Vatikan öffnet Archive zu Papst Pius XII.

Am Montag werden die vatikanischen Archive zum Pontifikat von Papst Pius XII. geöffnet. Seine Rolle im Holocaust wird Historikerinnen und Historiker die nächsten Jahre beschäftigen.

Bei den Stichworten Vatikan, Archiv, geheim, Weltkrieg und Holocaust sind die Erwartungen hoch gesteckt. Erstmals werden zwei spannende Jahrzehnte der jüngeren Geschichte zugänglich gemacht.

„Im Pontifikat von Pius XII. verdichtet sich gewissermaßen das 20. Jahrhundert insgesamt“, sagte Martin Baumeister, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Die knapp 20 Jahre seiner Regierungszeit bildeten „eine Art Scharnier“ in einem Zeitalter der Extreme - zwischen den totalitären Diktaturen einerseits und der einsetzenden Demokratisierung andererseits.

Öffnung mehrerer Archive

Datum der Öffnung ist der 81. Jahrestag der Wahl von Eugenio Pacelli (1876-1958) zum Papst am 2. März 1939, zugleich sein 144. Geburtstag. Üblicherweise würden die Archive erst am 10. Oktober 2028 geöffnet, 70 Jahre nach dem Tod des Papstes. Aber genau wegen der Themen NS-Zeit und Judenverfolgung hatte bereits Johannes Paul II. 2003 verfügt, die Archive Pius’ XI. (1922-1939) eher zu öffnen; Benedikt XVI. ordnete dies für Pius XII. an.

Packungen mit Dokumenten aus den Vatikanischen Archiven, die am 2. März 2020 geöffnet werden

APA/AFP/Alberto Pizzoli

Am Montag werden nicht nur die Dokumente zum Pontifikat Pius XII. zugänglich gemacht, sondern auch die Archive der Glaubenskongregation und anderer Kurienbehörden

Geöffnet wird nicht nur das Vatikanische Apostolische Archiv, das bis vergangenen Oktober noch „Vatikanisches Geheimarchiv“ hieß - wobei „geheim“ nur „privat“ bedeutete. Auch die Archive der Glaubenskongregation und anderer Kurienbehörden öffnen ihre Pforten für Forscherinnen und Forscher.

Fünf Kartons pro Tag

Damit Wissenschaftler darin überhaupt arbeiten können, mussten die Mitarbeiter das gesamte Material erst einmal zusammenstellen und katalogisieren. 200.000 archivarische Einheiten - Kartons, die wenige Notizzettel oder auch bis zu 1.000 Blatt Papier enthalten können.

Die eigentliche Arbeit der Historikerinnen geschieht an einem der knapp 60 Arbeitsplätze im Benutzersaal des Hauptarchivs. Rund die Hälfte ist für jene reserviert, die sich Pius XII. widmen. Andere Forschungen sollen deswegen nicht komplett blockiert werden. In einem eigenen Indexsaal können sie anhand des Katalogs das Material bestellen, das sie interessiert: maximal fünf Kartons pro Tag.

Arbeitsbeginn Montag 8.00 Uhr

„Wenn wir also am 2. März um 8.00 Uhr anfangen, können wir gegen 10.00 Uhr die ersten Dokumente zu Pius XII. anschauen“, sagt der deutsche Historiker Hubert Wolf, der dort schon oft gearbeitet hat. Anschließend beginnt für ihn und sein Team das Blättern, Lesen, Entziffern. Auf mitgebrachten Laptops finden die Forscher Material anderer Archive oder Forschungen, das zum Abgleich dienen kann.

„Zunächst werden wir versuchen, uns klarzumachen, nach welchem System Akten geordnet wurden“, sagt Wolf. Denn da Pius XII. die meiste Zeit ohne Staatssekretär regierte, könnte sich in der Ablagepraxis etwas geändert haben. Von relevanten Dokumenten können die Forscher sich Scans machen lassen. Wer auf Nuntiaturberichte stößt und dazu Näheres wissen will, muss sich ins Archiv des Staatssekretariats begeben. Für die Theologie ginge es hinüber in die Glaubenskongregation.

Vieles bereits bekannt

Was die erwarteten Themen betrifft, sieht Baumeister „die Fortsetzung der Hochhuth-Themen zu hoch gehängt“. Der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth hatte in seinem 1963 uraufgeführten Theaterstück „Der Stellvertreter“ Pius XII. angesichts des Holocausts als untätig darstellt und sein Image damit seitdem maßgeblich geprägt.

Baumeister warnte zudem davor, sich zu sehr auf die Person des Papstes zu konzentrieren. Viele Informationen zu Pius und Holocaust sind nach Aussagen von Forschern bekannt. Die Bewertung der Frage, warum der Pacelli-Papst öffentlich nicht deutlicher gesprochen hat, können und werden wohl unterschiedlich ausfallen.

Zusammenarbeit mit jüdischen Historikern

Wolf will diese Fragen unbedingt zusammen mit jüdischen Historikern angehen. Mehrfach habe er selbst mit Holocaust-Überlebenden gesprochen. „Wenn mir dabei bald 90-Jährige sagen: ‚Sorgen Sie dafür, dass wir erfahren, warum der Papst nicht laut protestierte‘, und sie geben einer solchen Persönlichkeit die Hand, dann ist das ein moralisches Versprechen, saubere Arbeit zu machen“, sagt Wolf.

Doch in den Archiven des Vatikan schlummern auch Informationen zu anderen, viel weniger erforschten Themen: Zur Haltung oder gar zum Einfluss der katholischen Kirche bei der Blockbildung von NATO und Warschauer Pakt, bei der europäischen Einigung, der Entkolonialisierung in Asien und Afrika oder auch zur Entwicklung im Islam erwarten Wolf und Baumeister noch einiges.

Seriöse Ergebnisse in drei bis fünf Jahren

Aber es brauche Geduld, warnten beide. Drei bis fünf Jahre werde es mindestens dauern, bis seriöse Ergebnisse vorliegen könnten, schätzte Wolf. Damit neue Erkenntnisse etwas taugen, muss viel Material miteinander verglichen, kontrolliert und abgewogen werden. „Wir sind keine Vereinfacher, wir sind Verkomplizierer“, warnte Baumeister vor Sensationsmeldungen.

Vertuschungen oder Behinderung seitens des Vatikans erwarten beide nicht. Es gebe sicher ein Interesse, „das Bild von Pius XII. nicht zu sehr angekratzt zu sehen. Ich kann aber nicht sagen, dass der Vatikan verhindern wollte, an bestimmte Dinge ranzukommen“, sagte Baumeister. Und sollten Dinge tatsächlich aus Beständen entfernt worden sein, so „würde man das sehen, und mir ist das bisher nicht vorgekommen“, beruhigte Wolf.

religion.ORF.at/APA

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