Islamwissenschaftler über Zukunft Europas

Der syrischstämmige deutsche Islamwissenschaftler Bassam Tibi plädiert für einen verpflichtenden Islamunterricht - und zwar für Politikerinnen und Politiker sowie Kirchenvertreter.

In den nächsten 30 Jahren werde sich die Zukunft Europas entscheiden, so Tibi. Als Ursache für gravierende soziokulturelle Änderungen im Abendland nannte der Politik- und Islamwissenschaftler die „muslimische Völkerwanderung“. Viele der Zuwanderer würden zwar den Westen bewundern, lehnten aber alles Westliche ab, sagte der Damaszener im einem Gespräch mit der Journalistin Gudula Walterskirchen im Rahmen einer Veranstaltung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF).

Für Tibi, der an zahlreichen Eliteunis der USA tätig war, gibt es nicht „den“ Islam. Er unterscheidet hier klar zwischen dem Islam als Schrift und dem Islam als Realität, dem „Volks-Islam“. Zudem wies er auf die Trennung in Sunna und Schia und die weiteren zahlreiche Rechtsschulen hin. Der Islam in Indonesien sei etwas völlig anderes wie der im Senegal, so Tibi.

Kein Kopftuch im Koran

Das Problem sei, dass 80 bis 90 Prozent der Muslime Analphabeten seien, die Schrift gar nicht kennen und daher einer tradierten Glaubenslehre folgen würden. Im Koran stehe nichts von einem Kopftuch, das Wort dafür gäbe es im Arabischen gar nicht, so der Religionsgelehrte.

So würde etwa Politikern von islamischen Verbänden erklärt, dass die Scharia Bestandteil der Religionsausübung sei und daher unter die Religionsfreiheit falle. Zum einen widersprechen die Regeln der Scharia laut Tibi klar den Grundprinzipien des liberalen Rechtsstaats, zum anderen komme das Wort im Koran nur einmal vor und bedeute nicht Recht, sondern Moral. Das zu wissen sei eben Aufgabe der Politik. Denn eine der größten Errungenschaften Europas sei es, dass das Recht vom Parlament, der Legislative, gemacht werde, und nicht direkt von Gott komme, sagte der 74-Jährige.

Anders als im laizistischen Frankreich, wo der Staat entscheidet, mit welchen Glaubensvertretern er spricht, sei das in Deutschland und zum Teil Österreich genau umgekehrt, argumentierte der Politologe. Hier würden die Glaubensgemeinschaften entscheiden, und diese verfolgten laut dem Islamologen eine „antiintegrative Agenda“. Im Gegensatz zu Berlin befinde sich die heimische Regierung hier aber auf einem guten Weg, befand Tibi. Konkret nannte er das Islamgesetz und die Ausweisung von problematischen Imamen. Von den bis zu 40 Betroffenen verließ laut Medienberichten allerdings bisher nur einer das Land, auch die sieben beanstandeten Moscheen sind mittlerweile wieder geöffnet.

Sensibilität und Selbstbewusstsein

Das Problem Europas bei der Integration von Muslimen sei es, die richtige Mischung aus Sensibilität und Selbstbewusstsein zu finden. Einerseits dürfe die Offenheit nicht aufgegeben werden, andererseits müssten aber auch klare Grenzen bei Normverstößen gezogen werden. Auch müssten die Werte der Aufklärung klar verteidigt werden und Muslime beginnen, sich als Individuen, als Citoyen, und nicht als Kollektiv zu sehen, so der Experte.

Tibi kritisierte auch die Haltung mancher Muslime, sich ständig als unterdrückte Opfer zu sehen, sei es doch in islamischen Gesellschaften normal, dass Minderheiten unterdrückt werden. Religion sei in einem säkularen Staat Privatsache und soll nicht in die Öffentlichkeit getragen werden.

Der Politologe forderte auch die klare Trennung zwischen unberechtigten Ressentiments gegen Muslime und dem Islamophobie- und Rassismusvorwurf. Die beiden letztgenannten Punkte dienten lediglich dazu, berechtigte Religionskritik zu stigmatisieren. Vor allem die Deutschen würden Probleme oftmals nicht ansprechen, weil sie Angst hätten, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Das sei aber ein Fehler, weil dadurch genau das Gegenteil passiere, und Entwicklungen von ebendiesen instrumentalisiert werden könnten.

religion.ORF.at/APA

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