Papst-Schreiben: „Frustration und Zuversicht“

Im Spannungsfeld zwischen „herber Frustration und zarter Zuversicht“ sieht der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner das nachsynodale päpstliche Schreiben „Querida Amazonia“.

Die Absicht des päpstlichen Schreibens sei es nicht, Türen zuzumachen, sondern zu weiten und vor allem die Ortskirchen in ihren vielfältigen reichen Kulturen an ihre unabtretbare Verantwortung zu erinnern. Das betreffe letztlich die Bischöfe in Amazonien genauso wie in Österreich, so Zulehner in seinem Blog. Papst Franziskus setze jedenfalls zugleich auf Synodalität und Inkulturation. Und angesichts der pastoralen Fragen dürften auch die wichtigen ökologischen und sozialen Fragen, denen der Papst viel mehr Raum widmet, nicht übergangen werden.

Wenn der Papst den Bischöfen Amazoniens vor der Synode noch zugerufen habe „Macht mir mutige Vorschläge“, so drehe er jetzt den Spieß um und rufe ihnen von Rom aus über den Atlantik zu: „Seid mutig und handelt als bestellte Hirten in Eigenverantwortung!“ Nun könne man über so wenig Entscheidungsfreude beim Papst frustriert sein, man könne aber auch dagegenhalten, „dass er die Tür für eine Lösung im Sinn der mutigen Vorschläge der Bischöfe Amazoniens offengehalten hat“. Für Zulehner ist darüber hinaus dem Dokument zu entnehmen, „dass der Papst nun die von ihm nicht lehramtlich getroffenen Entscheidungen von den Hirten vor Ort erwartet“.

Papst setzt auf inkulturiertes Priesteramt

Franziskus erwarte jedenfalls Anstrengungen, das Priesteramt so zu gestalten, dass es auch in den entlegensten und isoliertesten Gemeinden in den Dienst einer häufigeren Eucharistiefeier gestellt wird. Er unterstreiche in seinem pastoralen Traum für Amazonien noch einmal die im Synodendokument erhaltenen theologischen Eckpunkte und bestätige damit den Bischöfen Amazoniens, dass er auch in dieser sensiblen Fragen auf ihrer Seite stehe, so Zulehner.

Paul Michael Zulehner

ORF/Marcus Marschalek

Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner

Alles beginne laut dem Papst mit dem „Hineinsingen des Evangeliums in die Melodien der amazonischen Kultur“. Dabei formten sich Gemeinden des Evangeliums. In diesen würden künftig ausgebildete Laien weit mehr Dienste als heute übernehmen. Auch von „kirchlichen Diensten“, die Frauen übertragen werden sollen, sei die Rede. Für die Eucharistie brauche es freilich Priester, wobei der Papst ein inkulturiertes Priesteramt im Blick hat.

Ortskirchen „unter Druck“

Indem der Papst die Hirten vor Ort für die Lösung dieser pastoralen Frage verantwortlich macht, „setzt er die Hirten in der ganzen Kirche unter Druck“. Der Priestermangel sei auch in vielen Gebieten Europas dramatisch, so Zulehner: „Weil der Papst die Verantwortung den Hirten Amazoniens zurückgespielt hat, erwarte ich mir pastoraltheologisch, dass sich auch unsere Ortskirchen für unsere Lage und damit letztlich für eine zusätzliche neue Form des priesterlichen Amtes und des Zugangs zu diesem verantwortlich wissen.“

Die Österreichische Bischofskonferenz könnte schon in der nächsten Sitzung über Lösungswege beraten. Die fehlenden Priester durch die Ausweitung der pastoralen Räume in Großpfarren zu kompensieren, halte er jedenfalls für den falschen Weg, so der Pastoraltheologe.

Keine zeitgemäße Theologie der Frauen

Wenig Freude hat Zulehner damit, wie Papst Franziskus in seinem Schreiben die Frauenfrage anspricht. So hält der Pastoraltheologe wörtlich fest: „Fast ist es ein wenig peinlich, dass der Papst, wenn er angestrengt nach symbolgeladenen Argumenten gegen die Ordination von Frauen anschreibt, behauptet, die Ordination würde die Frauen ‚klerikalisieren‘.“

Wenn Amt und Klerikalismus derart unentflechtbar ineinander gehen, dann müsste der Papst, um den von ihm verfemten Klerikalismus auszumerzen, die Ordination überhaupt abschaffen, so Zulehner. Nachsatz: „Die zeitgemäße Theologie der Frauen war noch nie die Stärke der Päpste, auch nicht die von Papst Franziskus.“

Überlebensfragen der Menschheit

Wie Zulehner schließlich schreibt, halte er die pastoralen Aspekte der Amazoniensynode, die sich der Papst nunmehr offiziell angeeignet hat, für wichtig. Aber sie stünden erst an vierter Stelle der päpstlichen Träume. „Der Schrei der indigenen Völker, die Bedrohung ihrer Existenz, die Sexausbeutung und Versklavung der an die Ränder der Städte Weggezogenen, der Schutz des großen heiligen Flusses und des Regenwaldes haben weltpolitisch weit mehr Gewicht“, so Zulehner, denn bei diesen gehe es um Überlebensfragen der Menschheit und aller Lebewesen der Schöpfung.

Der Papst nütze sein Schreiben, um seine Enzyklika „Laudato si“ in die konkrete Praxis zu übersetzen: „Ökologie (auch Humanökologie) und Ökonomie lassen sich nicht voneinander trennen.“ Den Zugriff von internationalen Konzernen auf die Lebensbereich der 110 indigenen Völker würde Franziskus in aller Schärfe geißeln. Und er bitte die Weltgemeinschaft, sich für den Schutz „unseres Regenwaldes“ mit seinen Wundern der Natur und der in diesem lebenden Arten stark zu machen und den Schrei der bedrohten Natur und der bedrohten Völker zu hören.

religion.ORF.at/KAP

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