I: Kritik an Kirchenschließungen wegen Coronavirus

Kritisch hat sich der Gründer der Gemeinschaft Sant’Egidio, Andrea Riccardi, zur Einbeziehung der Kirchen in die Abwehrmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus geäußert.

In einem Kommentar für die Turiner Tageszeitung „La Stampa“ stellte Riccardi fest: "Die Schließung so vieler Kirchen in Norditalien, die Absage der Messfeiern, die Begräbnisse nur im kleinsten Familienkreis und ähnliche Maßnahmen haben bei mir eine gewisse Bitterkeit hinterlassen.

Corona Kirche

APA/AFP/Alberto Pizzoli

In seinem auf Norditalien bezogenen Kommentar erinnerte Riccardi daran, dass Geschäfte, Supermärkte und Espressos offen geblieben seien, und auch die öffentlichen Verkehrsmittel nicht eingestellt sind. Das sei auch richtig so

Ich bin kein Epidemien-Spezialist, aber stehen wir wirklich vor so großen Risiken, dass wir auf unser gemeinschaftliches religiöses Leben verzichten müssen? Die Vorsicht ist nützlich, aber vielleicht haben wir uns von der großen Protagonistin der Zeit - der ‚Angst‘ - mitreißen lassen".

Christliches Miteinander während der Epedemie

Als Gegenbild zitierte der Historiker und Ex-Minister die Untersuchungen des US-amerikanischen Soziologen Rodney Stark über das Verhalten der frühen Christen bei Epidemien: Dieses Verhalten war nach Ansicht Starks mitentscheidend für den Aufstieg des Christentums in den ersten Jahrhunderten.

Die Christen seien nicht wie die Heiden aus der Stadt und vor den anderen geflüchtet, sie hätten einander vielmehr - motiviert durch den Glauben - besucht und unterstützt, gemeinsam gebetet und die Toten begraben. Wegen dieser gewissenhaften Unterstützung und wegen der gemeinschaftlichen und sozialen Verbundenheit sei auch ihre Überlebensrate höher als die der Ungetauften gewesen.

„Die Zeiten ändern sich“, stellte der Sant’Egidio-Gründer in diesem Zusammenhang fest: „Aber die jüngsten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus scheinen den Raum der Kirche zu banalisieren und dabei die Mentalität der Regierenden zu offenbaren“.

Offene Bars und Supermärkte, geschlossene Kirchen

In seinem auf Norditalien bezogenen Kommentar erinnerte Riccardi daran, dass Geschäfte, Supermärkte und Espressos offen geblieben seien, und auch die öffentlichen Verkehrsmittel nicht eingestellt sind. Das sei auch richtig so.

Die Gotteshäuser dagegen seien fast wie Theater und Kinos behandelt worden, die zur Schließung verpflichtet sind. Die Kirchen könnten zwar offen bleiben, aber ohne gemeinsames Gebet.

Man müsse sich aber die Frage stellen, welche Gefahr die Werktagsmessen darstellen sollen, an denen eine Handvoll Personen teilnimmt, „weniger als in einem U-Bahn-Zug oder einem Supermarkt“. Nur in der Region Emilia-Romagna seien weiterhin die Werktagsmessen möglich.

„Starkes Signal der Angst“

Riccardi bezeichnete die Situation als „starkes Signal der Angst“, aber auch als Ausdruck der Nivellierung der Kirche auf die Ebene der Zivil-Institutionen. Die Gotteshäuser seien nicht nur risikobehaftete „Versammlungsorte“, sondern auch Orte des Geistes: „Hoffnung und Trost gebende Ressourcen in schwierigen Zeiten, sie erinnern daran, dass man sich nicht allein retten kann“.

Der Sant’Egidio-Gründer erinnerte an den Heiligen Karl Borromäus, der als Erzbischof von Mailand während der großen Pestepidemie in der lombardischen Hauptstadt 1576/77 die Kranken besucht, mit dem Volk gebetet und barfuß eine Bußprozession angeführt habe.

Das gemeinsame Gebet in der Kirche nähre ohne Zweifel Hoffnung und Solidarität, so Riccardi. Es sei eine allgemeine Erfahrung, dass eine starke spirituelle Motivation hilfreich sei, um Krankheiten zu widerstehen.

religion.ORF.at/KAP

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