Religions- und Ethikunterricht „nicht wertneutral“

„Ideologieverdächtiger“ Religionsunterricht, „wertneutraler" Ethikunterricht?“ Diese polemische Unterscheidung der beiden Unterrichtsfächer hat die an der Uni Wien lehrende Religionspädagogin Andrea Lehner-Hartmann zurückgewiesen.

„Wertfreien oder -neutralen Unterricht gibt es generell nicht“ - und soll es auch gar nicht geben, so die Theologin in einem Gastkommentar für die Wochenendausgabe der „Wiener Zeitung“. Beide Fächer, der „aus einer klar deklarierten konfessionellen beziehungsweise religiösen Perspektive heraus“ erteilte Religionsunterricht ebenso wie der ab 2021/22 für höhere Schulformen vorgesehene Ethikunterricht hätten persönlichkeitsbildende und demokratiefördende Aufgaben und sollten nicht als Konkurrenten gesehen werden, schrieb Lehner-Hartmann.

Dass der Ethikunterricht nicht für alle, sondern nur für jene, die keinen Religionsunterricht besuchen, vorgesehen ist, hatte zuletzt Kritik ausgelöst. Neben sachlichen Argumenten, die beklagen, die Teilung der Klasse verhindere ein gemeinsames Aushandeln von Fragen, werde der Religionsunterricht in der Debatte oft „mit Indoktrination gleichgesetzt, die in der Schule nichts zu suchen habe“, so die Religionspädagogin: „Niemand darf im Religionsunterricht zur Übernahme bestimmter Positionen gezwungen werden.“

Kein Drohen mit der Hölle

Unterricht sei in erster Linie ein Kommunikationsgeschehen, das über Beziehung, insbesondere das Beziehungsangebot der Lehrperson, läuft. Strikt abzulehnen seien Angstmache, etwa das Drohen mit der Hölle, oder diskriminierende Äußerungen über religiöse, andersgläubige oder religionsfreie Menschen.

Aufgabe von Lehrpersonen sei es, die Schüler zur Auseinandersetzung mit komplexer werdenden Fragestellungen zu animieren, mit fundiertem Wissen zum Fach sowie didaktischem und pädagogischem Wissen, schrieb Lehner-Hartmann.

Keine Bildung ohne Kritikfähigkeit

Die tiefergehende Beschäftigung mit existenziellen Fragen, Transzendenz, einem friedlichen Zusammenleben, unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebensweisen sowie möglichen ideologischen Gefährdungen sei durchaus kontrovers. Unterschiedliche Sichtweisen bewusst zu machen und diese „in Respekt vor der Überzeugung des anderen miteinander in ein Gespräch zu bringen“, ist laut der Religionspädagogin „ureigenste Aufgabe von Bildung“. Erst diese Praxis befähige zu demokratischem Zusammenleben. Dazu haben Ethik-wie Religionsunterricht beizutragen - weder neutral oder wertfrei noch ideologisierend, sondern dahinterliegende Menschen- und Weltbilder aufzeigend.

Mit einer Konkurrenz zwischen Ethik- und Religionsunterricht sei vor allem der Zielgruppe, den Schülern, am wenigsten gedient, unterstrich Lehner-Hartmann. Dass der Unterricht in getrennten Gruppen erfolgt, könne als Schwachstelle angesehen werden; „eine unüberwindliche Hürde sollte er mit administrativer Unterstützung nicht darstellen“.

Die Theologin plädierte für die Schaffung gemeinsamer kommunikativer Lernräume, die zum Nachdenken über eigene Sichtweisen und zum Verstehen anderer beitragen. Dies „müsste im Interesse beider Gegenstände sowie von Schule insgesamt liegen“.

religion.ORF.at/KAP

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