Christen und Juden gedenken Novemberpogromen

Zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Novemberpogrome des Jahres 1938 veranstalten auch heuer wieder mehrere christliche und jüdische Organisationen gemeinsam die „Bedenktage“-Reihe „Mechaye Hametim“.

In Erinnerung an die gewalttätigen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung vor 80 Jahren finden bis 21. November zahlreiche Veranstaltungen statt. „Mechaye Hametim“ bedeutet: Der die Toten auferweckt.

Im Zentrum steht ein ökumenischer Gottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche am 9. November um 19.00 Uhr, dem der lutherische Bischof Michael Bünker, der Vorsitzende der heimischen Männerorden, Altabt Christian Haidinger, und der griechisch-orthodoxe Priester Athanasius Buk vorstehen werden. Anschließend ist ein Schweigegang zum Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoa auf dem Judenplatz vorgesehen.

Hinweis

Lichtzeichen zur Erinnerung an die Novemberpogrome 1938
Donnerstag, 8.11.2018 ab 18:00 Uhr im Hof 6 des Campus der Universität Wien, 1090 Wien, Spitalgasse 2

Mit einem Lichtzeichen am Campus der Uni Wien wird am Donnerstag um 18:00 Uhr eines von mehreren Erinnerungsprojekten an der Universität Wien eröffnet.

Im Rahmen des Projekts „OT“ - eine Kooperation des Jüdischen Museums Wien mit der Universität für Angewandte Kunst - erinnert mit einer Lichtinstallation des Künstlers Lukas Kaufmann in Form eines verbogenen Davidsterns an die Opfer der Pogromnacht und an die verschwundenen Spuren des jüdischen Lebens in Wien. Insgesamt werden Lichtinstallationen an 25 Standorten in Wien an die 1938 zerstörten Synagogen erinnern.

„Nacht der Erinnerung“

Am Freitag ab 21.30 Uhr findet in der Ruprechtskirche zudem eine „Nacht der Erinnerung“ mit kulturellen Akzenten statt. Die ganze Nacht über soll in Texten, Musik und Stille der entfesselten, mörderischen Gewalt vor 80 Jahren gedacht werden.

Margarete Rabow zeigt ihren Film „66.000“ und spricht über ihr Projekt „Schreiben gegen das Vergessen“, bei dem die Namen der 66.000-Schoa-Opfer in der Prater-Hauptallee mit Kreide aufgeschrieben wurden. Liedermacher Hans Breuer/WanDeRer singt jüdische Lieder von Vertreibung und Verfolgung. Das Programm endet um 6 Uhr.

Brennende Synagoge, Wien 2, Große Schiffgasse 8

Unbekannt/DÖW

Brennende Synagoge in den frühen Morgenstunden des 10. November 1938

In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.

Gegen christlichen Antijudaismus

Dem Jahrhunderte alten, erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil abgelegten christlichen Antijudaismus ist im Rahmen der diesjährigen Gedenkveranstaltungen eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Von Gottesmördern und Brunnenvergiftern“ gewidmet.

Am 6. November um 19.00 Uhr tauschen sich dazu im Albert-Schweitzer-Haus (Schwarzspanierstraße 13, 1090 Wien) die evangelische Religionspädagogin Julia Spichal, der Wiener Judaistik-Professor Gerhard Langer sowie Pater Nikolaus Rappert, Pfarrer der orthodoxen deutschsprachigen Gemeinde in Wien, aus, es moderiert Martin Jäggle vom Christlich-jüdischen Koordinierungsausschuss. Im Blickfeld liegen laut Ankündigung sowohl die Wurzeln eines der „ältesten Vorverurteilungskomplexe“ als auch dessen Wiederaufleben in den gegenwärtig wieder zunehmenden Formen des Antisemitismus.

„Nostra Aetate“

Über die beiden „unverwechselbaren Berufungen“ von Christen und Juden spricht Martin Jäggle dann am 8. November um 19.30 Uhr im Gemeindezentrum der Pfarre Gersthof (Bastiengasse 18, 1180 Wien). Der Wiener katholische Theologe wird dabei auf die jüdisch-orthodoxe Antwort auf das wegweisende Konzilsdokument „Nostra Aetate“ eingehen, die von einer internationalen orthodoxen rabbinischen Kommission 50 Jahre danach, 2015, erarbeitet wurde.

Auch der Schule als Vertreibungsort wird gedacht: Am 13. November um 18.30 Uhr spricht die katholische Theologin Renate Mercsanits im Theologie-Institutsgebäude der Universität Wien (Schenkenstraße 8-10, 1010 Wien) über vertriebene jüdische Lehrer und Schüler 1938 an Wiener Gymnasien.

Ausstellung und Workshops

Einen Überblick über „das Novemberpogrom in Wien“ gibt am 21. November um 19.00 Uhr der Historiker Martin Krist im Bezirksmuseum Josefstadt (Schmidgasse 18). Dort wird am 4. November auch die Ausstellung „Jüdische Josefstadt ab 1848“ eröffnet.

Weitere Programmpunkte von „Mechaye Hametim“ sind u.a. eine Workshop-Reihe über unterschiedliche Interpretationen zur „Geburt und Jugend des Mose nach Ex 1-2“ in frühjüdischen und frühchristlichen Quellen, ein Filmabend mit Christian Froschs Justizskandal-Aufarbeitung „Murer - Anatomie eines Prozesses“, Buchpräsentationen und Gottesdienste.

Rekonstruktionsbild des Leopoldstädter Tempels auf einer Plane an einer Hausfassade

APA/Herbert Pfarrhofer

An der Stelle des Leopoldstädter Tempels findet am Donnerstag um 18.00 Uhr eine Gedenkveranstaltung unter Teilnahme von Bundespräsident Alexander Van der Bellen statt

Gemeinsame Veranstalter von „Mechaye Hametim“ sind u.a. der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), die Gemeinde St. Ruprecht, das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung und der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Viele kleinere Initiativen gestalten eigene Gedenkmomente, wie etwa der Verein „Steine der Erinnerung“. Mittels Lichtprojektionen werden die damals zerstörte Synagogen in Wien Liesing und im dritten Bezirk sichtbar gemacht.

Gedenken in den Bundesländern

Nicht nur in Wien sondern auch in den Bundesländern wird an die Novemberpogrome erinnert und gedacht. In Linz findet beispielsweise am Mittwoch, 7. November, um 18 Uhr ein Gedenken zum 80. Jahrestag der Zerstörung der Linzer Synagoge statt. Bei der Veranstaltung in der Bethlehemstraße wird auch der Linzer Bischof Manfred Scheuer das Wort ergreifen. Für Samstag, 10. November, ist eine Gedenkveranstaltung des Landes Tirol (18.00 Uhr, Innsbrucker Landhaus) anberaumt. Daran werden u.a. Landeshauptmann Günther Platter und Bischof Hermann Glettler teilnehmen.

Ökumenischer Hirtenbrief im Burgenland

Am 9. und 10. November werden in den katholischen und evangelischen Gemeinden des Burgenlandes ein ökumenischer Hirtenbrief von Diözesanbischof Ägidius J. Zsifkovics und dem evangelischen Superintendenten Manfred Koch verlesen.

Sie finden klare Worte, an deren Anfang eine zweifache Betroffenheit steht: „Betroffenheit über das unaussprechliche Leid so vieler Menschen“ – insgesamt wurden alleine in dieser Nacht mehrere hundert Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben, 30.000 Jüdinnen und Juden in KZs deportiert, darunter 6.500 österreichische Juden –, aber auch „Betroffenheit darüber, dass unsere christlichen Kirchen und ihre Mitglieder so viel schuldig geblieben sind.“

Offizielles Gedenken

Das offizielle Österreich gedenkt der Novemberpogrome am Freitag, 9. November, mit einem Gedenkakt mit Kranzniederlegung beim Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah (Judenplatz, 9.00 Uhr) und einem anschließenden Empfang im österreichischen Parlament für die Überlebenden der Shoah. Für den Nachmittag ist eine Begegnung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Holocaust-Überlebenden in der Präsidentschaftskanzlei anberaumt. Der Bundespräsident wird außerdem am Donnerstag, 8. November, an einem Gedenken am Ort des einstigen Leopoldstädter Tempels in Wien teilnehmen (1020, Tempelgasse 5, 18.00 Uhr).

religion.ORF.at/KAP

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