Film: Ein Ex-Häftling als Priester
2011 gab sich der damals 19-jährige Pole Patryk Bledowski in einem Dorf als Priester aus, feierte etwa drei Monate lang auf unkonventionelle Art Messen, nahm die Beichte ab und organisierte Aktivitäten für Jugendliche. In einem Interview mit dem polnischen Magazin Onet Film, sagte er, er habe von seiner Mutter den festen Glauben mitgegeben bekommen, dass Gott in allem und jedem steckt.
Die Verfilmung dieser Geschichte ist eingebettet in eine fiktive Rahmenhandlung: Der junge Häftling Daniel findet im Gefängnispriester Pater Tomasz ein Vorbild, assistiert ihm und äußert den Wunsch, selbst Priester zu werden. „Straftäter nehmen sie nicht“, sagt Tomasz, aber: „Gutes kann man auf viele Weise tun“.
Stadtkino Filmverleih
Als Daniel auf Bewährung entlassen wird, geht er, statt sich im Sägewerk eines entlegenen Dorfes zum Arbeitsdienst zu melden, in die Kirche. Dort gibt er sich als Priester (Pfarrer Tomasz) aus - ein Kollarhemd hat er aus dem Gefängnis mitgenommen, das trägt er nun zu Jeans.
Hinweis
„Corpus Christi“ läuft ab 21. August 2020 in österreichischen Kinos.
Zerbrechlichkeit und Stärke
Bald wird er gebeten, den dortigen Pfarrer zu vertreten, als dieser wegen Alkoholproblemen vorübergehend das Dorf verlassen muss. „Sie meinen, die Messen und alles?“, fragt Daniel. „Und viel mehr“, antwortet der Dorfpfarrer lächelnd.
Stadtkino Filmverleih
Überrascht und erschrocken übernimmt Daniel die Aufgabe - er hat keine andere Wahl. Das, was er über das Priester-Sein und die kultischen Handlungen weiß, kennt er von Pater Tomasz aus dem Gefängnis. Er vermittelte dem jungen Häftling, dass auch in ihm das Göttliche ist. Bartosz Bielenia verkörpert als Daniel überzeugend und authentisch die innerlichen Vorgänge zwischen Mut, Angst, Lügen, Ehrlichkeit, Zerbrechlichkeit und Stärke.
Radfahren als Buße
Patryk Bledowski, das reale Vorbild des Films, erzählte Onet Film, dass er für die Abnahme der Beichten eineinhalb Stunden gebraucht habe, der echte Pfarrer sei in zehn Minuten fertig gewesen. Auch im Film nimmt sich die Figur Zeit für die Beichtenden und geht individuell auf sie ein. So antwortet er einer Mutter, die beichtet, ihren Sohn manchmal zu schlagen, auf die Frage, wie sie Buße tun könne, „gehen sie mit ihm Radfahren“.
Der über weite Strecken in fahles Licht getauchte und düster gehaltene Film erhielt bei der Verleihung des Polnischen Filmpreises 2020 elf von 15 möglichen Auszeichnungen und wurde für den Oscar als bester ausländischer Spielfilm nominiert. Es empfiehlt sich, das polnische Original mit deutschen Untertiteln anzusehen.
Stadtkino Filmverleih
Regisseur Komasa schafft über knapp zwei Stunden eine spannende Geschichte über die Legitimität menschlichen Handelns auf vielen Ebenen. Beklemmend wird etwa die Brutalität der Gefängnisinsassen und das Machtgefüge unter den Häftlingen geschildert. Viel Raum nimmt ein etwas überdimensional inszeniertes „dunkles Geheimnis“ des Dorfes ein.
Wahrheit und Schmerz in erträglichem Licht
Ein Unfall mit mehreren Todesopfern, anschließender Schuldzuweisung und den Versuchen der Bevölkerung, mit dem Verlust umzugehen belastet das ganze Dorf. Dennoch: der „falsche“ Priester wirkt heilsam auf die Gemeinschaft und rückt Wahrheit und Schmerz in ein erträgliches Licht. Gelungen stellt der Film die Frage, wer im Namen Gottes sprechen darf.
Nicht zuletzt zeigt er auch die Autorität der katholischen Kirche in Polen. Längst hat der Kapitalismus den Kommunismus abgelöst, aber Daniel als Pfarrer Tomasz hat in gewisser Weise die größte Autorität. Er zwingt den gierigen Bürgermeister und Sägewerksbesitzer, der ihm eindrücklich nahelegt, den das ganze Dorf beeinflussenden Unfall ruhen zu lassen, auf die Knie. Gemeinsam bekennen sie im Matsch knieend Gier und Machtstreben.
Nina Goldmann, religion.ORF.at