IGGÖ-Kritik an Dokustelle für „politischen Islam“

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hat am Mittwoch die angekündigte Dokumentationsstelle für religiös motivierten politischen Extremismus vorgestellt. Kritik kam umgehend von muslimischer Seite.

Die Dokumentationsstelle wurde im Vergleich zum Regierungsprogramm deutlich eingeschränkt. Dokumentiert und beforscht werden soll nun ausschließlich der „politische Islam“, seine Strukturen und entsprechende Parallelgesellschaften, schrieb die APA.

Wörtlich ist im Kapitel Gedenkkultur von der Schaffung einer „Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert“ die Rede.

Schon beim Namen regt sich Widerstand bei Muslimen. „Wieso befindet sich nach wie vor die ungenaue und undefinierte Bezeichnung ‚politischer Islam‘ im Namen der Dokumentationsstelle, wenn diese doch sinnvollerweise jeglichen religiös motivierten politischen Extremismus betrachten sollte?“, fragte der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Ümit Vural, in einer Aussendung. Grundsätzlich begrüßt er die Schaffung einer Dokumentationsstelle für Antisemitismus, den religiös motivierten politischen Extremismus und Rassismus im 21. Jahrhundert.

„Politischer Islam“ nicht definiert

Auch Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ) kritisiert, dass der Begriff „politischer Islam“ nach wie vor nicht definiert sei - übrigens auch innermuslimisch nicht, wie er religion.ORF.at sagte.

Bundesministerin Susanne Raab (ÖVP), Lorenzo Vidino, Mouhanad Khorchide

APA/Roland Schlager

Bundesministerin Susanne Raab (ÖVP) präsentierte zusammen mit dem Extremismusforscher Lorenzo Vidino (li.) und dem Religionswissenschaftler Mouhanad Khorchide am Mittwoch die angekündigte Dokumentationsstelle für „politischen Islam“

Die Beratungsstelle Extremismus hatte im Vorfeld ebenfalls darauf hingewiesen, dass es „keine einheitliche Arbeitsdefinition und schon gar keine anerkannte wissenschaftliche Definition dafür, was unter „Politischer Islam“ zu verstehen ist“ gebe. „Eine solche Arbeitsdefinition wäre jedoch notwendig, um die Aufgaben einer „Dokumentationsstelle für den politischen Islam“ festlegen zu können“, so die Beratungsstelle.

„Keine Stelle gegen die Religion“

Dass sich die Meldestelle nun ganz dem „politischen Islam“ widmen soll, begründete Raab damit, dass es für die anderen Themen das DÖW und die Bundesstelle für Sektenfragen gebe: „Aber es gibt keine Einrichtung, die sich den Kampf gegen den politischen Islam zum Ziel gesetzt hat.“ Querverbindungen zu Themen wie Antisemitismus und Rassismus werde sich aber auch die neue Dokumentationsstelle ansehen – etwa den muslimischen Antisemitismus oder die türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe.

Dennoch versicherte Raab, dass sich die Meldestelle nicht gegen den Islam an sich richte, sondern lediglich gegen die „extremistische Ideologie des politischen Islam“. „Diese Dokumentationsstelle ist keine Stelle gegen die Religion.“ Daran hegt der IMÖ-Obmann religion.ORF.at gegenüber Zweifel. Er befürchtet eine „Überwachungsstelle“ für jegliche politische Äußerung beziehungsweise Teilhabe von Musliminnen und Muslimen.

IMÖ: Aufgaben des Verfassungsschutzes

Außerdem sieht er die Aufgaben der neuen Stelle ohnehin bereits durch den Verfassungsschutz abgedeckt. Zu den Aufgaben der neuen Stelle gehört laut Raab der Kampf gegen den politischen Islam, die wissenschaftliche Erforschung, Dokumentation und Information über religiös motivierten Extremismus sowie über die entsprechenden Vereinsstrukturen. Baghajati dagegen befürchtet die Stärkung von Ressentiments und einen Generalverdacht gegenüber Muslimen.

Kritik an fehlender Datengrundlage

Baghajati äußerte auch scharfe Kritik an den zugrundeliegenden Daten und attestierte den Protagonisten der Präsentation Inkompetenz. Denn wie viele Vereine im Visier der Dokumentationsstelle stehen könnten, wussten weder die Ministerin, noch die vom ihr beigezogenen Experten Lozenzo Vidino und Mouhanad Khorchide. Baghajati meldete heftige Bedenken bezüglich der Wissenschaftlichkeit Vidinos Arbeit an.

Auch die IGGÖ forderte in ihrer Stellungnahme, dass „den Forderungen nach wissenschaftlichen Standards und objektiven Besetzungsverfahren Rechnung getragen wird“. Eine gute Zusammenarbeit mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft, als Kompetenzzentrum der islamischen Extremismusprävention, sei unbedingt notwendig, so die IGGÖ.

Nadim Mazarweh, Leiter der IGGÖ-Kontaktstelle für Extremismusprävention und Deradikalisierung schrieb in der IGGÖ-Aussendung: „Niemand hat einen vergleichbaren Zugang zu allen Vereinen und niemand kann ähnlich effizient mit eventuell Betroffenen kommunizieren. Wenn die Glaubensgemeinschaft wieder ignoriert werden würde, würde dies die bestehende Sorge verstärken, das in Wahrheit ein Generalverdacht gegenüber allen Musliminnen und Muslimen und der Religion des Islam herrschen würde.“

Experten bei der Präsentation

Vidino, Extremismusforscher an der US-amerikanischen George Washington University, verwies darauf, dass sich Salafisten und Muslimbrüder nicht als solche outen würden. Daher sei die „Pionierarbeit“ der Meldestelle auch so wertvoll.

Und Khorchide, Religionswissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, verwies darauf, dass der politische Islam seine Zentren vielfach bereits eher in Europa als in den islamischen Ländern habe. Dazu gebe es aber noch kaum Forschungsarbeiten. Auch er betonte, dass es dabei nicht um den Islam an sich gehe, sondern um „eine gefährliche Ideologie des politischen Islam“.

Mitarbeiter gesucht

Gegründet wurde die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ als Bundesfonds nach Vorbild des Österreichischen Integrationsfonds, die Startfinanzierung erfolgt mit 500.000 Euro aus dem Budget des Integrationsministeriums, wie Raab sagte. Gleichzeitig betonte die Ministerin die Unabhängigkeit der Arbeit des Gremiums, das fünf bis sieben Mitarbeiter haben soll. Diese werden nun gesucht.

Die Informationen, die durch die neue Stelle generiert werden, sollen Behörden, Politik und Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. „Die Stelle soll Transparenz schaffen", so Raab. Die Leitung ist ebenfalls ausgeschrieben, wobei Raab bereits klarmachte, dass die Stelle mit einer Frau besetzt werden soll.

gold, religion.ORF.at/APA

Links: