Missbrauch: Erzbischof vermutet hohe Dunkelziffer

Der Dubliner Erzbischof Diarmuid Martin hat bei einer Pressekonferenz während des Weltfamilientreffens in Dublin am Mittwoch von einer großen Zahl an kirchlichen Missbrauchsopfern gesprochen. Er vermutet allerdings eine hohe Dunkelziffer.

Die Zahl der Menschen, die in vergangenen Jahrzehnten von Geistlichen sexuell missbraucht und in kirchlichen Einrichtungen in Irland missbraucht wurden, sei „immens“, so Martin. Dabei sei die Zahl derer, die sich gemeldet haben, nur ein Teil der tatsächlichen Zahl der Opfer. „Viele Menschen tragen immer noch die Trauer des Missbrauchs in ihrem Herzen“, sagte Diarmuid Martin.

Enttäuschung bei Gläubigen

„Alle Katholiken und alle, die Leitungsaufgaben haben, sind enttäuscht darüber, was unsere Kirchenführer getan haben und was sie zu tun verabsäumt haben“, sagte bei der Pressekonferenz Teresa Kettelkamp von der vatikanischen Kinderschutzkommission. Um im Falle von mutmaßlicher Vertuschung ein solides Urteil zu fällen, gehe es immer um die zentralen Fragen: „Was wusste die Kirche, wann wusste sie es, was tat sie nicht und was schon“, so die frühere US-Polizeibeamtin.

Römisch-katholischer Erzbischof von Dublin (Irland) Diarmuid Martin

Reuters/Tony Gentile

Erzbischof von Dublin Diarmuid Martin

Vertrauenskrise durch Missbrauchsfälle

Der irische Primas Eamon Martin sieht die Kommunikationsfähigkeit der Kirche durch die weltweiten Missbrauchsskandale untergraben. Er ortet zudem einen Vertrauensverlust in die Kirche. „Es gibt jene, die glauben, dass sie unserer Botschaft nicht mehr vertrauen können“, sagte der Erzbischof von Armagh als einer der Hauptredner beim derzeitigen katholischen Weltfamilientreffen in Dublin laut Kathpress.

Diese Menschen hätten ihr Vertrauen verloren, „vielleicht weil sie in ihren Familien durch ihre Erfahrung mit der Kirche direkt verletzt und betrogen wurden - oder weil die Enthüllungen solcher abscheulicher Verbrechen sie bis ins Mark erschüttert haben“, zitierte die Zeitung „The Tablet“ am (Donnerstagausgabe) aus Martins Rede.

Botschaft über Ehe und Familie unterminiert

Die Skandale des Kindesmissbrauchs hätten auch die Fähigkeit der Kirche unterminiert, ihre Botschaft über Ehe und Familie zu verbreiten, räumte der irische Primas ein. Er ersetzte Washingtons Erzbischof Kardinal Donald Wuerl als einen der Hauptredner des Pastoralkongresses beim Weltfamilientreffen.

Wuerl hatte seine Teilnahme zurückgezogen, nachdem er in einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Berichts einer Grand Jury im US-Bundesstaat Pennsylvania für seinen Umgang mit Missbrauchsfällen während seiner Zeit als Bischof von Pittsburgh kritisiert worden war.

Bischofssynode zu Missbrauch

Vor dem Hintergrund des weltweiten Missbrauchsskandals schlug nun der römisch-katholische Bischof von Portsmouth Philip Egan eine Bischofssynode der Weltkirche vor. Das Treffen solle sich mit dem Selbstverständnis von Priestern und Bischöfen befassen, schrieb Egan in einem Brief an Papst Franziskus, der seit Donnerstag auf der Website der Diözese Portsmouth zu lesen ist.

Egan erwähnt auch, dass „klerikaler Sexmissbrauch ein weltweites Phänomen in der Kirche zu sein“ scheint. Unter anderem regte er eine Supervision für Geistliche an. Zudem sollten diözesane Verhaltensstandards kirchenrechtlich vorgeschrieben werden.

Hintergrund des Vorschlags, den Bischof Egan auch im Internet auf seinem Twitter-Account veröffentlichte, ist der Aufruf von Papst Franziskus zu einer durchgreifenden Erneuerung der katholischen Kirche angesichts neu bekannt gewordener Skandale in Pennsylvania, Australien und Chile. Eine außerordentliche Bischofssynode müsste vom Papst einberufen werden.

Auch „hunderte“ Missbrauchstäter in Italien

Unterdessen verwies der Gründer und Leiter der italienischen Anti-Kinderpornografie-Initiative „Meter“, Fortunato Di Noto, darauf, dass der Missbrauchsskandal auch die Diözesen in seinem Heimatland in starkem Umfang betreffe.

In Italien seien in den vergangenen zehn Jahren „Hunderte“ Priester in Fälle von Missbrauch und Kinderpornografie verwickelt gewesen, sagte Di Noto, der selbst Priester ist, am Donnerstag der Online-Zeitung Formiche.net. In einigen Fällen seien die Bischöfe unzulänglich mit den Verbrechen umgegangen.

Widerstand und Überforderung

Zu viele Personen leisteten Widerstand, wenn es darum gehe, Täter an die weltliche Justiz auszuliefern, kritisierte Di Noto. Eine Kernfrage sei, ob Bischöfe in Verdachtsfällen eine Anzeige bei der weltlichen Justiz stellen müssten oder nicht. Es gehe um eine „formelle Übernahme der Verantwortung“. Zugleich deutete Di Noto an, ein Bischof allein könne mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen überfordert sein.

Zwar gebe es in Italiens Bischofskonferenz einen Ausschuss für Kinderschutz; dieser werde aber „von der Bürokratisierung gebremst“, so Di Noto. Die in italienischen Diözesen geltenden Leitlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen müssten überarbeitet werden.

religion.ORF.at/APA/KAP/KNA

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