Belastungszeuge im Fall Pell akzeptiert Freispruch

Der heute erwachsene ehemalige Chorknabe, der im Missbrauchsprozess um Kardinal George Pell ausgesagt hat, akzeptiert nach eigenen Angaben dessen Freispruch - und warnt vor den Folgen.

„Ich respektiere die Entscheidung des High Courts“, teilte der Mann am Dienstagabend nach dem Freispruch Pells durch das oberste Gericht Australiens mit. Seine Aussage war die Grundlage für die Verurteilung gewesen. Der Mittdreißiger, als „Zeuge J“ bekannt, mahnte aber, dass es in Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern schwierig sei, diese zweifelsfrei nachzuweisen. Dies sei ein „hoher Maßstab, der zu erreichen ist - eine hohe Bürde“, hieß es. „Aber der Preis, den wir für die Gewichtung des Systems zugunsten des Angeklagten zahlen, ist, dass viele Sexualdelikte an Kindern ungestraft bleiben.“

Er hoffe, dass das Urteil Missbrauchsopfer nicht davon abgehalten werde, ihren Fall bei der Polizei anzuzeigen, erklärte J. und fügte hinzu: „Ich möchte Überlebenden von sexuellem Kindesmissbrauch versichern, dass die meisten Menschen die Wahrheit erkennen, wenn sie sie hören.“

Frühere Verurteilung aufgehoben

Im März 2019 war Pell, der frühere Erzbischof von Melbourne, wegen des Missbrauchs zweier Chorknaben in den 90er Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Das zweite mutmaßliche Opfer war bereits 2014 gestorben und hatte sich nie öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Das höchste australische Gericht hatte am Dienstag dem Berufungsantrag des 78-jährigen Australiers nach dem Prinzip „im Zweifel für den Angeklagten“ stattgegeben.

Die beiden Pell vorgeworfenen Missbrauchsfälle sollen sich jeweils in der Sakristei der Kathedrale von Melbourne nach einer Bischofsmesse zugetragen haben. Mehrere Zeugen sagten jedoch aus, dass sich Pell nach einer feierlichen Bischofsmesse ständig in Begleitung anderer befand und es in der Sakristei zudem ein ständiges Kommen und Gehen gab. Auf diese Aussagen wies das Oberste Gericht auch in seiner Urteilsbegründung hin.

Weitere Verfahren anhängig

Der ehemalige Finanzchef des Vatikans und enge Vertraute des Papstes wurde daraufhin nach rund 13 Monaten in Haft aus einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Melbourne entlassen. Der Vatikan begrüßte den Freispruch. In Melbourne sind allerdings weitere zivilrechtliche Klagen gegen ihn wegen des Missbrauchs Jugendlicher anhängig. Während bei Strafrechtsverfahren die Schuld eines Angeklagten zweifelsfrei bewiesen werden muss, reicht bei Zivilrechtsverfahren für eine Verurteilung die Plausibilität.

Zudem sind strafrechtliche Verfahren gegen Pell wegen des Verdachts der Behinderung der Justiz bei seinen Aussagen vor dem staatlichen Missbrauchsausschuss wahrscheinlich. Belege dafür könnten sich in den zwei Bänden des Abschlussberichts einer staatlichen Untersuchungskommission zu Missbrauch in der australischen Kirche finden, die nach dem nun abgeschlossenen Verfahren freigegeben werden.

An der St. Patricks Kathedrale von Melbourne machten Pells Gegner jedenfalls ihrem Ärger Luft - sie sprühten darauf Slogans wie „Keine Gerechtigkeit“ und „Verrotte in der Hölle, Pell“.

religion.ORF.at/dpa/APA/AFP/KAP

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