Papst ruft Armenier und Türken zur Versöhnung auf

Mit einem Appell zur Versöhnung zwischen Armeniern und Türken hat Papst Franziskus den zweiten Tag seiner Armenien-Reise beendet. Zuvor besuchte der Papst die Gedenkstätte Zizernakaberd in der armenischen Hauptstadt Eriwan.

„Gott segne eure Zukunft und gewähre, dass der Weg der Versöhnung zwischen dem armenischen und dem türkischen Volk wiederaufgenommen werde“, sagte er anlässlich eines ökumenischen Friedensgebets auf dem Platz der Republik in Jerewan. Zugleich mahnte der Papst eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen Armenien und dem Nachbarland Aserbaidschan um die Region Bergkarabach an.

Papst Franziskus und das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche, Katholikos Karekin II.

Reuters/Alessandro Bianchi

Papst Franziskus und das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche, Katholikos Karekin II. pflanzen gemeinsam einen Baum

Die Armenier müssten sich engagieren, „um die Fundamente für eine Zukunft zu legen, die sich nicht von der trügerischen Kraft der Rache vereinnahmen“ lasse, sagte Franziskus mit Blick auf die Massaker an den Armeniern, die das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg beging. Sie belasten das Verhältnis zwischen der Türkei, der Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs, und Armenien. Armenien erkennt die Grenze mit der Türkei bis heute nicht an. Zusätzlich angespannt ist die Lage in der Region durch den Konflikt um Bergkarabach, in dem die Türkei Aserbaidschan unterstützt. Seit 1993 hält die Türkei die Grenze zu Armenien geschlossen.

Aufruf zum Friedenstiften

Franziskus rief die Armenier auf, „Friedensstifter“ und „aktive Förderer einer Kultur der Begegnung und Versöhnung“ zu sein. Sie dürften nicht „Notare des Status quo“ bleiben. Auch die Erfahrung der „ungeheuren und wahnsinnigen Vernichtung“ während der Massaker vor 100 Jahren könne im Licht des christlichen Glaubens ein „Same des Friedens“ werden. Wenn das Gedächtnis der Armenier von Liebe geprägt sei, könnten sie „neue und überraschende Wege“ einschlagen, um die „Machenschaften des Hasses“ in „Pläne der Versöhnung“ zu verwandeln, so der Papst. Am Freitag hatte er die Geschehnisse während des Ersten Weltkriegs abweichend von seinem Manuskript abermals als „Völkermord“ bezeichnet.

„Völkermord-Denkmal“ von Zizernakaberd

Am Samstagmorgen besuchte Franziskus das „Völkermord-Denkmal“ von Zizernakaberd in Eriwan, das an den Tod von schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen Armeniern vor 100 Jahren erinnert. Dort legte er vor der ewigen Flamme eine weiße und gelbe Rosen nieder und sprach ein Gebet. Anschließend traf er mit Nachkommen von Opfern des Genozids zusammen.´

Papst Franziskus betet am Genoziddenkmal in Armenien.

Reuters/David Mdzinarishvili

An der Zizernakaberd Gedenkstätte in Eriwan legte Papst Franziskus zwei Rosen in den Vatikan-Farben Gelb und Weiß sowie einen Kranz nieder

Papst Benedikt XV. (1914-1922) habe „in der Zeit des ‚Metz Yeghern‘ (des ‚Großen Unglücks‘) sehr viel für die Armenier getan“, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi mit Bezug auf die Massaker von 1915, berichtete kathpress. Benedikt XV. und sein Nachfolger Pius XI. (1939-1958) ließen rund 400 armenische Waisenkinder in der Papstresidenz Castel Gandolfo bei Rom einquartieren, wie aus Dokumenten des vatikanischen Geheimarchivs hervorgeht. Begleitet wurde Franziskus vom Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche Katholikos Karekin II. und Staatspräsident Sersch Sargsjan.

„Völkermord“

Bereits am Freitag hatte der Papst die Verfolgung der Armenier vor 100 Jahren als „Völkermord“ bezeichnet. Abweichend vom Manuskript und ungeachtet der heftigen türkischen Proteste nach der Armenien-Resolution des Bundestages sagte er wörtlich: „Diese Tragödie, dieser Völkermord, eröffnete leider die traurige Liste der entsetzlichen Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts, die von anormalen rassistischen, ideologischen oder religiösen Motivationen ermöglicht wurden, welche den Geist der Menschenkinder so weit verdunkelten, dass sie sich das Ziel setzten, ganze Völker auszurotten.“

Im April 2015 hatte der Papst in einer Gedenkmesse für die Armenier erstmals den Begriff „Völkermord“ verwendet und damit heftige türkische Proteste ausgelöst. Damals drohte Staatspräsident Erdogan mit den Worten „Der geehrte Papst wird diese Art von Fehler höchstwahrscheinlich nicht wieder begehen“. Er wolle ihn dafür „rügen und warnen“.

Papst Franziskus betet am Genoziddenkmal in Armenien.

Reuters/David Mdzinarishvili

Papst Franziskus und der armenische President Serzh Sargsyan an der Zizernakaberd Gedenkstätte in Eriwan

Präsident Sargsjan und Katholikos Karekin II. begleiteten Franziskus zur Gedenkstätte. Ein Besuch des Mahnmals auf einem Hügel am Rande Jerewans ist üblich beim Empfang von Staatsgästen in der Südkaukasusrepublik. Später am Samstag waren eine katholische Messe in der nördlichen Stadt Gjumri sowie ein ökumenisches Friedensgebet vor Zehntausenden Menschen im Zentrum von Jerewan geplant.

Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich zwischen 300.000 und 1,5 Millionen christliche Armenier, Pontos-Griechen, Assyrer und Aramäer ermordet. Während Historiker vom „ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts“ sprechen und der Regierung des damaligen Osmanischen Reichs die Hauptverantwortung zuweisen, räumt die Türkei bislang lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In deren Folge seien hunderttausende Menschen gestorben.

Papst warnt vor Rückwärtsgewandtheit

Papst Franziskus hat die Katholiken in Armenien vor zu starker Rückwärtsgewandtheit gewarnt. Sie seien stets in der Gefahr, den Glauben auf etwas aus der Vergangenheit zu reduzieren, als sei er „ein schönes Buch mit Miniaturen, das in einem Museum aufbewahrt werden muss“, sagte er am Samstag bei einem Gottesdienst in Gjumri, der zweitgrößten Stadt des Landes.

„Wenn aber der Glaube in die Archive der Geschichte eingeschlossen wird, verliert er seine verwandelnde Kraft, seine lebendige Schönheit und seine positive Offenheit allen gegenüber“, so der Papst. Der Glaube sei vielmehr „auch die Hoffnung für eure Zukunft“. Christliches Leben müsse außer dem Gedächtnis immer auch auf dem lebendigen Glauben und der barmherzigen Liebe gründen. Dies seien die drei Fundamente christlichen Lebens.

Stärkeres soziales Engagement

Franziskus mahnte vor einigen Zehntausend Katholiken zugleich ein stärkeres soziales Engagement an. „Es braucht Menschen guten Willens, die den Brüdern und Schwestern, die sich in Schwierigkeiten befinden, in der Tat und nicht bloß mit Worten helfen.“ Er forderte „gerechtere Gesellschaften, in denen jeder ein würdiges Leben führen und in erster Linie eine gerecht bezahlte Arbeit haben kann“.

In seiner Predigt würdigte Franziskus den armenischen Mönch Gregor von Narek (951-1003) als Vorbild an Barmherzigkeit. Er hatte den Mystiker im vergangenen Jahr zum Kirchenlehrer erhoben. Gregor von Narek sei „ein großer Bote der göttlichen Barmherzigkeit“, der die „menschlichen Erbärmlichkeiten immer in Dialog mit der göttlichen Barmherzigkeit gebracht“ habe, erklärte er.

Der armenisch-katholischen Kirche gehören nach vatikanischen Angaben 280.000 Gläubige der rund drei Millionen Armenier an. Sie ist eine mit Rom verbundene Kirche, die den Papst anerkennt.

religion.ORF.at/KAP/APA/dpa

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