Medien: Erdogan kann über Hagia Sophia entscheiden
Das ist nach Angaben des Portals OrthodoxTimes und des römischen Pressediensts Fides das zu erwartende Ergebnis einer entsprechenden Gerichtsanhörung am Donnerstag. Bis zur Veröffentlichung des Wortlauts der Entscheidung und der entsprechenden Begründungen werden demnach noch einige Tage vergehen.
Die Richter bekräftigten laut den Berichten frühere Entscheidungen, wonach ein Dekret von Republikgründer Mustafa Kemal („Atatürk“) aus dem Jahr 1934, mit dem die Hagia Sophia zu einem Museum wurde, legal zustande gekommen ist. Der Status als Museumskomplex entspricht also der aktuellen Rechtslage. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass das derzeitige türkische Staatsoberhaupt das Recht habe zu entscheiden, den Status der Hagia Sophia per Präsidialdekret zu verändern.
Erdogan will Rückwidmung
Die Sitzung des „Danistay“, der in der Türkei auch „Staatsrat“ genannt wird, dauerte laut Beobachtern nicht einmal eine halbe Stunde. Staatschef Erdogan hatte in den vergangenen Wochen die Pläne für eine Rückwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee forciert.
Die Hagia Sophia hat eine wechselhafte Geschichte: Nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 wurde die Kirche durch die Osmanen in eine Moschee umgewandelt. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung in ein Museum an.
Vorwurf: Unterschrift Atatürks ungültig
Mit diesem Beschluss des Ministerrats beschäftigte sich nun das Oberste Verwaltungsgericht. Ein Verein hatte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu schon im Jahr 2016 Klage eingereicht und eine Annullierung der damaligen Entscheidung gefordert.
Bei der Verhandlung am Donnerstag argumentierten Vertreter des Vereins nach Angaben des türkischen Senders TRT, dass die Unterschrift Atatürks unter dem damaligen Beschluss fehlerhaft und damit ungültig sei. Die Staatsanwaltschaft dagegen erklärte demnach, dass die damalige Entscheidung des Ministerrats rechtens sei. Sie forderte eine Ablehnung der Klage. Der Status des Bauwerks ist ein Politikum. Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP fordern seit langem, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln.
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In nur sechs Jahren erbaut
Mehr als 900 Jahre wurde in der mächtigsten Kirche des östlichen Christentums Gottesdienst gefeiert, danach fast 500 Jahre lang das muslimische Freitagsgebet gehalten. Die Hagia Sophia („Heilige Weisheit“), erbaut als Palast- und Krönungskirche der byzantinischen Kaiser, steht am äußerten Südostzipfel Europas - und blickt quasi über den Bosporus hinüber nach Asien.
Die Hagia Sophia gehört zu den großen Bauwerken der Menschheit, möglich gemacht durch beträchtliche Steuern, die der christliche Kaiser Justinian einziehen ließ. Nachdem der Vorgängerbau, bereits eine fünfschiffige Basilika, im Zuge eines Aufstands bei einem Stadtbrand zerstört wurde, planten die Architekten Isidor von Milet und Anthemios von Tralleis einen Bau der Superlative. Entstanden in nur knapp sechs Jahren (532-537), wurde er zum Vorbild unzähliger späterer religiöser Bauwerke.
Erdbeben zerstörte Kuppel
Der zentrale Kuppelbau symbolisierte die Kaiserideologie als Beherrscher aller vier Himmelsrichtungen - und bildete zugleich das himmlische Jerusalem ab. Die riesige Kuppel wird durch mehrere Halb- und Nebenkuppeln abgestützt; Fensterreihen am Fuß lassen den Eindruck eines schwebenden Dachs entstehen.
Allerdings: Nach einem Erdbeben 557 stürzte die Kuppel ein; sie wurde bis 563 wiederhergestellt und auf 56 Meter erhöht. So kühn war der Bau, dass in den folgenden Jahrhunderten immer mehr Stützmauern den Außenbau verstärken mussten. Aber: Was das Äußere klobig erscheinen ließ, erhielt zugleich die Schwerelosigkeit im Inneren.
Schauplatz von Kirchenspaltung
Die Hagia Sophia wurde auch Schauplatz der Spaltung von West- und Ostkirche im „Großen Schisma“ von 1054; der gegenseitigen Exkommunikation, die erst 1965 aufgehoben wurde. Dieser und viele spätere Vorgänge vertieften den Graben zwischen orthodoxer und römischer Kirche; allen voran die Eroberung und komplette Plünderung Konstantinopels und der Hagia Sophia durch westliche (christliche) Kreuzfahrer im Vierten Kreuzzug 1204.
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1453 eroberten die Truppen Sultan Mehmets II. die geschwächte Hauptstadt, die sie in Istanbul (abgeleitet von griechisch „eis ten polin“, „in die Stadt“) umbenannten. Nach über 1.000 Jahren hörte die Palastkirche auf, eine bzw. die christliche Kirche überhaupt zu sein. Außen wurden vier Minarette angefügt; im Innenraum ersetzten muslimische Insignien die christlichen. Ikonen wurden entfernt und Mosaike verputzt; sie wurden erst im 20. Jahrhundert wieder freigelegt.
Kirche, Moschee, dann Museum
Von der überaus prächtigen Innenausstattung der Sophienkirche ist außer den freigelegten Mosaiken kaum etwas erhalten, vor allem durch die Plünderungen der christlichen Kreuzfahrer 1204. An die Zeit als Moschee erinnern noch die Gebetsnische in der Apsis, die Tribüne des Vorbeters, die Kanzel für die Freitagspredigt sowie die mächtigen Schilder mit den Namen der ersten vier Kalifen.
Nach dem Untergang des Osmanischen Reiches und der Ausrufung der Türkischen Republik 1923 wandelte Staatsgründer Mustafa Kemal „Atatürk“ die Moschee 1934/35 in ein Museum um.
religion.ORF.at/KAP/dpa