damit impliziert wird, vor allem muslimische Schüler/innen seien irgendwie defizitär und bedürften der Sondermaßnahmen“.

So heißt es unter anderem auf Seite 206 des Regierungsprogramms: „Die pädagogisch-didaktische Aufsicht soll in Zukunft auch Schulqualitätsmanagerinnen und -manager (die früheren Bezirks- und Landesschulinspektorinnen und -inspektoren) verpflichtend umfassen und dadurch die Kontrolle des Religionsunterrichts durch die unabhängige Schulaufsicht stärken.“

Carla Amina Baghajati

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

IGGÖ-Schulamtsleiterin Carla Amina Baghajati findet die Fokussierung auf Religionsunterricht unter dem Aspekt der Integration „befremdlich“

Des Weiteren vorgesehen sind „Erhebung, Evaluierung und Qualitätssicherung von Büchern und Materialien des Religionsunterrichts (insbesondere islamischen Religionsunterrichts)“ unter Hinweis auf „verfassungsrechtliche Werte wie die Gleichstellung der Frau; Prüfung durch das Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit dem Kultusamt auf problematische Inhalte“.

Sicherzustellen sei eine „qualitätsgesicherte Ausbildung von islamischen Religionslehrerinnen und Religionslehrern (...)“. Vorerst war vom Integrationsministerium keine Stellungnahme zu erhalten.

Baghajati: „Schielen auf Ressentiments“

Die Forderung nach einer speziellen Kontrolle des islamischen Religionsunterrichts wirke so, „als schielte man darauf, gewisse Ressentiments in der Bevölkerung zu bedienen“, kritisierte Bagahjati. Die Kontrollinstrumente würden schon jetzt sehr gut greifen.

Andrea Pinz, Leiterin des Erzbischöflichen Amtes für Unterricht und Erziehung („Schulamt“), zuständig für den römisch-katholischen Religionsunterricht, sagte im Gespräch mit religion.ORF.at, die Kooperation mit den für den islamischen Religionsunterricht zuständigen Kolleginnen und Kollegen sei „eine funktionierende“. Es gebe eine laufende Abstimmung mit dem islamischen Schulamt, die Kommunikation sei gut.

Pinz: Bereits sehr enge Zusammenarbeit

„Kirchen und Religionen arbeiten in Österreich diesbezüglich bereits sehr eng zusammen“, so Pinz. Auch Baghajati bezeichnete die interreligiöse Zusammenarbeit als „ausgezeichnet, sei es auf der Ebene der Schulämter oder auch an den Schulstandorten selbst zwischen den Unterrichtenden“.

Sie erinnerte an die Gleichbehandlung der anerkannten Religionsgemeinschaften, „eines der rechtsstaatlichen Prinzipien innerhalb unseres säkularen Kooperationsmodells“. Pinz wies auch auf die gemeinsame Ausbildung aller Religionslehrerinnen und -lehrer an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH) hin.

„Das ist ein neues Projekt, das gut greift.“ Es existiere aber erst seit einigen Jahren, sodass es noch viel Lehrpersonal gebe, das eine andere Ausbildung erfahren habe. Die Kooperation mit der KPH sei „für Europa einmalig“, betonte auch Baghajati. Im Rahmen der gleichen Kooperation finde auch Fort- und Weiterbildung statt.

Experte: Religionsrecht als Integrationspolitik

Kritik an der Verortung des Themas Religionsunterricht im Kapitel über Integration übte Richard Potz, emeritierter Professor für Religionsrecht an der Universität Wien, in einem Gastkommentar in der aktuellen „Furche“.

Das vorliegende Regierungsprogramm zeige „die nicht unbedenkliche Tendenz, Religionsrecht zu einem Teilbereich von Integrations- und Sicherheitspolitik zu machen“. Schulamtsleiterin Pinz sieht hier „keine Problemstellung. Die Verantwortung für Qualitätskontrolle liegt schon jetzt bei den staatlichen Behörden“, Religionsunterricht sei „nicht alleiniger Auftrag der Religionen“.

Dem Regierungsprogramm zufolge solle außerdem das Kultusamt „vielfach gestärkt und offenbar in Richtung eines österreichischen ‚Diyanets‘ (der einflussreichen türkischen Religionsbehörde, Anm.) ausgebaut werden, das quasi kultuspolizeiliche Aufgaben übernehmen soll“, kritisierte Potz.

Keine „Religionspolizei“

Das Kultusamt soll „durch einen klaren gesetzlichen Auftrag“ gestärkt werden, heißt es dazu im Regierungsprogramm. Für Pinz bestehe „keine Notwendigkeit, beim Religionsunterricht stärker tätig zu sein“. Schärfer formulierte das die islamische Schulamtsleiterin Baghajati: „Das Kultusamt hat vor allem administrative Aufgaben. Es sollte sich nicht in Richtung ‚Religionspolizei‘ entwickeln.“

Zur geforderten stärkeren Kontrolle erwähnte Baghajati das Bundesverfassungsgesetz und das Schulorganisationsgesetz: Die hier formulierten Zielbestimmungen der österreichischen Schule „bilden einen Rahmen, dem sich auch der Religionsunterricht verpflichtet sieht“. Hier werde „ein wertvoller Beitrag geleistet, wenn es etwa darum geht, dass jeder Jugendliche seiner Entwicklung und seinem Bildungsweg entsprechend zu selbstständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden soll, dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer gegenüber aufgeschlossen sein soll“.

Dienstvertrag verpflichtet

Alle islamischen Religionslehrerinnen und -lehrer verpflichteten sich in ihrem Dienstvertrag mit der IGGÖ zu diesen Zielen, so die Schulamtsleiterin. Auch Pinz betonte die Aufgabe des Religionsunterrichts, durch „intellektuelle, argumentative Auseinandersetzung“ zur „Stärkung der Persönlichkeit“ beizutragen. Das klare Bekenntnis zum konfessionellen Religionsunterricht im Kapitel zu Bildung sehen sowohl Baghajati als auch Pinz positiv, ebenso die Einführung von Ethikunterricht.

Das umstrittene Kopftuchverbot für Mädchen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres wird im Programm als Beispiel angeführt für das Bekenntnis der Regierung zu „Rahmenbedingungen“, die „geschaffen werden, damit Kinder möglichst ohne Zwang (wie z. B. das Tragen eines Kopftuchs) aufwachsen können“. Rechtexperte Potz schreibt vom „Popanz“ Kopftuch, das „wenig überraschend“ als Beispiel herangezogen werde.

Kopftuchverbot: Ausweitung „gut prüfen“

Auch die katholische Schulamtsleiterin Pinz kann sich „andere Möglichkeiten“ vorstellen, um Mädchen zu stärken. Jedenfalls müsse man „gut prüfen“, wie ein solches Verbot genau ausschauen solle, „bevor man den nächsten Schritt setzt“. Wenn Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) meine, kein Mädchen trage das Kopftuch freiwillig, dann wolle sie die Realität nicht sehen, so Baghajati zu diesem vieldiskutierten Thema. Verfassungsrechtlich könne „diese Verbotspolitik“ nicht halten.

Baghajati erwähnte die Bemerkung eines kürzlich zugewanderten Schülers, „der beeindruckt war, dass er als Muslim in einem mehrheitlich katholisch geprägten Land Islamunterricht an der Schule hat – und sich dadurch gleich wertgeschätzt und gut aufgehoben fühlte“. Diesen Effekt sehe sie gefährdet, wenn man muslimischen Schülerinnen und Schülern „zu verstehen geben wollte, sie brauchten eine Art Extraerziehung“.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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