Sterbehilfe: Familienverband warnt vor „Dammbruch“

Der katholische Familienverband Österreich (KFÖ) hat am Mittwoch nach dem deutschen Urteil zur Sterbehilfe vor einem „Dammbruch“ auch in Österreich gewarnt. Hier wird der Verfassungsgerichtshof voraussichtlich im Sommer entscheiden.

„Gehen wir den guten österreichischen Weg weiter, den wir bei der Sterbehilfe haben. Schmerztherapien sind möglich, ohne dass Mediziner sich vor Straffälligkeit fürchten müssen. Eine Erlaubnis zum assistierten Suizid würde massiven Druck auf ältere und pflegebedürftige Menschen ausüben“, so KFÖ-Präsident Alfred Trendl.

Das Verfahren vor dem deutschen Höchstgericht war u.a. vom Schweizer Sterbehilfe-Verein Dignitas angestrengt worden. Das Bundesverfassungsgericht unterstrich das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und erklärte ein Gesetz von 2015 gegen die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung für nichtig. In Deutschland war - im Gegensatz zu Österreich - Beihilfe zum Suizid auch bisher nicht verboten, wohl aber die „geschäftsmäßige“ (wiederholt ausgeführte) Sterbehilfe.

Entscheidung in Österreich fühestens Juni

Verbandspräsident Trendl schrieb am Mittwoch in einer Aussendung, er hoffe, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) den „guten österreichischen Weg“ nicht zerstören werde. Derzeit sind in Österreich vier Verfahren zum Thema Sterbehilfe beim VfGH anhängig. Die soeben in der Frühjahrssession tagenden Verfassungsrichter werden sich frühestens in ihrer nächsten Session im Juni damit beschäftigen, hieß es am Dienstag auf Anfrage der APA.

Vor dem Hintergrund einer immer prekärer werdenden Pflegesituation warnte Trendl vor einer „bequemen Lösung“; er sehe die Gefahr eines „Dammbruches“ gegeben: In Ländern, in denen vor einigen Jahren Sterbehilfe für unheilbar Kranke erlaubt wurde, debattiere man mittlerweile über Sterbehilfe bei psychischen Erkrankungen, für Kinder und Jugendliche, für Häftlinge oder für Demenzkranke.

Ethikerin: „Schwerer Rückschritt“

Als schweren Rückschritt hat die Wiener Ethikerin Susanne Kummer die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch bezeichnet. „Der Rechtsstaat gibt den Schutz des Schwächeren zugunsten des Stärkeren auf“, so Kummer wörtlich im Kathpress-Interview am Mittwoch. Kummer ist Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE).

„Wenn wir als Gesellschaft menschenwürdig, solidarisch und mit Respekt vor einer richtig verstandenen Autonomie leben wollen, dann muss der Schutz vor einer Beihilfe zur Selbsttötung Fundament der Rechtsordnung bleiben“, hielt Kummer dagegen fest. Mit dem deutschen Urteil werde das Rechtssystem ausgehöhlt und es stellt sich die Frage, „inwieweit man dann noch Suizidprävention betreiben kann“. Statt eines Rechts auf Tötung brauche es mehr Solidarität mit Menschen in schweren Lebenskrisen, forderte Kummer.

Die deutsche Regierung will das am Mittwoch verkündete Sterbehilfe-Urteil des Verfassungsgerichts zunächst prüfen und auswerten. Erst danach wäre über mögliche Maßnahmen zu entscheiden, wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin deutlich machte.

Gesellschaft für humanes Lebensende erfreut

Die österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) bezeichnete in einer Aussendung am Mittwoch das Urteil als „fundamentalen Durchbruch für ein Sterben in Würde“. „Das heutige höchstrichterliche Urteil ist ein Schritt nach vorne für all jene, die mehr Selbstbestimmung, Würde und Menschlichkeit am Lebensende einfordern“, schrieb Wolfgang Obermüller, Sprecher der ÖGHL.

Er hoffe nun, dass dieser Richterspruch auch in Österreich wirken werde. Denn in Österreich wird noch in diesem Jahr ein Urteil zur generellen Liberalisierung der Sterbehilfe erwartet. Die ÖGHL setzt sich eigenen Angaben zufolge für eine Entkriminalisierung der Sterbehilfe ein und fordert nicht nur einen Rechtsanspruch auf die Ausgabe geeigneter Medikamente sondern auch auf aktive Sterbehilfe. Dabei betonte sie in der Aussendung den ethischen und zeitlichen Vorrang von Palliativmedizin und psychischer sowie emotionaler Betreuung vor jeder Entscheidung zum Freitod.

religion.ORF.at/APA/KAP

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