D: Missbrauchsvorwürfe gegen 654 Ordensleute

Etwa jeder dritte katholische Orden und genau 654 Ordensleute in Deutschland sind mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Das ergab eine Mitgliederbefragung der Dachorganisation Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK).

Bei den Ordensgemeinschaften meldeten sich mindestens 1412 Personen, die angaben, als Kind oder Jugendlicher sexuell missbraucht worden zu sein. 654 Ordensmitglieder wurden als Täter beschuldigt. Die meisten davon - 522 oder knapp 80 Prozent - seien bereits tot, teilte die DOK am Mittwoch in Bonn mit. 37 Beschuldigte seien aus ihrem Orden ausgetreten.

„Bedauern das sehr“

Die Vorsitzende der DOK, Katharina Kluitmann, sprach zudem von einer nicht näher bestimmbaren Dunkelziffer. Nach den Worten der Franziskanerin hat auch der Umgang von Leitungsverantwortlichen und anderen Ordensmitgliedern mit Betroffenen diese noch einmal verletzt: „Wir bedauern das sehr und erkennen unser Versagen erneut an.“

Die Vorfälle reichen den Angaben zufolge teilweise bis in die 50er und 60er Jahre zurück, als noch viele Schulen und Internate von Patern oder Ordensfrauen geführt wurden. Kluitmann wertete die Befragung als einen weiteren Schritt zur Aufarbeitung, betonte aber, dass die Angaben nicht auf eine wissenschaftliche Studie zurückgingen. Es handele sich lediglich um eine interne Umfrage.

Viele Orden an Umfrage beteiligt

Der Rücklauf sei hoch gewesen: Etwa drei Viertel der Ordensgemeinschaften, 291 von 392, hätten den Fragebogen zurückgesandt. In diesen 291 Orden lebten 88 Prozent der heutigen Ordensmitglieder. Die kleinsten Orden umfassen nur noch eine Handvoll von Personen, mitunter sogar nur noch ein einziges Mitglied.

Eine Kette mit Kruzifix und ein Dokument in der Hand einer Person

APA/dpa/Jochen Lübke

In Deutschland ist etwa jeder dritte Orden mit Missbrauchsvorwürfen seiner Mitglieder konfrontiert

Von den 291 Gemeinschaften, die die Fragen beantwortet haben, gaben 100 an, dass sie mit Vorwürfen zu verschiedenen Missbrauchsformen konfrontiert worden seien. Das seien gut 34 Prozent. Personenbezogene Daten zu Opfern oder Beschuldigten wurden in der Erhebung nicht abgefragt. Den Orden sei Anonymität zugesichert worden, erläuterte die DOK.

Von den Menschen, die in Deutschland Mitglied in einem Orden sind, sind den Angaben zufolge 75 Prozent Frauen und 25 Prozent Männer. Unter den Beschuldigten sind die Männer stark überrepräsentiert.

Zahlungen sollen vereinheitlicht werden

Mit Blick auf die Zahlungen an Betroffene in Anerkennung ihres Leids streben die Orden laut DOK-Generalsekretärin Agnesita Dobler ein einheitliches System mit der Deutschen Bischofskonferenz an. Die Gemeinschaften benötigten aber finanzielle Unterstützung. Ein im Frühjahr beschlossenes Konzept der Bischöfe sieht Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall vor.

Kluitmann kündigte weitere Anstrengungen der Aufarbeitung und Prävention an. So wolle die DOK einen Leitfaden zur Führung von Personalakten erarbeiten, Workshops zur Erarbeitung von Schutzkonzepten veranstalten und eine Tagung zum Thema Machtmissbrauch anbieten. Zudem stelle die Konferenz eine Fachkraft für Prävention ein, die die Orden berät.

Kritik von Betroffenen

Die Vorsitzende verwies auf die Grenzen der DOK bei der Aufarbeitung. Wegen der großen Unterschiedlichkeit der Gemeinschaften seien nur Studien zu einzelnen Orden oder zu bestimmten Einrichtungen wie Klöstern und Schulen sinnvoll. Bisher gebe es 14 Studien von sieben Gemeinschaften; vier weitere seien geplant.

Kritik kam von der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“. Viel zu lange hätten sich die meisten Ordensgemeinschaften der Verantwortung verweigert. „Und auch jetzt meinen sie, dass sie alle Zeit der Welt haben, um erst einmal in Gespräche einzutreten, ob und wie sie ihre Geschichte von Gewalt und sexuellem Missbrauch aufklären wollen“, erklärte Sprecher Matthias Katsch.

Entschädigungen nicht verweigern

Er forderte, alle Aktenbestände der Ordensgemeinschaften zu sichern und sie den Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen, sofern es einen Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch gebe. „Sofern dann eine Verjährung festgestellt ist, was in vielen Fällen zu erwarten ist, müssen die so gesicherten Unterlagen einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden.“

Keinesfalls dürfe mit Hinweis auf verarmte Gemeinschaften den Opfern eine angemessene Entschädigung verweigert werden, betonte Katsch weiter. Diese müssten sich an den Empfehlungen orientieren, die im vergangenen Jahr für die Bischofskonferenz von Experten entwickelt und vorgelegt worden seien.

Studie über Missbrauch

Eine Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hatte 2018 den massiven Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch römisch-katholische Kleriker dokumentiert. Die Aufarbeitung geht seitdem weiter. Einige Diözesen haben unabhängige Kommissionen ernannt, die konkrete Vorwürfe untersuchen und dabei auch Beschuldigte benennen sollen.

religion.ORF.at/dpa/KAP/KNA

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