Religionsexperte: Bei „politischem Islam“ differenzieren

Mehr Differenzierung und weniger „populistischer Aktionismus“ seien gefragt, wenn man sich dem Islamismus und dem sogenannten „politischen Islam“ annähern möchte, so der Religionswissenschaftler Franz Winter in der Wochenzeitung „Die Furche“.

Mit dieser Forderung hat sich Winter kritisch zur jüngst von Integrationsministerin Susanne Raab präsentierten Errichtung der „Dokumentationsstelle für politischen Islam“ geäußert.

Diese Einrichtung könne als „Akt der Diskriminierung einer einzelnen Religion“ gewertet werden, die seit 100 Jahren anerkannte Religionsgemeinschaft in Österreich ist. „Punktuelle Probleme, die es zweifellos gibt, sollten kein Anlass sein, ‚die Muslime‘ an sich pauschal zu verunglimpfen“, appellierte Winter in der „Furche“.

„Alle Muslime in Geiselhaft“

Der Theologe sieht die Gefahr, dass die genaue Definition des Zuständigkeitsbereichs der Dokumentationsstelle „vermutlich ausbleiben wird“. Übrig bleibe ein „diffuses Gefahrenbild, das alle Muslime in Geiselhaft nimmt“, so das Fazit des Professors am Institut für Religionswissenschaft der Universität Graz.

Indirekte Kritik übte Winter auch an Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der von Österreichs Muslimen ein Bekenntnis zur Verfassung und zum Rechtsstaat eingefordert hatte. Dies offenbare, das man selbst von höchster politischer Stelle „den Blick für das Maß, das es zu halten gäbe“ verloren habe, merkte der Theologe an.

Islamismus als Resultat des Kolonialismus

Aus religionswissenschaftlicher Perspektive habe sich der „Islamismus“, der synonym zum Begriff „politischer Islam“ verstanden werden könne, aus dem problematischen Verhältnis zwischen islamischer und „westlicher“ Welt entwickelt, erläuterte Winter.

Er sei eine Folge der Konfrontation mit Europa, der „Moderne“ und dem „Muster des Kolonialismus“. Eine Rolle spielen laut Winter auch die Forderung nach einer radikalen Reform des „rückständigen“ Islam, der Untergang des Osmanischen Reiches als Folge des Ersten Weltkrieges, die Gründung des Staates Israels und „das teilweise rücksichtslose Agieren der alliierten Mächte in der islamischen Welt“.

„Inhaltsleerer Zugang“ zum Islam

Als Antwort darauf seien u.a. islamistische Strömungen wie die Muslimbruderschaft, der Salafismus oder die Wahhabiten entstanden. All diesen Bewegungen sei ein „sehr reduktiver, um nicht zu sagen inhaltsleerer Zugang zur islamischen Tradition gemein“, schrieb Winter.

Die Protagonisten sprächen sich gegen eine Vielfalt des Islam in seinen lokalen Ausprägungen aus, beanspruchten eine Art islamisches „Gesamtprogramm“ und „propagieren einen sehr stark auf Rechtsvorschriften fokussierten Zugang zur Tradition“.

Verbindung mit Nationalismus

All das steht laut Winter im Widerspruch zur Geschichte der islamischen Welt, die „niemals nur eine einzige Gesellschaftsform hervorbrachte“. Als negative Beispiele nannte er nationalistisch gefärbte Bezugnahmen auf den Islam, etwa in der Türkei oder dem Iran. Zwar seien diese Entwicklungen primär innerislamisch, hätten aber auch eine Auswirkung auf den Islam in Europa. „Hier davon zu sprechen, dass es keine Probleme gäbe, ist schlichtweg naiv“, schrieb der Religionswissenschaftler. Zudem würden auch liberale Muslime dazu aufrufen, solche Strömungen stärker zu thematisieren.

Winter verwies auch auf eine Gemeinsamkeit zwischen Kirche und Islam: Beide hätten eine „strukturelle Affinität zu Herrschaftsformen, die eine gestufte Ordnung der Gesellschaft vorsehen“, beide hätten auch Ressentiments bezüglich des Begriffs „Freiheit“. Zu Debatte stehe nun, „ob und wie sehr“ sich die islamische Tradition mit den heute gesellschaftlichjausgehandelten „individuellen Freiheiten“ der Menschen versöhnen könne, so Winter abschließend.

religion.ORF.at/KAP

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