Betriebsseelsorge: Vertrauen bei geringem Interesse

Die großen Auseinandersetzungen und das Misstrauen zwischen Kirche und Arbeitern gibt es nicht mehr, „sondern meist ist diesen die Kirche schlicht wurscht“: Das betont der Betriebsseelsorger im Oberen Waldviertel, Karl Immervoll, in einem Interview für „Kirche bunt“.

Den meisten Priestern fehle heute die Zeit, in die Betriebe zu gehen, bedauerte Immervoll, der am 1. September in den Ruhestand tritt. Er sieht die Kirche „leider oft weit weg von den Lebensrealitäten der Menschen“.

Immervoll und sein Team haben ein dichtes Netzwerk geschaffen und können dadurch vielen schwer vermittelbaren Menschen ohne Job helfen. Für den Heidenreichsteiner zählen nicht die Statistiken, sondern die konkreten Lebensgeschichten der Betroffenen. Als er 1983 begonnen hatte, gingen allein in der Textilindustrie 2.000 Arbeitsplätze in Heidenreichstein verloren. Auf diese Menschen sei sein Team zugegangen, indem viele Beschäftigungsprojekte verwirklicht wurden.

Betriebsseelsorge benötigt vielfältiges Team

Betriebsseelsorge sei komplex, so Immervoll. Man brauche ein Team, in das jeder verschiedene Kompetenzen einbringe - vom Vereinsrecht über Soziologie bis hin zur Ökonomie. Es brauche ein großes Konglomerat an Wissen.

Bei seinem Team sei der Fokus bei Personen gelegen, die von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen waren, man habe hunderte Jobs geschaffen für Menschen, die ganz schwer vermittelbar seien - etwa die Waldviertler Schuhwerkstatt, die Emailwerkstatt in Langegg, die Greißlerei in Heidenreichstein, eine ökologische Putzagentur in Groß-Siegharts, das Kinderhaus Blümchenclub, die Heidenreichsteiner Arche oder die Lehrlingsstiftung Eggenburg.

„Meine Frage an Arbeitslose ist immer: Was kannst du denn gut? Fabriksarbeiter wussten darauf oft keine Antwort, weil sie ‚nur‘ in der Fabrik arbeiteten. Im Gespräch merkt man, wie viel Potenzial bei den Leuten oft da war“, so Immervoll.

Wegen Corona Lehrstellen weggebrochen

Früher seien Jugendlichen leichter in Unternehmen untergekommen, konstatierte er. Durch die Corona-Krise sei die Jugendarbeitslosigkeit wiederum um hundert Prozent gestiegen: „Es fallen Lehrstellen weg, Betriebe ziehen sich zurück. Schwer Vermittelbare sind heute praktisch chancenlos. Und das geht in die nächsten Generationen über.“

Oft würden neben Arbeitslosigkeit noch weitere Probleme dazukommen - von schlechten Zähnen bis zu kaputten Kühlschränken, deren Reparatur nicht bezahlt werden könne, reiche die Palette. Beim Hören von Lebensgeschichten von Leuten bekomme er oft „großen Respekt, wie diese ihre Situation und den Alltag meistern, das berichten bloße Statistiken nicht - diese Lebensgeschichten und Erfahrungen berühren sehr“, so der Seelsorger.

Förderung von Menschen mit speziellen Fähigkeiten

Sein Team habe mehrere Betriebe saniert, und so kenne er die unternehmerische Seite wie auch jene des Arbeitnehmers gut. Vom Psychisch-Menschlichen her handle es sich bei den Betreuten oft um „ein wenig komplizierte Typen, deren oft einzigartige Fähigkeiten nicht gefragt“ seien, die sie aber gerne positiv in die Gesellschaft einbringen würden.

Die Betriebsseelsorge könne dafür einen Rahmen geben. „Wir geben den Menschen die Möglichkeit und Freiheit, jenen Tätigkeiten nachzugehen, die sie wirklich und von Herzen gerne tun - aber ohne Druck. Das sind oft gesellschaftlich unverzichtbare Arbeiten. Bezahlte Arbeit aber finden manche dieser Personen, die vielleicht zu alt oder krank sind, nicht.“

Zum christlichen Auftrag als Betriebsseelsorger sagte Immervoll, man müsse aufhören, auf jedes Problem eine Antwort zu geben. „Wir wollen dort sein, wo die Not am größten ist. Und wir glauben, dass man Gott am nächsten ist, wenn wir bei den Ärmsten und Schwächsten sind. Die Option für die Armen ist uns ins Herz geschrieben“, so sein Fazit.

religion.ORF.at/KAP

Link: