Fast drei Jahre Syrien-Krieg: „Die Menschen sind müde“

Ein erschütterndes Bild über die Lage der Christen in Syrien zeichnete der chaldäische Bischof von Aleppo, Mar Antoine Audo, am Mittwochabend bei einer Veranstaltung in Wien.

„Die Menschen in Syrien sind müde, täglich müssen sie ihr Leben riskieren“, sagte der Bischof. „Helft uns, dass wir die Hoffnung nicht verlieren.“ Mar Boulos Matar, der maronitische Erzbischof von Beirut, sagte aus der Sicht des Nachbarstaates Libanon: „Eine zweite Million Flüchtlinge könnten wir nicht verkraften. Wir müssen diesen Krieg stoppen.“

Bischöfe zu Colloquium in Wien

Die beiden Bischöfe der mit Rom unierten Kirchengemeinschaften halten sich zum Colloquium Syriacum der Ökumenischen Stiftung Pro Oriente in Wien auf. Der Krieg in Syrien sei zu einem „Bruderkrieg“ geworden, beklagte Audo. An sich gehe es nicht um einen Krieg gegen die Christen, doch sei die christliche Bevölkerungsgruppe oft schutzlos. Sie werde von islamischen Gruppen für deren Zielsetzungen benützt, etwa entführt, um Lösegelder zu erpressen.

Die chaldäische Kirche

Die mit Rom unierte Kirche anerkennt die Jurisdiktion des Papstes, hat aber ihren eigenen Ritus, Liturgiesprache ist Syrisch. Ihr Oberhaupt, der Patriarch von Babylon, residiert in Bagdad. Die Union mit Rom besteht seit 1553.

Wie bei anderen unierten Ostkirchen auch werden noch heute Verheiratete zu Priestern geweiht, sie düfen aber nicht zu Bischöfen gewählt werden. Die Chaldäer sind die mit Abstand stärkste christliche Kirche im Irak.

„Ich tue mein Möglichstes, um den Christen zu helfen, damit sie bleiben, doch letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden“, betonte Audo, der auch Präsident der Caritas in Syrien ist. Nach fast drei Jahren Krieg schwinde die Hoffnung der Menschen auf Frieden, Verzweiflung greife um sich. Viele Familien sähen in diesem Überlebenskampf eine Flucht als einzigen Ausweg. In Aleppo leben viele Armenier und assyrische Christen. Vergleiche mit dem Armenier-Genozid in der Türkei würden angestellt.

Angst vor Entführungen

Dennoch gibt der chaldäische Bischof von Aleppo, dessen Amtsbrüder Gregorios Johanna Ibrahim (syrisch-orthodox) und Bulos Jasidschi (griechisch-orthodox) im April entführt wurden, die Hoffnung nicht auf. Er sei überzeugt, dass die Kraft der Einheit unter den Syriern stärker ist als die Bemühungen bewaffneter Gruppen, den Staat aufzuteilen. Die Christen-Bezirke von Aleppo stünden unter Regierungskontrolle, schilderte Audo, der unter schwierigen Umständen aus Syrien ausreiste - und wieder heimkehren wird.

Ausgebrannte Kirche in Aleppo

Reuters/George Ourfalian

Ausgebrannte Kirche in Aleppo

Die Caritas, landesweit in sechs Verwaltungsbezirken organisiert, betreut die Menschen ungeachtet ihrer Religion. In Aleppo und andernorts in der Diözese fehlt es an Ärzten, viele setzten sich aus Angst vor Kidnapping in den Libanon ab.

Zum politisch-religiösen Hintergrund in seiner Heimat führte Bischof Audo aus, die Divergenzen zwischen Sunniten und Schiiten existierten überall in der Region. Die arabischen Gesellschaften, die auf dem Clan-System basieren, stünden vor den Herausforderungen der modernen Gesellschaft. Aus wirtschaftlicher Sicht habe die Landflucht, aber auch die Korruption, zu sozialen Konflikten in Syrien beigetragen.

Flüchtlinge: Drastische Zahlen

Der Beiruter Erzbischof wartete mit drastischen Zahlen auf. Der Zedernstaat mit seinen nur vier Millionen Einwohnern beherberge neben 500.000 Palästinensern nun bereits eine Million syrische Flüchtlinge. 60.000 syrische Kinder gehen inzwischen im Libanon in die Schule. Der Libanon tue sein Möglichstes, habe aber eine schwache Regierung. „Wir helfen nach Kräften. Doch die Situation übersteigt unsere Möglichkeiten“, so Bischof Matar. Nachsatz: „Die Großmächte schauen nur auf ihre Interessen.“

Die maronitische Kirche

Die mit Rom unierte maronitische Kirche ist die größte christliche Gemeinschaft im Libanon, ihr gehört etwa ein Drittel der Bevölkerung an. Weltweit gibt es nach vatikanischen Angaben 3,1 Mio. maronitische Gläubige.

Die Maroniten gehören zu den Kirchen der altsyrischen Tradition, ebenso wie die syrisch-orthodoxe Kirche, die zumeist als „assyrische Kirche“ bezeichnete „Apostolische Kirche des Ostens“ (Kirche des alten Perserreichs), die syrisch-katholische und die chaldäisch-katholische Kirche.

Matar drückte die Hoffnung aus, dass der frühere Modellstaat Libanon erhalten bleibe. Das konfessionelle Regierungssystem (mit Aufteilung der höchsten Ämter zwischen Christen, Sunniten, Schiiten) habe sich bewährt. Im Islam lasse sich Regierung nur schwer von Religion trennen. Allerdings hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung geändert; nachdem 700.000 Christen das Land im Zuge der zurückliegenden Konflikte verließen, machen die Christen nur noch 40 Prozent aus.

Der Syrien-Krieg stürzte auch den Libanon in eine Krise. Nach den Worten von Erzbischof Matar haben Sunniten und Schiiten hinsichtlich Syrien klar Stellung bezogen. Die Hisbollah etwa sei nicht nur eine politische und militärische Kraft, sondern unterhalte viele Sozialprojekte. Die Weltmächte sollten alles tun, damit der Libanon auch künftig der Region als Beispiel dienen könne, schloss Matar.

religion.ORF.at/KAP/APA

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