Buch: Philosophische Impulse in Zeiten von Corona
„Durch’s Reden kommen die Leute zam“, heißt es auf gut Österreichisch. Aber was, wenn man eben nicht zusammenkommen darf oder soll? Auch dann, oder ganz besonders dann braucht es Gespräche, denn die seien der Nährboden der Hoffnung. Davon ist Clemens Sedmak überzeugt und stellt ein „Hoffentlichkeitsbuch“ vor, wie er es selbst nennt.

ORF/Marcus Marschalek
Clemens Sedmak
Der Autor erhebt keinen Anspruch auf Trost in seinem jüngst erschienen Werk mit dem Titel “hoffentlich. Gespräche in der Krise”. Vielmehr soll es einen Beitrag leisten in der „Verstehensarbeit“, derer es jetzt bedarf, um diese völlig neue Situation, bedingt durch Corona, einordnen und begreifen zu lernen. Denn vorschnelle, vermeintlich gut gemeinte Floskeln, wie „Wir sitzen alle in einem Boot“, mögen verführerisch sein, aber sie trügen.
Das soziale Gesicht einer jeden Katastrophe
Was haben der Untergang der Titanic und die Corona-Krise gemeinsam? Beide zeigen bei genauerem Hinsehen auf, dass wir eben nicht alle in einem Boot sitzen.
„hoffentlich.
Gespräche in der Krise."
Clemens Sedmak, Verlag Tyrolia, 159 Seiten, 14,95 Euro
Der Untergang der Titanic betraf natürlich alle Passagiere, allerdings in sozial ungleicher Weise: Passagiere der dritten Klasse hatten weitaus geringere Überlebenschancen als jene in der ersten Klasse, doch den höchsten Opferanteil hatte die Besatzung. Die Lehre aus einem der vielen fiktiven Gespräche: Wir sitzen vielleicht im selben Boot, aber nicht auf denselben Decks. Genauso verhält es sich auch mit der jetzigen Corona-Krise: Der Shutdown traf einen Einzelhändler anders als einen Konzern. Auch die Quarantäne war in einem geräumigen Einfamilienhaus eine andere Erfahrung als ein Eingesperrtsein in einer engen Wohnung.
Große Fragen, kluge Antworten
Ist Corona eine Strafe Gottes? Ein spannendes Gespräch lang, darf man dem Unbehagen des Theologen lauschen: wie er mit sich selbst hadert, seinen Glauben herausfordert und doch versucht Frieden zu finden. Es sind Überlegungen, die wohl so einige Menschen während des Lockdowns beschäftigten. Clemens Sedmak, der in den USA an der University of Notre Dame du Lac als Professor für Sozialethik tätig ist, vermag es hier Ordnung hineinzubringen und der Debatte einen Mehrwert beizusteuern. Warum die biblische Geschichte von König David hierbei eine Schlüsselrolle einnimmt, erstaunt und inspiriert gleichermaßen.
Auch der zu Corona-Zeiten unverhofften und plötzlichen Hochschätzung von Reinigungspersonal wird Platz eingeräumt, in einem Gespräch mit einem "Raumpfleger“, der salopp meint: „Auf einmal tun alle so, als wäre ich wichtig“.
In einem weiteren Gespräch mit einem Historiker philosophiert Sedmak über die Lehren, die wir in der aktuellen Krise aus vergangenen Pandemien lernen können und mahnt etwa vor der gefährlichen und unpassenden Suche nach einem Sündenbock.
Gänsehautpotential
Das Gespräch mit einer Geschichtenerzählerin hat Gänsehautpotential. In ihrer Erzählung darüber wie wir in diese Krise hineingeschlittert seien, berichtet sie über das Neuland „Fragilien“. Die Reise dorthin war fast unmerklich, das Neuland selbst jedoch hatte alles verändert. Zerbrechlichkeit hatte sich breit gemacht, selbst die Menschen waren zerbrechlich, doch ein kleines Kind kam dem Spuk auf die Spur…
Weder Zorn, noch Gewalt, noch Erfolg, noch Macht sei der Schlüssel. Und am allerwenigsten sei es Angst, denn: „Manche Menschen leiden an Krankheit, manche Menschen leiden an der Angst vor der Krankheit. Manche Menschen sterben an einer Krankheit, manche Menschen sterben an der Angst vor der Krankheit.“
„hoffentlich. Gespräche in der Krise“, ein 159 Seiten schmales Büchlein mit viel Tiefsinn.
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Dorit Muzicant für religion.ORF.at