Landau kritisiert Sozialtourismus-Debatte als „obszön“

Dass hinter dem Begriff „Sozialtourismus“ mehr politische Angstmache als reale Bedrohung steht, darüber waren sich NGO-Vertreter, Sozialrechtsexperten und EU-Repräsentanten bei einer Podiumsdiskussion in Wien einig.

Besonders deutliche Worte zum Thema „Herausforderungen des sozialen Europas“ fand am Dienstagabend Caritas-Präsident Michael Landau: Die Debatte um einen angeblichen Sozialtourismus - 2013 zum „Unwort des Jahres“ gekürt - innerhalb der Union sei „grotesk, ärgerlich und obszön“, zugleich eine „unfassbar scheinheilige Entschuldigung dafür, nicht allen helfen zu müssen“.

Debatte, „die kein Mensch braucht“

Im Frühjahr 2013 hätten die Innenminister Österreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der Niederlande eine Debatte losgetreten, „die kein Mensch braucht“. Wer einem Sozialtourismus in Europa das Wort rede, spreche den Ärmsten der Armen ihre Not ab, kritisierte Landau. Die arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen der EU-Mitgliedsstaaten seien ohnehin so gestaltet, dass sie Sozialtourismus „fast unmöglich machen“.

Was die länderübergreifende Hilfe für Staaten mit hoher Armut betrifft, nahm Landau die Europäische Union in die Pflicht: „Ich erwarte mir, dass die EU genau so viel Energie in die Armutsbekämpfung investiert wie in die Bankenrettung.“ Konkret forderte der Caritas-Präsident eine Erhöhung der Mittel des Europäischen Sozialfonds und einen einfacherer Zugang zu diesen Mitteln in den Ländern vor Ort.

„Blech“ für EU in Sozialfragen

Es gehe seiner Meinung nach darum, jetzt die Weichen in Richtung einer echten Sozial- und Solidaritätsunion zu stellen; von dieser sei die EU noch weit entfernt. „In Fragen der Sicherheit bekommt die EU Gold, in Wirtschaftsfragen Silber, aber in der Sozialfrage hat sie nicht einmal Blech verdient“, gab Landau Zensuren nach dem Medaillenschema bei Olympia. Bestrebungen, die Armut von Menschen einfach „unsichtbar zu machen“, würden keine Probleme lösen, so der Caritas-Präsident mit Verweis auf die immer wieder diskutierten Bettelverbote.

Unterstützt wurde Landau in seinen Ausführungen von Richard Kühnel, dem Leiter der EU-Kommissionsvertretung in Österreich. Um die Fakten hinter dem Schlagwort Sozialtourismus zu prüfen, habe die Kommission 2013 eine Studie in Auftrag gegeben, die ein klares Bild zeichne: So machten die „nicht aktiven EU-Migranten“, also jene ohne Beschäftigung, in den Mitgliedsstaaten ganze 0,7 bis 1 Prozent der Bevölkerung aus - Tendenz sinkend.

Migranten zahlen mehr ein, als sie erhalten

Die Beschäftigungsrate der Migranten sei außerdem in allen EU-Ländern höher als die der jeweiligen Landesbevölkerung, wies Kühnel hin. Die Studie bekräftige auch einmal mehr, dass Migranten „im Schnitt mehr in das Sozialsystem der Ländern einzahlen, als sie daraus erhalten“.

Kühnel teilte aber auch die Ansicht Landaus, dass angesichts von 125 Millionen armutsgefährdeten EU-Bürgern und 4,1 Millionen Menschen ohne Obdach - darunter immer mehr Frauen, Kinder und Familien - Handlungsbedarf besteht. Die EU sei zwar nicht als Sozial-, sondern als Wirtschaftsunion konzipiert, seitens der Kommission gebe es aber durchaus Bestrebungen, der sozialen Komponente mehr Gewicht zu geben. So wolle man etwa bis 2020 die Zahl der armutsgefährdeten Menschen um 20 Millionen senken. Ohne den Beitrag der Mitgliedsstaaten „geht da aber nichts“. Schließlich obliegen die Sozialkompetenzen und -budgets den einzelnen Staaten.

Mittel werden nicht ausgeschöpft

Für Kühnel stehen im Vorfeld der EU-Wahl durchaus Änderungen im Raum, die Brüssel mehr Kompetenz in sozialen Fragen einräumen würden. Für den europäischen Hilfsfonds und den europäischen Sozialfonds stelle die EU bereits jetzt mehr als 75 Milliarden Euro zur Verfügung - viele Länder würden die ihnen zustehenden Mittel aber gar nicht ausschöpfen.

Ein Umstand, den Kühnel auf die mangelnde Kompetenz in den jeweiligen Mitgliedsstaaten und auch auf zu komplizierte Antragsverfahren zurückführt. Entsprechende Aufklärungs- und Vereinfachungen seien aber bereits geplant und man rechne für die Periode von 2014 bis 2020 mit einer 100-prozentigen Ausschöpfung.

religion.ORF.at/KAP

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