Theologe: Coronavirus weckt Aberglauben

In Zeiten der Krise steige offenbar die Neigung gerade unter religiösen Menschen, theologisch Fragwürdiges für bare Münze zu nehmen und letztlich dem Aberglauben im Christentum Tür und Tor zu öffnen, so der Wiener Theologe Gunter Prüller-Jagenteufel.

Dieser Beobachtung geht Prüller-Jagenteufel in einem Beitrag für den „Corona-Blog“ der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien, theocare.network nach. Und er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass gerade unter den konservativen Gläubigen und auch Kirchenleuten eine Form von Aberglauben Einzug hält, die „jeden halbwegs gebildeten Theologen sprachlos zurücklässt“.

Als Beispiel benennt Prüller-Jagenteufel etwa Marian Eleganti: Der Churer Weihbischof, der sich nach massiver Kritik nun nur noch nach Rücksprache öffentlich äußern darf, hatte in einem Video-Blog die Maßnahmen der Schweizer Bischofskonferenz zur Eindämmung des Coronavirus kritisiert, u. a. die Anordnung, die Weihwasserbecken zu leeren und auf die Mundkommunion zu verzichten.

„Ja, ich erwarte Wunder“

„Wie kann ich von der Kommunion Unheil und Ansteckung erwarten?“, fragte Eleganti. Jeder Gläubige müsse selbst entscheiden dürfen, wie er den Leib Christi empfange. In dem Videobeitrag erklärte der Weihbischof: „Ja, ich erwarte Wunder und rechne mit der Kraft und dem Schutz Gottes.“

Für Prüller-Jagenteufel spricht aus diesen Äußerungen ein „Kinderglaube jenseits aller Rationalität“, demnach Gott „nach Belieben Naturgesetze ein- und aussetzt“. Dies sei jedoch „theologischer Unsinn“ und habe mehr mit Magie und Esoterik als mit rational verantwortbarer Religion zu tun. Dies sei indes keine theologische Spitzfindigkeit, so der Theologe.

Eine solche naiv-religiöse Grundhaltung könne zu einem „Zerstörer der christologischen Glaubensbasis“ werden, insofern sie „das Bekenntnis, dass in Christus Gott ganz Mensch geworden ist, doketistisch auflöst“: „Die (menschliche) Natur ist nur Schein, der Leib nicht real; Gott hat die (menschliche) Natur nicht ‚angenommen‘, sondern ‚überwunden‘, im Sinne von ‚für nichtig erklärt‘“. Diese Überzeugung sei nicht nur falsch, sondern in Zeiten einer Pandemie „im wahrsten Sinn des Wortes gemeingefährlich“.

„Opfer der intellektuellen Redlichkeit“

Mit dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), zu dem Prüller-Jagenteufel viel wissenschaftlich arbeitet, könne man in einen solchen theologischen Rückgriff nur als „Verzweiflungsschritt“ verstehen, der „mit dem Opfer der intellektuellen Redlichkeit“ erkauft werde. Dagegen wolle er mit Bonhoeffer festhalten, dass es einem intellektuell redlich verantworteten Glauben nicht darum gehen könne, „die Hände in den Schoß zu legen“ und sich auf einen Gott zu verlassen, der in den Lauf der Geschichte eingreift und Naturgesetze aufhebt, sondern „als ‚Glaubende‘ müssen wir um Gottes Willen selbst verantwortlich handeln“.

Eben das meine Bonhoeffer im Übrigen auch, wenn er vom „religionslosen Christentum“ spreche - d. h. ein Christentum, das damit ernst mache, dass Gott kein „Lückenbüßer“ sein könne, der immer dort agiert und gerufen werden kann, wo der Mensch nicht weiter wisse. Der Gott der Bibel sei schließlich „weder kosmischer Terminator noch glorreicher happy-end-Gott“, zitierte Prüller-Jagenteufel abschließend aus einer Einführung in das Denken Bonhoeffers von Sabine Dramm.

religion.ORF.at/KAP

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