Buch: Philosophische Impulse in Zeiten von Corona

Sechzehn fiktive Gespräche gewähren Einblick in die Gedankenwelt des österreichischen Theologen und Philosophen Clemens Sedmak während des Corona-bedingten Lockdowns. Ein Buch über Umbrüche, Freiheiten und Verantwortungen.

„Durch’s Reden kommen die Leute zam“, heißt es auf gut Österreichisch. Aber was, wenn man eben nicht zusammenkommen darf oder soll? Auch dann, oder ganz besonders dann braucht es Gespräche, denn die seien der Nährboden der Hoffnung. Davon ist Clemens Sedmak überzeugt und stellt ein „Hoffentlichkeitsbuch“ vor, wie er es selbst nennt.

Clemens Sedmak

ORF/Marcus Marschalek

Clemens Sedmak

Der Autor erhebt keinen Anspruch auf Trost in seinem jüngst erschienen Werk mit dem Titel “hoffentlich. Gespräche in der Krise”. Vielmehr soll es einen Beitrag leisten in der „Verstehensarbeit“, derer es jetzt bedarf, um diese völlig neue Situation, bedingt durch Corona, einordnen und begreifen zu lernen. Denn vorschnelle, vermeintlich gut gemeinte Floskeln, wie „Wir sitzen alle in einem Boot“, mögen verführerisch sein, aber sie trügen.

Das soziale Gesicht einer jeden Katastrophe

Was haben der Untergang der Titanic und die Corona-Krise gemeinsam? Beide zeigen bei genauerem Hinsehen auf, dass wir eben nicht alle in einem Boot sitzen.

„hoffentlich.
Gespräche in der Krise."

Clemens Sedmak, Verlag Tyrolia, 159 Seiten, 14,95 Euro

Der Untergang der Titanic betraf natürlich alle Passagiere, allerdings in sozial ungleicher Weise: Passagiere der dritten Klasse hatten weitaus geringere Überlebenschancen als jene in der ersten Klasse, doch den höchsten Opferanteil hatte die Besatzung. Die Lehre aus einem der vielen fiktiven Gespräche: Wir sitzen vielleicht im selben Boot, aber nicht auf denselben Decks. Genauso verhält es sich auch mit der jetzigen Corona-Krise: Der Shutdown traf einen Einzelhändler anders als einen Konzern. Auch die Quarantäne war in einem geräumigen Einfamilienhaus eine andere Erfahrung als ein Eingesperrtsein in einer engen Wohnung.

Große Fragen, kluge Antworten

Ist Corona eine Strafe Gottes? Ein spannendes Gespräch lang, darf man dem Unbehagen des Theologen lauschen: wie er mit sich selbst hadert, seinen Glauben herausfordert und doch versucht Frieden zu finden. Es sind Überlegungen, die wohl so einige Menschen während des Lockdowns beschäftigten. Clemens Sedmak, der in den USA an der University of Notre Dame du Lac als Professor für Sozialethik tätig ist, vermag es hier Ordnung hineinzubringen und der Debatte einen Mehrwert beizusteuern. Warum die biblische Geschichte von König David hierbei eine Schlüsselrolle einnimmt, erstaunt und inspiriert gleichermaßen.

Auch der zu Corona-Zeiten unverhofften und plötzlichen Hochschätzung von Reinigungspersonal wird Platz eingeräumt, in einem Gespräch mit einem "Raumpfleger“, der salopp meint: „Auf einmal tun alle so, als wäre ich wichtig“.

In einem weiteren Gespräch mit einem Historiker philosophiert Sedmak über die Lehren, die wir in der aktuellen Krise aus vergangenen Pandemien lernen können und mahnt etwa vor der gefährlichen und unpassenden Suche nach einem Sündenbock.

Gänsehautpotential

Das Gespräch mit einer Geschichtenerzählerin hat Gänsehautpotential. In ihrer Erzählung darüber wie wir in diese Krise hineingeschlittert seien, berichtet sie über das Neuland „Fragilien“. Die Reise dorthin war fast unmerklich, das Neuland selbst jedoch hatte alles verändert. Zerbrechlichkeit hatte sich breit gemacht, selbst die Menschen waren zerbrechlich, doch ein kleines Kind kam dem Spuk auf die Spur…

Weder Zorn, noch Gewalt, noch Erfolg, noch Macht sei der Schlüssel. Und am allerwenigsten sei es Angst, denn: „Manche Menschen leiden an Krankheit, manche Menschen leiden an der Angst vor der Krankheit. Manche Menschen sterben an einer Krankheit, manche Menschen sterben an der Angst vor der Krankheit.“

„hoffentlich. Gespräche in der Krise“, ein 159 Seiten schmales Büchlein mit viel Tiefsinn.

Mehr dazu:

Link:

Dorit Muzicant für religion.ORF.at

  • Film: Ein Ex-Häftling als Priester
    Ein Ex-Häftling gibt sich in einem Dorf als Priester aus und kommt mit seinem ungewöhnlichen Stil gut an. Der Film „Corpus Christi“ des polnischen Regisseurs Jan Komasa, der am Freitag in die österreichischen Kinos kommt, beruht auf einer wahren Begebenheit.
  • Buch über Kaiser Franz Joseph als Pilger nach Jerusalem
    Kaiser Franz Joseph I., dem Gründervater des Österreichischen Hospizes, widmet dessen aktueller Rektor Markus Bugnyar ein Buch. Unter dem Titel „Reise nach Jerusalem“ beleuchtet der österreichische Priester den Kaiser als Pilger.
  • Lehrgang: Suche nach zeitgemäßer Spiritualität
    Ein im Oktober startender Lehrgang befasst sich an unterschiedlichen Veranstaltungsorten in Österreich mit der Suche nach einer „radikal zeitgenössischen christlichen Spiritualität“.
  • Jubiläumsausstellung im Eisenstädter Diözesanmuseum
    Mit einer doppelten Jubiläumsausstellung hat das Diözesanmuseum Eisenstadt nach der Pause wegen des Coronavirus wieder geöffnet: Mit einer neuen Schau zu 60 Jahre Diözese Eisenstadt und 100 Jahre Land Burgenland.
  • Lizz Görgl unterstützt Gottesdienstbehelf mit Lied
    „Zu mir“ - so lautet der neue Song von Skistar Lizz Görgl, die nach Beendigung ihrer aktiven Sportkarriere als Sängerin tätig ist, und dieses Lied zum jetzt erschienen Gottesdienstbehelf der Diözesansportgemeinschaft Österreichs (DSGÖ) beigesteuert hat.
  • Die Macht des Leidens in der Kunst
    Mit Verzögerung ist die Jahresausstellung des niederösterreichischen Stifts Klosterneuburg gestartet. Die Schau „Was leid tut“ zeigt, wie machtvoll das Bild des Leidens die (christliche) Kunst seit Jahrhunderten durchdringt.
  • Jan Assmann spricht über „Religion und Fiktion“
    Der deutsche Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann (81) wird im Herbst einer der namhaften Vortragenden beim diesjährigen „Philosophicum Lech“ von 23. bis 27. September sein.
  • NÖ: Stift Altenburg feiert verzögerten Saisonbeginn
    Vom Frühling bis in den Herbst öffnet das Benediktinerstift Altenburg bei Horn in Niederösterreich gewöhnlich seine barocken Räumlichkeiten für Besucherinnen und Besucher. Im Coronavirus-Jahr 2020 startet die Saison mit Verspätung.
  • Stift Kremsmünster zeigt „50 Jahre Mission in Brasilien“
    „50 Jahre Mission in Brasilien“: Auf den Zeitraum 1970 bis 2020 blickt eine Sonderausstellung im oberösterreichischen Stift Kremsmünster zurück, die sich mit der Mission von Benediktinerpatres und Schwestern in der brasilianischen Diözese Barreiras beschäftigt.
  • Naturschutzprojekt: „Kirchturmtiere“ beobachten
    Viele Wildtiere sind jetzt im Frühling auf der Suche nach einem guten Platz, um ihre Jungen aufzuziehen. Den finden sie oft in Pfarrhöfen, Klöstern und rund um Kirchtürme. Im Rahmen des Projektes „Kirchturmtiere“ kann man jetzt Sichtungen melden.