Rebell und „Prophet“: Theologe Drewermann ist 80

Am Samstag feiert der deutsche Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann seinen 80. Geburtstag. Wegen Abweichungen von der kirchlichen Lehrmeinung verlor er Priesteramt und Lehrerlaubnis. Später wurde er von einem Bischof als „Prophet“ bezeichnet.

In seinem Buch „Kleriker - Psychogramm eines Ideals“ hatte Drewermann bereits 1989 jene Strukturen analysiert und angeprangert, die den erst Jahre später ans Licht gebrachten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ermöglichten. Er war ein Abweichler, auf den die römisch-katholische Kirche auf sehr althergebrachte Weise reagierte: 1991 Entzug der katholischen Lehrbefugnis, 1992 Predigtverbot und Suspendierung vom Priesteramt.

Der Theologe, Psychotherapeut, Lehrbeauftragte, Redner und Schriftsteller legte sich mit Lehramt der Kirche an, indem er unter anderem die Jungfrauengeburt, die Auferstehung, Himmelfahrt und Wunder symbolisch deutete.

Eugen Drewermann im Gespräch mit Marcus Marschalek

ORF/Marcus Marschalek

Eugen Drewermann im Gespräch mit religion.ORF.at am 17. Juni 2020 in Paderborn

Im Gespräch mit religion.ORF.at, wenige Tage vor seinem Geburtstag, bekräftigt Drewermann seine Kirchenkritik: “In meinen Augen steht die kirchliche Theologie im Zwang ihrer eigenen Angst. Sie sucht Sicherheit durch scheinbar klare, rationale interpretierbare Formeln. Aber sie vergewaltigt damit die Freiheit der Menschen in dem sie Glauben in der Angst von der Lehrmeinung abzuweichen bindet. Die Jahrhunderte der Inquisition sind dahingegangen. Die Indoktrination durch verfestigte Formeln hat den Glauben des Vertrauens in der Seele der Menschen ersetzt. Und diejenigen die das verwalten, bestehen selber nur aus Angst. Das kann man sehen. Sie sind nicht zum Mitdenken fähig, sie lassen sich nicht auf neue, den Menschen Einsichten eröffnende Interpretationsweisen der eigenen Tradition ein. Und das quält mich sehr, dass Leute, die eigentlich Gott suchen von der Kirche ferngepredigt werden, in Bildern, die sie nicht mehr verstehen können.”

Drewermann gilt als Vertreter der tiefenpsychologischen Exegese. Kritiker werfen Drewermann vor, alles zu psychologisieren, inklusive der Politik.

Rehabilitiert wurde er bisher nicht, doch der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer sagte 2018 in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, was Drewermann 1977/78 über die „Strukturen des Bösen“ in der Kirche geschrieben habe, sei prophetisch gewesen. „Eugen Drewermann ist ein von der Kirche verkannter Prophet unserer Zeit“, so Wilmer.

Für ein radikal anderes Weltbild

Drewermann selbst hat sich längst anderen, noch größeren Themen zugewandt, schrieb die dpa anlässlich seinen 80. Geburtstags. Eines davon ist der Komplex Natur und Klimawandel. Hier vertritt er weit radikalere Ansichten als wohl die meisten „Fridays for Future“-Demonstranten. Seine Kritik richtet sich gegen die Grundlage des Kapitalismus - das Privateigentum. Nur mit einem anderen Wirtschaftssystem, das nicht auf Gewinnmaximierung und Wachstum ausgerichtet sei, lasse sich noch etwas verändern, meint er.

Sendungshinweis:
Drewermann: Ein Rebell wird 80
„Orientierung“ am Sonntag, dem 21.6.2020, um 12.30 Uhr in ORF 2
Wiederholungstermine:
23.6.2020, 9.30, ORF III
23.6.2020, 11.05, ORF 2
27.6.2020, 11.30 Uhr, ARD ALPHA

Drewermann beruft sich in seiner Wirtschaftskritik auf Jesus, den Mann von Nazareth: „Wir glauben, dass uns das Geld zusteht, das wir durch eigene Arbeit verdient haben. In Wirklichkeit meint Jesus, dass das ein falsches Weltbild ist: Selbst wenn wir arbeiten können, verdanken wir das einer Gesundheit, die wir nur begrenzt in der Hand haben, wie wir gerade erleben. Wir verdanken es unserer Ausbildung und der intakten Familie, in der wir aufwachsen durften. Wir haben Glück gehabt. Also ist es selbstverständlich, dass wir das Geld, das uns geschenkt wird, an die Unglücklichen weiterschenken.“

„Uns gehört gar nichts“

Diese Haltung lässt sich nach seiner Überzeugung direkt aus dem Neuen Testament ableiten. „In der Nähe Jesu war es selbstverständlich: Uns gehört gar nichts.“ Selbst praktiziert Drewermann Konsumverzicht schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Seine Möbel sind vom Sperrmüll, sein Besitz besteht aus Büchern.

"Dass ich einfach lebe ist nicht, wie oft geschrieben wird, eine besondere Form von Askese, sondern von Vereinfachung. Ich kann nicht Dinge gebrauchen, die mich nur belasten. Für einen kleinen Haushalt, wie ich ihn führe, muss ich nicht den Kühlschrank für die Lagerung von Dingen benutzen. Strom verbrauchen. FCKW zur Zerstörung der Ozonschicht in den Himmel schicken. Ich brauch das alles nicht. Für mich ist das selbstverständlich mit Rücksicht auf die Natur so wenig zu gebrauchen als es möglich ist. Dass die Natur geschont wird, indem wir sie in Ruhe lassen, das ist mir ein heiliges Anliegen,” erzählt er im Gespräch mit religion.ORF.at

Auch das Thema Tierwohl nimmt in seinen Veröffentlichungen breiten Raum ein und er selbst ist Vegetarier. All das geht einher mit einem radikalen Pazifismus: „Frau Kramp-Karrenbauer (die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Anm.) bestellt 130 Kampfbomber und lässt vier Kampfschiffe auflegen. Das kostet alles sinnlos viel Geld“, kritisiert er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben andere Probleme.“

„Das Leben endet tödlich“

Ungewöhnliches hatte er gegenüber der dpa auch zum Coronavirus zu sagen. Für ihn zeigt die Pandemie, dass die Menschen ihre eigene Sterblichkeit verdrängen. „Wir können mit der simplen Tatsache unserer Endlichkeit nicht wirklich umgehen. Wir leben in der permanenten Angst, dass die Natur uns bedrohen könnte. Das tut sie unvermeidlich, das Leben endet tödlich, und das Dasein hat seine Grenze. Das sollten wir akzeptieren. Schon die alten Römer sagten: Weise werden, heißt, zu sterben lernen.“

Dass diese Haltung den Menschen völlig fremd geworden sei, liege am Verlust der religiösen Perspektive. „Wir klammern uns fanatisch an die paar Jahrzehnte der Endlichkeit, setzen die Ärzte ein als Götter in Weiß.“ Er selbst ist zwar 2005 aus der Kirche ausgetreten, seinen Glauben an Gott und ein Weiterleben nach dem Tod hat er jedoch nicht verloren. „Ganz im Gegenteil. Die Perspektive ins Unendliche tröstet mich sehr und macht mir Mut, die paar Jahrzehnte hier auszuhalten. Ich stelle mit Erstaunen fest, dass ich mit 80 Jahren jetzt schon seit 15 Jahren zu einer Risikogruppe gehöre. Mir kommt das nicht riskant, sondern ganz normal vor.“

Umstrittene Thesen

Das Christentum ist für Drewermann eine Botschaft zur Erlösung des Menschen von der Angst. Die Geschichten der Bibel versteht der Theologe als Chiffren für archetypische Leitbilder menschlicher Erfahrung nach der Psychologie von Carl Gustav Jung, nicht aber als historische Fakten. „Jesus ist als Mensch gezeugt und geboren, wie jeder andere Mensch auch. Ungewöhnlich war nicht seine Geburt, sondern sein Leben", sagte er Anfang der 1990er Jahre.

Eugen Drewermann

ORF/Marcus Marschalek

Der Vielschreiber Eugen Drewermann hat bereits über 100 Bücher publiziert

In den Wunder-Berichten sieht der Theologe einen Rückgriff auf andere Religionen: „Lange vor Jesus hat Dionysos - der griechische Gott der Ekstase - Wasser in Wein verwandelt, lange vor Jesus ist Buddha über Wasser gegangen. Lange vor Jesus hat Asklepios, der griechische Gott der Heilkunst, Krankheiten aller Art geheilt.“

Vor allem mit seiner Interpretation der Ostergeschichte, der zentralen Botschaft des Christentums, eckte Drewermann an. Im Gespräch mit religion.ORF.at bekräftigt er seine Gedanken dazu: “Wer kann denn glauben, dass ein Toter aus dem Grabe kommt? Das ist der Grund nicht mehr an Ostern zu glauben. Was sehen wir, wenn wir an einem offenen Grabe stehen? Wir können nach unten schauen und hören die Sprache der Naturwissenschaft. Alles was da ist, wird sich auflösen bis zum letzten Gamma-Quant, zerfallen in den Wirklichkeitsstufen. Von der Psychologie auf die Biologie auf die Chemie, bis hin zur Physik, nichts wird davon übrig bleiben.

Oder wir schauen hinauf zu den Händen Gottes aus denen wir kommen und wir sehen eine ganz andere Welt. Davon spricht der Ostermorgen!

Diejenigen die meinten ihn töten zu können haben nur bewiesen, dass sie selber der Tod sind. Aber er ist das Leben mit all den Worten die er sprach zum Beispiel mit den Seligpreisungen der Bergpredigt. Das alles sind Worte von einer umstürzenden Wahrheit. Und jeder kann begreifen, dass so das wahre Leben beginnen würde und der Tod wird es nicht auslöschen.”

„Den Glauben der Kirche verlassen“

Drewermanns Ansichten zu Moraltheologie und der Bibelauslegung führten zu Konflikten mit der Amtskirche. 1991 hatte der damalige Erzbischof von Paderborn, Johannes Joachim Degenhardt, dem Privatdozenten an der katholischen Hochschule der Stadt den Entzug des Priesteramtes und der kirchlichen Lehrerlaubnis angedroht, falls er seine „falsche Lehre“ über die Jungfräulichkeit Marias, die Abtreibung und das Priesteramt nicht bis zum 5. Oktober 1991 öffentlich widerrufe. Das von der Amtskirche gestellte Ultimatum verstrich.

Klärende theologische Gespräche zwischen dem Erzbischof und Drewermann kamen nicht zustande oder scheiterten, wobei man sich gegenseitig die Schuld gab. Der Ton wurde zunehmend polemischer. Die Deutsche Bischofskonferenz resümierte 1992, Drewermann habe „den Glauben der Kirche verlassen“.

Priester auf die Couch

Besonders hart traf damals viele Priesterkollegen Drewermanns „Kleriker-Psychogramm“. Darin legte er seinen ganzen Berufsstand auf die Psycho-Couch. Er attestierte vielen Priestern kranke Seelen, Weltfremdheit und falsches Opferverständnis. Seine These riefen bei vielen Geistlichen Betroffenheit, aber auch offene Zustimmung hervor. Selbst Kritiker wie Degenhardt gaben zu, dass Drewermann grundsätzlich richtige Fragen stellte.

Öffentlich forderte Drewermann Verständnis für Frauen in Schwangerschaftskonflikten und kritisierte die katholische Moraltheologie. Über sich selbst sagte er einmal: „Ich bin als Priester der Wahrheit und nicht der Ruhe verpflichtet.“

Der am 20.6.1940 geborene Drewermann wuchs in einer gemischtkonfessionellen Familie im deutschen Ruhrgebiet auf, sein Vater war evangelisch, die Mutter katholisch. Er studierte Philosophie und Theologie und wurde mit 26 zum Priester geweiht. Er war als Studentenseelsorger tätig und ließ sich mit 28 in Neopsychoanalyse ausbilden. Fast jährlich publizierte er ein Buch, darunter seine monumentalen Werke über die tiefenpsychologische Exegese der Evangelien.

gold, mmar, religion.ORF.at/dpa