D: Caritas fordert neue Debatte über Sterbehilfe

Nach dem jüngsten Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe fordert die deutsche Caritas eine gesellschaftliche Debatte über den Wert des Lebens. In Österreich muss sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Sterbehilfe befassen.

Caritas-Präsident Peter Neher sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Montag-Ausgabe), er halte die Entscheidung der Karlsruher Richter für „problematisch, weil sie das Selbstbestimmungsrecht letztlich als einziges Kriterium über Tod und Leben nennt“.

Fraglos handle es sich beim Selbstbestimmungsrecht „um ein hohes Gut“, erläuterte er. „Das setzt aber voraus, dass jeder Suizidwunsch aus einer selbstbestimmten Haltung heraus geäußert wird. Und ob das immer der Fall ist, hinterfrage ich mindestens kritisch“, so Neher.

Sterbewunsch missverstanden

Neher argumentierte, ein geäußerter Sterbewunsch könne auch missverstanden werden. „Wenn jemand unter großen Schmerzen leidet oder sich in tiefer Einsamkeit befindet, frage ich mich, ob dessen Selbstbestimmung tatsächlich so leitend ist oder ob es nicht letztlich ein Ruf nach Leben, nach Zuwendung, nach Hilfe, nach Unterstützung, nach Nähe ist. Deshalb halte ich diese starke Betonung der Selbstbestimmung angesichts der Komplexität für falsch“, sagte der Präsident des Deutschen Caritasverbandes.

Sendungshinweis

In der neuen Doku „Ein Recht auf den Tod?“ widmet sich „kreuz und quer“ der ethischen Debatte über Sterbehilfe. Dienstag, 16.06.2020, ab 22.35 Uhr, ORF 2

Es zeige aber, dass „eine Debatte darum“ notwendig sei, so Neher. Der deutsche Caritas-Präsident, der seine Dissertation zum Thema Sterben und Sterbebegleitung geschrieben hat, befürchtet nach dem Urteil der Richter „eine schwerwiegende Folge“: „Es erweckt den Eindruck, Selbsttötung wäre eine legitime Alternative bei schwerer Erkrankung oder Einsamkeit. Damit könnte ein Mensch in die Situation gebracht werden, in der ausgesprochen oder implizit von ihm erwartet wird: Mach deinem Leben endlich Schluss.“

Druck auf alte und kranke Menschen

Vor allem „der Druck auf alte und schwer kranke Menschen kann dadurch steigen, die Möglichkeit der assistierten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen“, warnte Neher. Um die negativen Folgen abzumildern, sei es „notwendig, die Maßnahmen der Palliativversorgung zu stärken“, forderte Neher. „Wir müssen Sterben als Teil des Lebens anerkennen“, sagte der Präsident des katholischen Sozialverbandes.

Ende Februar hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht das 2015 vom Parlament beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen, organisierten Suizidbeihilfe für nichtig erklärt. Karlsruhe betonte, dass es ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben gebe. Eine behutsame Regulierung der Suizidbeihilfe sei jedoch möglich.

VfGH berät über Sterbehilfe

In Österreich sind Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe verboten. Wer Menschen mit Sterbewunsch Hilfestellung leistet oder sie medizinisch berät kann wegen Verleitung zum Selbstmord bestraft werden. Diesen Juni soll der Verfassungsgerichtshof darüber entscheiden, ob ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet wird.

Denn das strikte Verbot der Sterbehilfe bzw. der Mitwirkung am Suizid versucht die „Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende“ (ÖGHL) im Wege von unterstützten Individualanträgen zu kippen. Vier Antragsteller - darunter zwei Schwerkranke - argumentieren, dass leidende Menschen gezwungen seien, entweder entwürdigende Verhältnisse zu erdulden oder (unter Strafandrohung für Helfer) Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen. In anderen Ländern Europas, etwa in den Beneluxstaaten, ist Tötung auf Verlangen für Menschen mit schweren tödlichen Erkrankungen am Lebensende oder auch aus anderen Gründen erlaubt.

religion.ORF.at/KAP/APA

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