Kardinal Christoph Schönborn: Ein Diplomat wird 70

Seit 1995 ist Christoph Schönborn Erzbischof von Wien. Doch treffen kann man den Kardinal rund um den Globus in vielerlei Funktionen: als Diplomat, Verhandler, Autor und Netzwerker. Zum 70. Geburtstag ein paar Streiflichter auf sein Leben.

Paris 2004: Junge fröhliche Gesichter, an vielen Straßenecken Musikanten mit frommen Liedern auf den Lippen und dazwischen der Wiener Kardinal Christoph Schönborn. Er scheint hier keine Berührungsängste zu kennen: Umarmungen, Gespräche und Selfies mit dem Kardinal, nur dass man vor 11 Jahren diese Art von Fotos noch nicht so nannte. Die Szenen spielen während der so genannten Stadtmission. Es geht um Neuevangelisierung der einst katholischen Großstädte Paris, Lissabon, Budapest und Wien, ein Lieblingsprojekt Schönborns.

Kardinal Christoph Schönborn

APA/Georg Hochmuth

Kardinal Christoph Schönborn feiert am 22. Jänner seinen 70. Geburtstag

Die Liebe zur Mission wird 1963 mit dem Eintritt Schönborns in den Dominikanerorden grundgelegt. Die Spiritualität des Bettelordens hat die Verkündigung zum Ziel. Und so ist Schönborn gerne bei Missionsveranstaltungen dabei, hält Vorträge und zieht auch gelegentlich gemeinsam mit jungen Katholiken durch die Großstädte und verkündet die Botschaft Christi.

Hoffnung auf Veränderung

Der Wiener Kardinal erregt Aufmerksamkeit. Es wirkt so, als würde halb Paris Schönborn noch von seiner Studienzeit hier am Institut Catholique kennen. Er wirkt locker und ist in seinem Element, spricht auf Französisch, Englisch und Spanisch mit den jungen Christen aus aller Welt, die ihn umringen. Viele von ihnen kommen aus der katholischen Gemeinschaft Emmanuel, einer jungen Erneuerungsbewegung, die aus einer charismatischen Gebetsgruppe in Frankreich entstanden ist. Das gemeinsame Beten, der Einsatz für die Armen und das Diskutieren über den Glauben eint, lässt christliche Gemeinschaft spürbar werden. Wer Freude und Kraft solcher Momente mit dem Kardinal erlebt, kann verstehen, warum Schönborn auf junge Bewegungen setzt, sie fördert und hofft, so Veränderung in oft verkrustete Kirchenstrukturen zu bringen.

Kardinal Schönborn beim Weltjugendtag in Rio mit Jugendlichen

kjweb.at

Kardinal Schönborn ist viel unterwegs. 2013 ist er auch am Weltjugendtag in Rio de Janeiro mit dabei

So hat der Kardinal auch in Wien viele Berater und Mitarbeiter aus sogenannten “Erneuerungsbewegungen” rund um sich geschart. Gemeinsam will man Kirche “lebendig” und “erfahrbar” machen. Traditionell im Glauben, aber modern in der Verkündigung scheint die Devise. Mit der Idee der Stadtmission hat der Wiener Erzbischof im Jahr 2000 einen Prozess begonnen, der zu einem inneren und äußeren Wandel der Kirche führen soll.

Kardinal Christoph Schönborn

  • 22. Jänner 1945: Geburt in Skalken (Skalsko), Böhmen.
  • September 1945: Flucht der Familie Schönborn nach Österreich.
  • 1963: Eintritt in den Dominikanerorden. - Studien an den Ordenshochschulen in Walberberg bei Bonn und Le Saulchoir, an der Universität Wien, an der Ecole Practique des Hautes Etudes, Sorbonne sowie am Institut Catholique in Paris.
  • 1970: Priesterweihe in Wien
  • Doktorat in Theologie (Promotion 1974 in Paris).
  • 1976: Extraordinarius für Dogmatik an der Universität Fribourg (Schweiz), seit 1978 zusätzlich für Theologie des christlichen Ostens, 1981-1991 Ordinarius für Dogmatik.
  • ab 1980 Mitglied der Internationalen Theologenkommission
  • 1987-1992 Sekretär der Redaktions-Kommission für den Katechismus der Katholischen Kirche.
  • 29. September 1991: Weihe zum Bischof im Stephansdom in Wien
  • 14. September 1995: Amtsantritt als Erzbischof von Wien am .
  • Seit 30. Juni 1998: Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz.

Große anonyme Gottesdienstgemeinschaften sollen „lebendigen“ und familiären Kleingemeinden weichen, so die Hoffnung Schönborns und seines Pastoralteams. Doch der Kardinal treibt den Prozess nur in homöopathischen Einheiten voran. Schönborn ist Diplomat und nicht Rebell. Seit vielen Jahren ist von der großen Strukturreform in seiner Erzdiözese die Rede, aber verändert hat sich bis jetzt erst wenig.

Vielleicht hat die Strategie der kleinen Schritte aber auch ihre Ursache darin, dass der Wiener Erzbischof buchstäblich auf mehrere Kirtagen tanzt, und zwar international. Schönborn ist viel unterwegs. Er ist weltweit gut vernetzt, publiziert etwa in der „New York Times“ seine Gedanken zur Evolutionstheorie, führt Dialog im Iran und besucht immer wieder orthodoxe und katholische Mitbrüder im Bischofsamt rund um den Globus. Damit aber nicht genug, hat er gleich mehrere Jobs in diversen vatikanischen Kongregationen und als Aufsichtsorgan der Vatikanbank. Das Meilenkonto seiner Vielfliegerkarte ist gut gefüllt.

Mitternächtliche Kühlschrankplünderung

Ankara 2008: Der Wiener Kardinal ist ein dichtes Programm gewohnt, und für seine Begleiter ist es nicht immer leicht, Schritt zu halten. Bei Auslandsreisen werden oft im Stundentakt politische und religiöse Würdenträger besucht. Dazwischen Pressekonferenzen, Botschaftsbesuche und Zeit für Menschen am Straßenrand. Viele die ihn kennen, sind sich einig: Schönborn hat die Gabe, auf Menschen zuzugehen. Sie attestieren ihm, dass er sich trotz eines vollen Kalenders „ein Ohr für die vielen Anliegen nimmt“, die an ihn herangetragen werden.

Ein Bild, das sich oft wiederholt: In langen Schlangen stehen Menschen bei Empfängen an, stellen sich und ihre gesamte Familie vor, der Kardinal hört zu, schüttelt an machen Tagen Tausende Hände. Vom Buffet sieht der Kardinal bei diesen Anlässen meist nichts mehr. So kann es schon vorkommen, dass er sich weit nach Mitternacht in die Küche schleicht, etwa im St. Georgs-Kolleg in Istanbul, und den Kühlschrank plündert. Wenn dann auch ein ORF-Kamerateam zur gleichen Zeit dieselbe Idee hat, kann es schon mal passieren, dass Kardinal und Journalisten nach gemeinsamem Mitternachtssnack das angeregte Gespräch als gefilmtes Interview auf der Terrasse mit Istanbul als Kulisse weiterführen.

Christoph Schönborn

kathbild/ Franz Josef Rupprecht

Stundenlanges Händeschütteln zählt durchaus zu den bischöflichen Aufgaben

Feinsinniger Diplomat

Dem Kardinal griffige Sager zu entlocken ist jedoch eine Kunst. Schönborn ist kein Polterer, sondern findet immer eine unverfängliche Formulierung und ist ein Meister der Schachtelsätze. Auf den ersten Blick hält er an der vom Vatikan vorgegebenen Linie fest. Jemandem, der die Abschaffung des Zölibats und die Priesterweihe für Frauen fordert, begegnet Schönborn zwar freundlich im Ton, er beharrt aber auf die Kirchenlinie. Auch bei der Ablehnung von homosexuellen Partnerschaften ist seine Haltung klar. Doch im konkreten Einzelfall findet Schönborn doch immer wieder einen Weg, etwas nach kirchlichen Gesetzbüchern scheinbar Unmögliches, doch irgendwie möglich zu machen. So bestätigt er in der Weinviertler Pfarre Stützenhofen einen Pfarrgemeinderat, der in einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt.

Papst Johannes Paul II./r. mit Bischof Kurt Krenn und Kardinal Christoph Schönborn/l. in St. Pölten

APA/Hans Techt

1998: Christoph Schönborn, Johannes Paul II. und Kurt Krenn

Die feine Kritik in manchen seiner Aussagen entschlüsseln meist nur die, die ebenfalls das Handwerk der Diplomatie beherrschen. Immer wieder tritt er als Mahner vor allzu viel vatikanischer Bürokratie, Verstaubtheit und Machtanhäufung auf. Freunde in Rom hat er sich damit nicht gemacht. Dennoch galt der Wiener Kardinal und Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz bei den vergangenen Papstwahlen zweimal als durchaus ernstzunehmender Kandidat für das höchste Amt in der katholischen Kirche.

Schönborns Mitgliedschaft in römischen Dikasterien

  • Kongregation für die Glaubenslehre
  • Kongregation für die Orientalischen Kirchen
  • Kongregation für das Katholische Bildungswesen
  • Päpstlicher Rat für die Kultur
  • Päpstlicher Rat für die Förderung der Neuevangelisierung
  • Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche (bis 2010)
  • Rat des Generalsekretariats für die Bischofssynode (Europa)
  • Internationale Katholische Kommission für Migration.

Kirchenkrise und Gläubigenschwund

Für viele hat der Kardinal ein Gespür für den rechten Ton, seine Betroffenheit wirkt echt. Mit Schuldeingeständnis, Offenheit und Transparenz hat er sich etwa an die Entknotung der Verstrickung seiner Kirche in Missbrauchsfälle gemacht und sich auch langsam, aber doch aus der Umklammerung von Bischöfen wie Kurt Krenn befreit. Dafür wird ihm auch von Kritikern Anerkennung gezollt.

Hinter dem gepflegten, kontrollierten und professionellen Auftreten des Kardinals in der Öffentlichkeit dringt nur wenig Privates nach außen. Seine Kindheit hat er in Schruns in Vorarlberg verbracht. Von dort hat er auch seine Leidenschaft für Jassen nach Wien mitgenommen, ein Kartenspiel, zu dem er des öfteren ehemalige Landsleute aus Vorarlberg in Wien trifft.

Christoph Schönborn mit seinem Bruder Michael Schönborn

APA/Gert Eggenberger

2003: Christoph Schönborn und sein Bruder, der Schauspieler Michael Schönborn in Maria Saal (Kärnten). Anlass des Treffens waren die Dreharbeiten zu einer TV-Tatort-Folge

Mit „Halleluja“ durch den Weinberg

Gerne verbringt der Kardinal Zeit in Retz. Dort soll er schon mal zu Ostern leicht beschwipst, so erzählt es jedenfalls sein Freund Peter Turrini, durch die Weinberge gesprungen sein und mit lauten „Halleluja“-Rufen die Auferstehung Jesu gepriesen haben.

Betrachtet man Schönborns Amtszeit als Wiener Erzbischof nach Zahlen, fällt die Bilanz nicht erfreulich aus. Rund 100.000 Katholiken weniger weist die Statistik alleine in den vergangen zehn Jahren aus. Zurückgegangen ist auch der Gottesdienstbesuch, darüber hinaus fehlen junge Priester, und leerstehende Kirchen müssen verschenkt oder verkauft werden. Aber Schönborn hat weniger die Volkskirche im Blick, er konzentriert sich vielmehr auf Kirche in den Gemeinschaften und Familien. Genau dort scheint er aus der Not eine Tugend machen zu wollen, denn in den geschrumpften kleinen Gemeinschaften könne Glaube besser erlebbar und erfahrbar werden, so seine Überzeugung.

Video-on-Demand: Das Interview zum Geburtstag

Im „Orientierung“-Interview sprach der Kardinal über die Herausforderungen für Europa und erklärte, warum er so schnell kein Pensionist werden wird.
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Es gibt eine Fülle an Herausforderungen, denen sich Schönborn in Österreich, aber auch auf Weltkirchenebene noch stellen will. Sein ruhiges Klosterleben sei einem „Überfluss an Zeitmangel“ gewichen, so der Kardinal. Und zur Bewältigung scheint er eine Doppelstrategie zu verfolgen. Einerseits setzt er auf konservativ geltende Gemeinschaften, wie etwa das Neokatechumenat, andererseits überholt er manchmal selbst sogenannte Kirchenreformer mit neuen innovativen Ideen, etwa bei der Gemeindeleitung. Schönborn ist mit seinem Amt als Wiener Erzbischof und Kardinal gewachsen und macht es allen schwer, die ihn einem bestimmten Lager zuordnen wollen. Christoph Schönborn liebt es offensichtlich immer wieder zu überraschen.

Marcus Marschalek, religion.ORF.at

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